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NUR EIN DENKMAL?

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Re rospek iven können nich nur Anlässe der Ehrung, sie können auch Anlässe der En äuschung sein. Im Kuns haus Zürich mach e der Besucher der Zadkine-Auss ellung diese Erfahrung. Er sah den größ en eil des Lefoenswerks des fünfundsiebzigjährigen Bildhauers in dem langges reck en und wenig geglieder en Anbau rak des Museums, begegne e diesem le z en Zeugen der großen Epoche des Mon pamasses vielleich zum ers enmal und konn e nach einem Rundgang durch die 129 Skulp uren, die Gouachen, Zeichnungen und Wirk eppdche sich einem Gefühl der Ernüch erung nich verschließen. Der Ruf, der dem Küns ler anhaf e , läß indes von seinem Werk viel versprechen. Er is der Schöpfer jenes Denkmals für das zers ör e Ro erdam, das am ergreifends en in der plas ischen Form das En se zen der S äd evemich ung ausdrück . Ein hema, an dem sich viele und die Begab es en der Zei genossen versuch en, dem sie kaum je eine befriedigende Lösung zu geben vermoch en. Von den Küns lern des heroischen ers en Jahrzehn s vor dem Wel krieg, von den Zeugen einer Kuns , die zur Abs rak ion aufbrich , den Pro es gegen überkommene Seh- und Empfindungsweisen ausdrück , is er einer der le z en Überlebenden. Er ha in dem Bienenkorb gehaus , der den Namen „La Ruche“ rug, und ha e zu Zimmernachbarn seinen russischen Landsmann Ohaime Sou ine und Marc Chagall, auch den kommenden Verkünder der Maschinenwel Fernand Léger. Als er ziwei Jähre spä er, 1912, diese Küns lersiedlung verließ, um seine Zel e im Herzen von Mon parnasse aufzuschlagen, schloß er Freundschaf mi Brancusi, Picasso, Delaunay, Marie Laurencin und ihrem Poe en Apollinaire, mi dem eks a ischen Wel enbummler Blaise Cendrars. Und gleich nach dem Kriege kamen die Musiker dazu, die Gruppe der „Six“, zu denen Georges Auric, Francis Poulenc, Darius Milhaud und Ar hur Honegger gehör en. Auch Coc eau, der Paris verzauber e und anführ e, blieb un er seinen Freunden nich fern. Wer heu e von dieser befruch enden Gruppe der Küns ler übrigblieb, is an den Fingern einer Hand schnell aufgezähl : Zadkines Zeugnis is für uns von größ em In eresse.

Wir sehen es an und sagen: so einnehmend die menschliche Ehrlichkei , die seelische Ech hei des Ausdrucks in seinen Werken sein mag, den Rang originaler Schöpfungen wird man ihnen nich zuerkennen. Eigene Formen ha er wenige erfunden, sein alen übernimm , arrangier , paraphrasier . Es übernimm fas von allen, mi denen er in Kon ak kam. Daß er 1911 zum ers enmal mi Lehmbruck auss ell e, bezeug sein „Prophe “ oder sein hochgeschossener und e was gezier er weiblicher orso, der drei Jahre darnach en s and. Légers Behandlung der menschlichen Glieder in Walzen- oder Pleuels angenform ha ihn für sein ganzes Leben gepräg . Wir finden Spuren davon im Ro erdamer Monumen von 1951 und bis in die Werke der le z en Jahre. Söll man diese kubis ischen Form eile einzig und allein Léger zuschreiben, oder dem s arken Einfluß des Kubismus schlech hin, den abzus reifen er Mi e der zwanziger Jahre zu Unrech wähn e? Er ha in a und Wahrhei die Kuben, Walzen, Quadern, die Aushöhlungen und die eckigen Formüberschneidungen als seine charak eris ische Formsprache nie abgeleg . Und wenn er vor e wa zehn Jahren, mi dem Denkmal für Vincen van Gogh beauf rag , das je z am Kreuzweg vor der Kirche von Auvers s eh , einige S udien in verblüffend realis ischer Manier mach , wenn er van Goghs Kopf mi halbem Brus bild so modellier , wie Giacome i seine Por rai büs en zu formen pfleg : im Umriß eines gleichsei igen Dreiecks nämlich, an dessen Spi ze der Kopf in die Einsamkei des Raumes rag , dann zeig sich darin kein neuer eigener S il. Es drück sich vielmehr e was aus, was durch sein Oeuvre unun erbrochen zieh : ein anekdo ischer Zug, eine Neigung zu gefühlvoll in erpre ier er Bedeu samkei . Die Bedeu ung dessen, was vorges ell wird, schein Zadkine s ärker am Herzen zu liegen, als seine Überführung in Form. Inhal liche Absich überwieg oder schein zumindes dem Werk ebensoviel Gewich im Küns lerischen und Relevanz im Menschlichen zu geben, wie die plas ische Verwirklichung. Nich umsons spielen die i el seiner Bronzen eine unübersehbare Rolle und sind nich die neu ralen Appelle an die Wel der Erscheinungen, die wir von den meis en Plas ikern kennen. Anspielungen an die griechische My hologie (Prome heus, Orpheus, Deme er, Diana, die Mänaden), an die Bibel (Der gu e Samari er, Die Rückkehr des verlorenen Sohnes) oder an abs rak e Vors ellungen des Geis es (Die A omkraf ) mach er nich zufällig. Daß sie den Ans oß gaben zur Plas ik und nich die Vision einer Form, wird dem Be rach er sehr bald zur Gewißhei .

