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Techno in der Kirche?

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Was für manche ein „Brückenschlag mit der Jugendkultur" ist, läßt andere an den Untergang des christlichen Abendlandes denken: der Versuch evangelisch-lutherischer Gemeinden in Deutschland, mit „Techno-Parties" junge Menschen zu gewinnen. In einem Hamburger Gotteshaus fand die erste zehnstündige Nachtparty mit Gregorianischen Chorälen und moderner Computermusik statt. Die Meinungen über den Erfolg der Veranstaltung sind geteilt. Die Bayerische Landeskirche hat die nächste, für den 26. April in München geplante Techno-Nacht untersagt. Die betroffene Gemeinde ist darüber empört.

Das Motto der Veranstalter lautet: Wenn die Jugendlichen nicht mehr zur Kirche kommen, sollte sich die Kirche auf sie zu bewegen. Für eine Nacht wurden daher in St. Katharinen, einer der großen, traditionsreichen evangelischen Hauptkirchen Hamburgs, die Holzbänke zur Seite geschafft und hinter dem Altar eine Bierschank eingerichtet. Auf dem alten Chorgestühl war eine Musikband plaziert. Von den Gewölbemauern erhellten funkelnde Discokugeln das Spektakel. Ballett, Orgelklänge und Computermusik vereinten Sakrales und Profanes. 2.500 Jugendliche ließen sich das ungewöhnliche Ereignis nicht entgehen und tanzten im hämmernden Rhythmus der hundert Dezibel Technosound.

Das Echo der Medien war enorm. Das „Hamburger Abendblatt" titelte mit „Christen drohen mit Austritt" und richtete eine Telefonleitung für empörte Leser ein. Die „Morgenpost" verkündete „Drogenrausch im Gotteshaus", weil der Reporterin eine „Ecstasy-Pille" angeboten wurde. Die bekannte Tagezeitung „Die Welt" regte sich über „hemmungsloses Hüftwackeln bauchfreier Mädchen" in einem Gotteshaus auf.

Trotz der negativen Presseberichte ist Axel Denecke, Hauptpastor von St. Katharinen, vom Erfolg überzeugt:

„Der Star des Abends war der Kirchenraum selbst. Die Atmosphäre des heiligen Raumes, eine in Stein gehauene 750 Jahre alte Predigt, hat die Veranstaltung und die Menschen, die daran teilnahmen, geprägt." Die meisten Jugendliche würden sich in den traditionellen Gottesdiensten nicht wohl fühlen, „da hier so gar nicht ihre Sprache gesprochen wird".

Als „unter dem Maßstab des Evangeliums verheerend" bezeichnete dagegen der Hamburger Öffentlichkeitspastor Heinrich Westphal die Veranstaltung. Techno-Parties seien für ihn eine Form der Anbiederung an den Zeitgeist, weil dabei die christliche Botschaft bis zur Unkenntlichkeit verbogen werde. Ähnlich denkt die Leitung der evangelischen Kirche in Bayern. Diese verbot dem Vorstand der Münchner Stadtkirche St. Markus, am 26. April die nächste Musiknacht abzuhalten.

In der Begründung heißt es: „Auftrag der Kirche ist es, junge Menschen zur Lebensdeutung im Horizont des Glaubens und zum Nachdenken über sich selbst anzuleiten. Ekstatischer Techno-Tanz mit Alkoholausschank und möglichem Drogenmißbrauch ist mit diesem Ziel und der Bedeutung eines Kirchenraums nicht vereinbar."

Der betroffene Gemeindepfarrer, Hans Lohr, kritisierte den Beschluß in der nächsten Sonntagspredigt massiv: „Jesus hatte keine Berührungsängste mit Sündern, Huren, Kranken, zwiespältigen Gestalten, mit allen, die den politischen Ordnungshütern der damaligen Zeit ein Dorn im Auge waren. Jesus wurde selbst ein Dorn im Auge der Ordnungshüter." Das Landeskirchenamt reagiere „nach dem Muster der katholischen Hierarchie mit Verboten. So kriegen wir bestimmt kein evangelisches Profil."

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