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Auf ak zur Wel ka as rophe?

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IN INDIEN, SO WIRD VON ALLEN Sei en, vor allem von offiziellen indischen S ellen, versicher , herrsch keine Hungersno . Es is nich so, daß die Menschen zu Hunder ausenden s erben, daß die Behörden der Anforderung nich gewachsen sind, die Leichen, die sich in den S raßen der S äd e häufen, for zuschaffen.

Die Reisra ion wurde im S aa Kerala von 160 Gramm äglich auf 120 Gramm herabgese z und kürzlich wieder auf 140 Gramm erhöh . Für eine Bevölkerung, die sich fas ausschließlich von Reis ernähr , bedeu e das Hunger, grausamen, zermürbenden Hunger, aber nich den od in wenigen agen oder Wochen.

Wie sich die Lage in Indien in den nächs en Mona en ges al en wird, läß sich nich Vorhersagen. Die Vorrä e an Ge reide und anderen, vor allem ierischen Nährs offen, die heu e in der Wel verfügbar sind, reichen vielleich , um die drohende Ka as rophe in Indien abzuwenden, dem indischen Volk zu ges a en, das Jahr 1966 ohne ein ungeheuerliches Massens erben durch Hunger zu übers ehen.

Was wird aber geschehen, wenn im Jahre 1967, im Jahre 1968 neue Mißern en in Indien, vielleich auch in der Sowje union, in China ganze Völker Asiens dem Hunger ausse zen?

Vor wenigen Jahren s ell e niemand das Problem, sah es niemand. Man se z e einfach voraus, daß durchschni liche Ern en und eine langsam s eigende agrarische Produk ivi ä den un eren wickel en Massen wenigs ens ihre armseligen Reis- oder Wedzenra ionen sichern würden. Daß die hochindus rialisier en Länder Europas und vor allem Nordamerikas dazu berufen sein soll en, die Hungerka as rophe durch ihren Überschuß an Ge reide, Milch und Fleisch abzuwehren, kam niemandem in den Sinn. Die Vereinig en S aa en leg en' wohl verhäl nismäßig bedeu ende Vorrä e an, die wes europäischen Agrarproduzen en, vor allem Frankreich, lager en die Überschüsse, die sie nich verkaufen konn en. Diese Poli ik der Lagerung war zum eil als s aa liche Un ers ü zung der Landwir schaf gedach , nebenbei spiel e in den Vereinig en S aa en der Gedanke mi , daß es für alle Fälle nü zlich sein kann, Nahrungsmi el zu speichern.

WIE WENIG ERNS , wie wenig planmäßig und poli isch die Vorra sbildung vor sich ging, ergib sich aus der a sache, daß die USA bedenkenlos von 1963 an ihre Silos und Vorra skammern leer en und die anderen großen Agrarproduzen en, Kanada und Aus ralien allen anderen voran, nich davon abhiel en, den größ en eil der Vorrä e an Rußland und China zu verkaufen. Diese beiden Völker, insbesondere das russische, waren nich der Gefahr einer Hungerno ausgese z , sondern bloß den Unannehmlichkei en einer schlech en Ernährung. Die Lagerhal ung kos e Geld und Mühe, und die Vereinig en S aa en waren glücklich, mi Hilfe der russischen Ge reidekäufe ihre in erna ionalen Zahlungsschwierigkei en zu mildern.

Noch im Jahr 1955/56 wurden die russischen Ge reidekäufe in der Wel auf 11 Millionen onnen, die chinesischen auf 5 bis 6 Millionen geschä z . Un erdessen schlug sich die Europäische Wir schaf sgemeinschaf mi den Agrarproblemen herum und ging darüber fas in Brüche. Die Fes se zung eines gemeinsamen Ge reidepreises war schwierig, denn Frankreich und I alien woll en einen niedrigen Preis haben, die anderen Par ner, vor allem die deu sche Bundesrepublik, einen hohen Einhei spreis. Der deu sche Ge reidebau is a sächlich nur bei hohen Preisen ren abel; sinken die Preise un er gewisse Grenzen, so is zu befürch en, daß die Landwir e den Anbau aufgeben und Deu schland wie in früheren Jahren seine Ernährung zum größ en eil aus dem Ausland beziehen müß e. In Frankreich und I alien, deren Boden und Klima güns igere Bedingungen schaffen, würden hohe Ge reidepreise die Bauern veranlassen, den Anbau von Bro früch en zu erhöhen, während diese Länder darauf aus sind, ihre Landwir schaf auf Quali ä s- und Luxusproduk e umzus ellen, die sich besser expor ieren lassen.