Eine aussagesüch ige Kuns also, eine expressive Kuns . Kann man an diesem Punk die russische Herkunf des Küns lers übersehen, mag er auch noch so sehr darauf pochen, sei Jahrzehn en nie mehr daran gedach zu haben, aus Frankreichs geis iger und küns lerischer radi ion zu en weichen. Ihrer heima lichen Sensibili ä blieben alle russischen Küns ler reu, die in den ers en Jahren unseres Jahrhunder s nach Paris kamen und das Ihre zur École de Paris bei rugen. Eine angeborene Expressivi ä , die für ein überflu endes Gefühl keine oder nur wenig Schranken se zende Form anerkenn , zeichne Sou ines Malerei, Chagalls falkloris isch ge ön e räume ebenso wie Zadkines hochgereck e idealisierende Symbolverkörperungen aus. Eine nich immer nur leise Gefühligkei paar sich mi dem Drang zum Monumen alen. Von keinem zei genössischen Bildhauer sind mir soviele geplan e oder ausgeführ e Denkmäler haup sächlich für Dich er (Apollinaire, Rimbaud, Jarry) oder Plas iker (Rodin) bekann . Die in seinem Lebenswerk mehrfach abgewandel e S a ue des Orpheus muß ihrer Gesinnung nach ebenfalls un er diese verherrlichenden o enmaie eingereih werden. Sel sames Wei erleben eines ererb en Klassizismus des Gefühls! Er is im Grunde jener den Geis zur Geis esgröße verklärenden bürgerlichen Eins ellung verhaf e , der die Denkmalplas ik am Ende des le z en Jahrhunder s kennzeichne . Selbs vers ändlich verschwand jeder Anflug von His orismus, nich aber die vers eck e Idealisierung. Modellier Zadkine eine kleine „Ma erni é“, läß die schrei ende Mu er im herabwallenden Rock, ihr Kind an die Brus gepreß , sogleich an ein Monumen denken, dessen Geis von dem heu iger russischer Plas iken zur Verherrlichung der Mu erschaf nich wei en fern is . Zu diesem Eindruck räg die geschlossene realis ische Dars ellungsweise wesen liches bei. Aber bei den anderen Monumen alfiguren, die er durchbrochen, Kon uren und Volumina überschneidend behandel e, kann die unrealis ische Fak ur nich über diesen Kern radi ioneller Geis esvors ellungen hinweg äuschen. Mehr noch: die Form schein ein Man el, der über den Gegens and gebrei e , das Auge zu fesseln, ohne es dennoch abzulenken von dem, was ihm an Gefühlsgehal daran sei langem ver rau is . Zadkine selbs weis uns auf diese seine Komposi ionsweise hin, wenn er schreib : „Eine Plas ik is nich s anderes als ein En wurf aus S ein, Holz oder Bronze; die Formen und Linien, die ihn überziehen, bewahren immerfor das harmonische Géheimnis und die unerklärliche Gabe zu ergreifen.“ Formen und Linien — ein Überzug über Vorgegebenes, kaum mehr als ein Dekor. Ihre Aufgabe is denn auch nich das Ges al en, sondern das Evozieren, die Gefühlsweckung.

Is Zadkine a sächlich ein Plas iker, war die Frage, die ich mir sehr bald s ell e. Welche Rolle spielen Raum und Volumen für ihn? Eine geringe, fas nie eine bes immende. Wie anders erklär e sich in seinen Werken die Spannungslosigkei , mi der Flächen gegen Rundungen oder Winkel gese z werden, mi denen sich Bronzes reifen bandar ig über lange Ma erialeinkerbungen hinwegwinden? Diese Formen sind nich beleb , e wa nach Schwere, as barkei oder Raumfüllung empfunden, sie ragen vielmehr einen ornamen alen Charak er. Sie gliedern und sie s eigern nich größere plas ische Einhei en, sondern sie füllen in der Ar von S richen eine blockhaf e Grundform aus. Zadkine is in a und Wahrhei ein Graphiker mi dem Modellierholz. Man nenn ihn ab und zu einen barocken Plas iker; vorab die Franzosen un das, weil augenblicklich alles, was die ra ional begrenz e und dami s a isch beruhig e Form auflös , in Schwingung und Unruhe verse z , sie passionier . Aber barock is Zadkines plas ische Wel mi nich en: sie reib an der Oberfläche Formverwirrung durch spangen- oder kugelgleiche Hervorquellungen, durch klaffende Aushöhlungen, manchmal Durchlöcherung des Volumens. Dami erreich er bes enfalls ein besonderes Lich spiel auf der Oberfläche, nich aber die Raumwirkung, welche Bildhauerei ans reben müß e. Reizvoll is immer seine Linienführung, nie die En wicklung der Plas izi ä seiner Werke. Und das Ro erdamer Denkmal? Es besi z zweifellos von allen seinen S andbildern die geschlossens e plas ische Wirkung, mag auch von den aufgeworfenen Armen, den verzweifel ausdrucksuchenden Händen eine sprengende Sugges ivi ä ausgehen. An dieser S elle is allerdings Pa hos, Zadkines beschwörender Ausdruckshunger am Pla ze. Formale Flauhei en, En lehnungen bei anderen, bleiben dem Auge nich verborgen, aber das häufig He erokli e seiner Formerfindung ri hier zurück. Den Kopf ausgenommen finden sich nirgends die klein eiligen, den Gesam eindruck verunklärenden Formen. Is Zadkine für die Nachwel der Bildhauer eines Denkmals wie es Dich er eines einzigen Gedich s gib ?

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