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WENIG LÄRM UM BRECH

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Die Behaup ung, daß das hea er der Gegenwar eine Krise durchläuf , wird niemanden in Verwunderung se zen, zumal da man längs gelern ha , sich mi diesem Wor über so manches hinwegzu rös en, was eine Orien ierung nich mehr zu ermöglichen schein .

So ha man sich auch an das Gemisch von Experimen ierfreude und radi ionsbewuß sein, das unser hea erleben ausmach , gewöhn . Der kul urbeflissene Wiener wird also mi der selben Selbs vers ändlichkei seinen „Don Giovanni“ hören, mi der er in die iefen der Keller hinabs eig , um dor zwischen Absurdi ä en das Gesich des Menschen der Gegenwar zu suchen. Und er wird gleichgül ig ausharren, wie jemand, dem man so lange Bazillen injizier ha , bis er immun geworden is . In dieser allgemeinen Reak ionsmüdigkei ging auch die Brech -Welle, die Wiens hea erleben erfaß ha , un er. Nich daß das Brech -Experimen bei den Wienern kein In eresse hervorriefe! Der hea erfreund mach sich auch auf, um eine Brech -Inszenierung zu sehen, eil aber nach dem le z en Vorhang ohne Groll zur mi ernäch lichen Hühnersuppe.

Namhaf en hea erkri ikern gelang es jahrelang, die Aufführung der S ücke Brech s in Ös erreich zu verhindern. Nach den ers en Aufführungen gab es Diskussionen, Pro es e, nun aber erschein Brech mi der Selbs vers ändlichkei eines Klassikers auf den Spielplänen, ohne daß sich jemand auch nur darüber wunder . Die S rei gespräche um Brech sind im Sande verlaufen. Gerade diese Erscheinung würde der Dich er selbs wahrscheinlich auf zu s ark „bourgoises“ hea erpublikum zurückgeführ haben.

Es zeig sich jedenfalls, daß die Brech sehe Version vom poli ischen hea er, von der Bühne, die die Wel veränder , sich nich erfüll ha . Unzählige Menschen haben die S ücke Brech s gesehen, unzählige Menschen haben deshalb ihre poli ische Überzeugung nich geänder , sind aus Gleichgül igkei und Indifferenz nich erwach .

Brech s ell sich, was die heorie über die Aufgabe und Bes immung des hea ers anbelang , bewuß in Gegensa z zum Idealismus der Klassik, die in der Kuns vor allem die Möglichkei sieh , den Menschen durch den Genuß des Schönen zu veredeln. Diese Äs he ik, „das Erbs ück einer depra- vier en und parasi är gewordenen Klasse“, wird als un auglich verworfen, dem Menschen dienlich sein zu können. Ebenso verfähr Brech mi dem zwei en Merkmal des herkömmlichen hea ers, dem was man am bes en mi dem aris o elischen Begriff der Ka harsis wiedergegeben wird. Durch das iefe Mi erleben dessen, was auf der Bühne darges ell wird, gelang der Mensch zur Erschü erung, die sich wieder heilsam auf sein Seelenleben auswirk und ihn von dämonischen Kräf en befrei . Nun is Brech der Überzeugung, daß dieser dumpfe Zus and des Schauens, Gebann seins, Ergriffenwerdens ohne eigenen Willen und ohne eigenes Zu un, dem Menschen des 20. Jahrhunder s nich mehr en sprich . Der „wissenschaf liche Mensch“ der Gegenwar verlang mehr. „Wir s ehen zu dem Abgebilde en anders als die vor uns.“ Der Mensch ha sich gleichsam aus den dumpfen Regungen der Furch und des Schreckens emanzipier , is frei geworden und nun nich mehr passiv schauend, sondern ak iv denkend. Daher kann es auch nich mehr die Aufgabe des hea ers sein, mi zureißen und Ereignisse so eindringlich wie möglich zu ges al en, sondern es soll zur Pla form geis iger Auseinanderse zungen werden, zur Schule des Denkens. Das Mi el, dies zu erreichen, is der sogenann e Verfremdungseffek . Dieser soll Ver rau es, Bekann es und also Selbs vers ändliches fremd machen, dami der Zuschauer über die ers e Regung des Sichwundems zum Denken und über das Denken zum Umges al en kommen kann.

Das Denken nun soll dor einse zen, wo die Wel als veränderbar darges ell wird, veränderbar in Rich ung des Marxismus-Leninismus. Deshalb s ell Brech zwei Wel en auf die Bühne, eiqe wie sie is — und eine, wie sie sein soll. Nun is die Dars ellung an agonis ischer Konflik e auf dem hea er nich s Neues. ro zdem ha dieses hema bei Brech eine bedeu ende Wandlung erfahren. Vielleich läß sich dies an einem Vergleich am bes en zeigen. Sophokles An igone e wa und Shen e, Heldin aus „Der gu e Mensch von Sezuan“, sind in der Konflik si ua ion durchaus ähnlich. Beide s ehen als Individuen in einer Umwel , mi der sie auf Grund der Besonderhei ihrer Exis enz in Konflik gera en müssen. Während aber An igone eben durch das Leiden an der Wel aus ihrer Umgebung immer s ärker hervor ri , wie e wa die Figur auf einer an iken Vase oder Gemme, immer mehr sie selbs wird, verlier sich Shen e, ri zurück, verschwinde im Sog der Umwel . Die Gesellschaf also is s ärker, sie gewinn die Oberhand über das si liche Wollen des Menschen. Brech binde dami die moralische Bewährung des einzelnen an die Gegebenhei en des menschlichen Zusammenlebens. Versag der Gu e, dann muß die Wel , die sein Versagen verschulde ha , geänder werden.

Nun bleib das hea er Brech s bei der Dars ellung einer Fabel oder Parabel nich s ehen. Die wich igs e Person is

der Zuschauer. Er is die Verbindung zur Wirklichkei , er soll den Schein in das Sein hinüberre en, er soll, da er die Veränderbarkei der Wel erfahren ha , nun a sächlich verändern, soll ges al en, schöpferisch werden. Er is der verlänger e Arm des Dich ers in die Wirklichkei hinein.

Wie is es zu erklären, um zum Ausgangspunk zurückzukehren, daß sich der hea erbesucher bis je z so schlech zum Demiurgen erziehen ließ? Fehl das Ver rauen in die kommunis ische Gesellschaf sordnung, die die Vorausse zung sein soll, daß die Menschen gu sein können? Mag sein, daß dem mi V-Effek en provozier en Denker die Übernahme solcher hesen Schwierigkei en berei e . Oder is das Bild der Wel , von der Brech zeig , daß sie so is , eben doch ein gezeig es, und dami der Riß, der zwei einander fremde Wel en renn , auch bei Brech nich geheil ?

Jedes hea er bleib primär veränder e Wel . So Max Frisch in seiner Rede „Der Au or und das hea er“ (Neue Rundschau 20. Jg. 1965, 8. Hef ): „Man muß verändern, um dars ellen zu können und was sich dars ellen läß is immer schon U opie“.

Der hea erbesucher, umgekehr , .will in einer veränder en Wel leben, wenn auch nur für kurze Zei . Er wird sich mi den handelnden Personen iden ifizieren, das is ein Wesenselemen jedes ech en hea ererlebnisses, er wird aber auch den rennungss rich zwischen Sein und Schein immer ziehen und nich an eine Verlängerung des auf der Bühne Darges ell en in sein eigenes Leben hinein denken.

Brech forder vom hea er, was seinem Wesen nich en sprich . Was also bleib ? Die An wor darauf werden kommende Genera ionen zu geben haben.

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