Im Grunde ver re en beide eile einen reak ionären S andpunk — die einen huldigen dem in der Zei der Wir schaf sgemeinschaf en überhol en Prinzip der Au arkie, die anderen sind bes reb , durch eine Poli ik des Wir schaf smal husianismus den Anbau der wich igs en Nahrungsmi el, von denen heu e das Dasein von Hunder en von Millionen Menschen in der Wel abhäng , zu drosseln.

AUCH IN AMERIKA HABEN die Farmer übrigens die Anbaufläche reduzier , da die Produk ion hochqualifizier er Lebensmi el ren abler is als der Ge reidebau. Niemand kann es ihnen zum Vorwurf machen. Ob die Regierung des reichs en Landes der Wel nich besser ä e, un er finanziellen Opfern den Ge reidebau anzuspornen, is freilich eine andere Frage.

Das Ergebnis is , daß heu e in der Wel die Weizenvorrä e von 57 Millionen onnen im Jahre 1961 auf weniger als 40 Millionen onnen gesunken sind und jene der Vereinig en S aa en un er die heore ische Sicherhei sgrenze von 17 Millionen zu fallen drohen, wenn Amerika dem hungernden Indien die versprochenen Mengen liefer — es geh um 10 bis 15 Millionen onnen Weizen, wobei die obere Grenze die wahrscheinlichere is .

Man begreif die vorsich ige (oder besser gesag , unvorsich ige) Poli ik der USA und der EWG, wenn man bedenk , daß in den reichen Ländern, die nich an Nahrungsmangel, wohl aber of an Überschüssen leiden, die landwir schaf liche Produk ivi ä s ändig zunimm . Dank dem Gebrauch landwir schaf licher

Maschinen, ausgewähl en Saa gu s, der zweckmäßigen Ernährung des Bodens durch Kuns dünger is der Hek arer rag in Nordamerika, in Wes europa, in Japan be räch lich ges iegen, während in Asien, in Afrika, in La einamerika das Wachs um sehr langsam vor sich geh und infolge häufiger rockenhei sperioden und Mißern en im Durschni s agnier . Asien ohne China und Japan erzeugen sei 1960 e wa 150 Millionen onnen Ge reide und 170 Millionen onnen Reis jährlich für eine Bevölkerung von 900 Millionen Menschen im Jahre 1960, von über einer Milliarde heu e, von eineinhalb Milliarden in 15 Jahren.

Man ermiß die ungeheuerliche ragwei e der landwir schaf lichen Produk ivi ä , wenn man den Er rag in Kilogramm eines Acres (ungefähr 0,4 Hek ar) Boden für Reis und für Weizen in verschiedenen Ländern gegenübers ell :

DER GEDANKE LIEG NAHE, die Unguns der Na ur für solche Un erschiede veran wor lich zu machen.

a sächlich gib es Länder, namen lich jene mi verschiedenar igen Klimazonen und im großen ganzen gemäßig em Klima, wie die Vereinig en S aa en, Frankreich, I alien, die nur sel en un er Mißern en leiden, während e wa in Indien das Ausfallen des Monsunregens ausreich , um die Ern eer räge um 10, 20 und mehr Prozen sinken zu lassen. Auch in Gegenden mi kal em Klima sind die Schwankungen der Ern eer räge be räch lich, was für Rußland, aber auch für das reiche Weizenland Kanada gil .

