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Tartuffe im Akademietheater

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M o 1 i e r e s „T a r t n f f t“ wird sein Aktualität hiebt verlieren, solange es eine menschliche Gesellschaft gibt. Eine Gesellschaft von liebenswürdigen und weniger liebenswürdigen, schwachen und schwanken Menschen, von Heuchlern und von rechtschaffenen Männern und, nicht zuletzt, von Frauen, die Herz und Mund besitzen, die das Gute sinnen und das Richtige zur rechten Zeit sagen. Molieres „Tartuffe“ hob sich, als er das erste Mal rot Ludwig XIV. gespielt wurde, von einem tragischen Hintergrunde ab. Die teilweise heroischen Versuche eines erstmaligen katholischen Laienapostoläts, das die Hugenotten und eine freisinnige, teilweise libertinistische Gesellschaft der alten „königlich katholischen Religion“ zurückgewinnen sollten, waren im Scheitern begriffen. Sie erstarrten vielfach in unwürdigen Angebereien, in Denunziationen bei staatlichen und kirchlichen Behörden. Es tut auch heute noch gut, zu wissen: Tartuffe ist die Zerrfigur des ersten europäischen Laienapostels, der es im Zeitalter Ludwigs XIV. unternahm, die „rechte Ordnung“ Gottes in der Intimität der zivilen Gesellschaft und in der Sphäre des öffentlichen Lebens wiederherzustellen. Nicht wenige Adelige, Bürger fühlten sich damals berufen, missionarisch zu wirken. Den verhängnisvollsten Versuch eines solchen Wirkens machte die berühmte Maitresse Ludwigs XIV.: sie, die Enkelin großer Hugenottengeschlechter, überredete den innerlich schwachen und ängstlichen König zur Aufhebung des Edikts von Nantes. Die Austreibung und die Verfolgung der Hugenotten durch mehr als ein halbes Jahrhundert beraubte Frankreich seiner aktivsten Kräfte. Es berührt gespenstisch, wenn in der ansprechenden gegenwärtigen Aufführung des Akademietheaters die Schauspieler dem Sonnenkönig für die Erlaubnis zur Aufführung dieses Spieles danken, das eine der wundesten Stellen seines Regierungssystems trifft... Raoul Aslan als Regisseur ist erfolgreich bemüht, Molieres Tartuffe als Komödie im Zeitstil zu bringen. Da die Schauspieler aber nicht der Welt Molieres angehören, keine Franzosen sind und, was allein ein Vorhalt sein könnte, zuwenig aufeinander abgestimmt sind, entstehen trotz des flotten Spieles einige Unebenheiten. Jeder spielt eben, wie er es sich denkt. Heinz Moog gibt in trefflicher Maske eine schleimig-ölige Heuchlerfigur, aber ohne die eigentümliche Tragik und Spiritualität dieses pretre manque, dieses gescheiterten Frommen. Das wäre ja so wichtig, gerade heute zu zeigen: dieser Tartuffe hat irgendwann einmal wirklich fromm angefangen, dann wurde es Routine, dann Geschäft, dann brach durch eine schwärmerische Religiosität die Lüsternheit, Sentimentalität und ein brutaler Egoismus durch, wie damals schon nicht selten im Zeitalter des Molinos. gewisser Quietisten und Pietisten. Keine Spur von Tragik bei unserem Tartuffe. — Ueberraschend der Orgon Ulrich Bettacs: die Tragödie und Tragikomödie eines bonne homme, eines im guten Sinne einfältigen, aber echten Edelmannes, der sich einfach nicht vorstellen kann, daß edle und hohe Dinge so mißbraucht werden können. Gusti Wolf als Kammermädchen: ein Kabinettstück in bekannter, immer wieder wirksamer Art. — Das Publikum spendet, angenehm überrascht, Beifall.

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