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Krönung mit Goethe

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Mit „Goethe: Gedichte in zwei Bänden“ (EC 99 und EC 100) beschließt und krönt die Fischer- Bücherei ihre weltliterarische Hundertreihe „Exempla classtco“, als Ganzes selbst eine Krone des gesamten Taschenbuchexperimentes unserer Tage. Der Abschluß ist würdig. Die beiden Doppelbände mit fast 1000 Seiten folgen der modernen 14bändigen Hamburger Goethe-Ausgabe von Erich Trunz, der im zweiten Band, nach dem Text des „Westöstlichen Diwans“, nicht weniger als 400 Seiten Anmerkungen und eine stattliche Bibliographie beisteuert. Die „vorletzten“ Ausgaben der genannten Reihe: Dantes Liebesnovelle in Versen und Prosa „Vita nuova“ (EC 90), Eichendorffs Roman „Ahnung und Gegenwart“ (EC 97) und Prosper Meri- m£es „Die Venus von Ille und andere Erzählungen“ (EC 98) lassen die zeitliche und nationale Spannweite der „Exempla classica“ ahnen. Wir nehmen nach den vier Jahren der wie ein Uhrwerk abgelaufenen Publikation schwer Abschied von ihr. Wer sie besitzt, ist reich.

Im Pantheon der ehrwürdigen Vergangenheit sonnt sich das Taschenbuch freilich nur sonn- und feiertags. Der Alltag gehört seinem harten Griff in die Gegenwart, wozu wir auch noch die „unbewäl- tigten Jahre“ der NS- und Kriegszeit zählen. Hier hat die Herder- Bücherei mit der Aufnahme des bekannten Erlebnisberichtes „Arzt in Stalingrad“ des heute 60jährigen Linzers Hans Dibold (Band 156) gut getan. Zur selben Zeit, da in Stalingrad das erschütterndste menschliche Drama der Kriegsgeschichte abrollt, zermalmen die Mühlsteine der Gestapo im Hinterland alles, was sich dem sinnlosen Opfern und Sterben an der Front entgegenstellt: Hans Falladas zu

Unrecht weniger bekannter Roman „Jeder stirbt für sich allein“ (ro ro ro Nr. 671 72) gehört zu den aufwühlendsten literarischen Dokumenten dieser fürchterlichen Zeit. Falladas eigentümliche herbe Stilmelodik packt den Leser und läßt ihn nicht mehr los. Immer klarer wird, daß mit Hans Fallada (1893 bis 1947) einer der bedeutendsten Realisten (und sozialen Ankläger) der deutschen Prosa dieses Jahrhunderts unvollendet und viel zu früh aus einem höchst unglücklichen Leben geschieden ist; ebenbürtig auch den gefeierteren beiden Mann, von denen dtv-Taschenbuch (Nr. 177) gerade eben Heinrichs schwächeren, frivolen Roman einer italienschen Theatertruppe, „Die kleine Stadt“, auflegt.

Systematisch sucht ro ro ro weiterhin die großen Namen der Gegenwart auf und stößt dabei auf (nomen est omen!) „Ein ausgebrannter Fall“ (612) von Graham Greene, dessen katholische Position man in dieser düsteren Geschichte von der Flucht und dem Untergang eines abgekämpften englischen Kirchenarchitekten auf einer Missionsstation im Kongo vergeblich mit der Laterne sucht, und auf zwei recht unterschiedliche Hemingways, von denen man der farbigen Reportage von einer Safari, „Die grünen Hügel Afrikas“ (647), unbedingt den Vorzug vor dem trostlosen Grau in Grau der kubanischen Schmugglerschicksale in „Haben und Nichthaben“ (605) gibt. Die Flucht von da in Rowohlts Klassiker, Band 162, eine elegante Übersetzung von Ciceros „De re publica“ durch Rainer Beer, ist Labsal.

In einer taschenbuchähnlichen Reihe des Diogenes-Verlages erscheint Anton Tschechows seinerzeit so verkannte, uns Zeitgenossen Jonescos und Becketts so nahestehende Komödie „Der Kirschgarten“ in der bieg- und schmiegsamen Übersetzung Sigismund von Radeckis. Sie liegt dem bekannten Balten besonders gut auf der Zunge — bis zum philologischen Dilemma des letzten Wortes der Komödie, für das Radecki eine listige, salomonische Lösung findet.

Zwei weitere Bändchen dieser Diogenes-Reihe bringen des Wieners Hans Weigel brillante Übersetzungen in eleganten, von ironischen Lichtern glitzernden echten Alexandrinern von Molièrs „Schule der Frauen“ und „Der Herr aus der Provinz“. Die erstere hat ihre Feuertaufe auf der deutschsprachigen Bühne bereits glänzend bestanden und Appetit auf den angekündigten kompletten neuen deutschen Molière gemacht. Gute Nacht: Bau- dissin und Fulda, guten Morgen: Weigel!

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