Berich e der FAO beweisen jedoch, daß durch Verwendung von Kuns dünger, Bewässerung, Schädlingsbekämpfung, verbesser e Speicherung, Auswahl qualifizier en Saa gu s in Ländern, die als besonders benach eilig gel en, ansehnliche Er ragss eigerungen erziel werden: in der ürkei mi 120 kg Pflanzennährs off pro Hek ar eine Er ragss eigerung von 85 Prozen ; im Libanon mi 52 kg — 101 Prozen ; in Ghana mi 44 kg — 52 Prozen , in Ekuador mi 45 kg — 71 Prozen .

Nach dem amerikanischen Exper en Raymond Ewell müß e der Verbrauch an Kuns dünger in Asien

(ohne China und Japan), Afrika und La einamerika von 4 Millionen bis 1970 auf 15 Millionen onnen und bis 1980 auf 30 Millionen onnen s eigen, um der wachsenden Bevölkerung (e wa 1600 Millionen heu e, 1800 Millionen im Jahre 1970, 2250 Millionen im Jahre 1980) die dürf ige Ge reidera ion von 450 Gramm äglich zu sichern.

Mi Pflanzennährs offen allein is es freilich nich ge an. In Indien — um wieder auf jenes Land zurückzukommen, das heu e in so aufdringlicher Weise das Problem der Ernährung und des Hungers der Menschhei ins Bewuß sein bring — wurden in den le z en 15 Jahren 33 Millionen Acres neuen Landes bebau und die bewässer e Fläche s ieg von 51 Millionen Acres auf 85 Millionen. Wei ere 100 Millionen Acres könn en bewässer werden, was eine be räch liche S eigerung des Er rags, namen lich an Reis, bringen würde; wo heu e zwei oder drei Ern en im Jahr möglich sind, könn e sechs- bis ach mal geern e werden, und dies auf einer viel größeren Kul urfläche als der heu e bebau en.

Die Na ur allein is also nich die große Veran wor liche. Der Mensch is und bleib Herr seines Schicksals innerhalb wei gezogener Grenzen. Vergessen wir nich , daß die reichen, wohlgenähr en Länder Europas noch vor eineinhalb Jahrhunder en, vor sechs bis sieben Genera ionen, an periodischen Hungersnö en li en, daß die durchschni liche Lebenserwar ung un er 30 Jahren lag, daß vor weniger als 200 Jahren die Einführung der Kar offel in Europa auf den Widers and der Bauern s ieß — einige der bes en und edels en Geis er se z en sich in den Diens der Propaganda, Ma hias Claudius schrieb damals sein „Kar offellied“, das in seiner beschwing -naiven onar für den Anbau der neuen Nährfruch warb.

GLEICHGÜL IGKEI , FA ALISMUS, PASSIVI Ä , aber auch Ignoranz, Analphabe ismus, Kas endünkel, Aberglaube aller Ar räg dazu bei, die Einführung besserer Landwir schaf sme hoden zu verhindern. Wir wollen gar nich von dem Konflik zwischen Indien und Pakis an sprechen, der eine ra ionelle Nü zung des Wasserreich ums beider Länder in wei en Gebie en unmöglich mach . Der Milcher rag der indischen Viehzuch könn e wesen lich gehoben werden, würde e wa ein Dri el des Bes andes an Kühen geopfer werden; doch gil die Kuh als „heiliges ier“, das man elend verhungern lassen, aber nich schlach en darf. Aus Unwissen, aber auch un er dem Einfluß der s rengen Kas en rennung erfolg die Ver eilung des Wassers zwischen den Feldern der Dorfbewohner of auf eine Weise, die zur Vergeudung und manchmal zur Versalzung dies Bodens durch die Hebung des Grundwasserspiegels führ .

In manchen eilen Indiens weiger sich die Bevölkerung, von ihrer gewohn en Nahrung abzugehen. Im Süden essen die Menschen Reis, nich s als Reis. Fehl es an Reis, so lehnen sie ro zdem den Weizen ab. Die Folgen sind verhängnisvoll, aber die Appelle der neuen Lei erin der Geschicke Indiens, Indira Gandhi, verhallen wirkungslos.

Nich nur die unwissenden Volksmassen, auch die echniker, die Na ionalökonomen, die Früch e englischer Universi ä en und der Lon- den School of Economics, haben Irr ümer begangen, die sich je z schwer bezahl machen.

Im Ver rauen auf die regelmäßigen Ge reidelieferungen Amerikas konzen rier e Indien seine wir schaf lichen Bemühungen, namen lich den größ en eil der Inves i ionen auf den Aufbau und den Ausbau seiner Indus rien. Im Jahresdurchschni blieb das Wachs um der Ge reideproduk ion hin er dem der Bevölkerung zurück: 2,3 Prozen im Jahr gegen 2,5 Prozen . Ers in jüngs er Zei wurde ein Plan aufges ell , der Indien bis zum Jahre 1971 von Ge reideeinfuhr unabhängig machen soll. Ob der Weg von den Büros der Planungskommission bis zu den Feldern der 500.000 Dörfer Indiens zu Ende gegangen werden kann, is freilich eine offene Frage

Wir sprachen schon von Indien, aber das Problem des Hungers, des Ge reidemankos, des Ernährungs- defizi es s ell sich für zwei Dri el aller Menschen und wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen.

DASS DER HUNGER KEIN unabwendbares Fak um is , wissen wir. Wir schaf swissenschaf ler, allen voran der Lei er des Oxforder Ins i- us für Agrarwir schaf , Colin Clark, sind ro z des wachsenden Abs ands zwischen der ans eigenden Bevölkerungskurve und der kaum s eigenden Kurve der Nahrungsmi elproduk ion op imis isch. Sie rechnen vor, daß bei zweckmäßiger Nu zung der Er rag der Erde um ein Vielfaches ges eiger werden kann, daß das Meer Reich ümer an Pro ein, Vi aminen und ierischen Kalorien en häl , von denen ein winziger Bruch eil zur Ernährung der Menschen herangezogen wird.

Allerdings versagen alle Berechnungen solcher Ar vor dem menschlichen Fak or. Wenn sich hunder e Millionen hungernder Menschen weigern, den Ra schlägen der echniker zu folgen, wenn der Analphabe ismus ganze Völker und Länder unfähig mach , neue echniken der Agrarproduk ion zu erlernen, wenn es in der Wel , in den hochen wik- kel en Indus ries aa en wie in den rücks ändigs en Agrargebie en, an Lehrern, an Ins ruk oren fehl , wenn in wei en eilen Süd- und Zen ralamerikas die Besi zverhäl nisse den größ en eil des Bodens einer parasi ären Oligarchie überlassen und ihn so der Bewir schaf ung en ziehen, so sind die Berechnungen der Exper en, die in Kalorien, in Hek ar, in Wassermengen rechnen, nich in Einhei en, die den gu en Willen, die In elligenz, das Wissen der Menschen messen, fruch los.

Jene, die die Ernährung der Menschen wenigs ens auf bescheidener Grundlage durch eine mal husia- nis ische Bevölkerungspoli ik sichern wollen, übersehen, daß die Gebur enkon rolle, wenn sie überhaup bei analphabe ischen, fa alis ischen, im S ammesdenken befangenen Bevölkerungen möglich is , jedenfalls ers in vielen Jahren, vielleich in Jahrzehn en zu einer fühlbaren En spannung führen kann. Die Gefahr einer Hungersno , einer Wel ka as rophe, die Hunder e von Millionen darbender Menschen hinwegraffen würde, droh nich für das Jahr 2000, sondern für die kommenden zehn bis fünfzehn Jahre.

Die Wel kampagne gegen Hunger und No ha durch den Vorsi zenden ihres französischen Komi ees, Gabriel Arden , einen Plan ausgearbei e , der als Grundlage dienen könn e. Noch is es nich zu spä , den Kampf gegen den Hunger aufzunehmen. Jedes Jahr, das vergeh , bring uns jedoch jenem Punk näher, an dem die Ka as rophe unabwendbar würde.

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