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Regierung und Opposi ion

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„Die Duldung, Anerkennung und schließlich Ins i u ionalisierung parlamen arischer Opposi ion is eines der ers aunlichs en und reifs en Erzeugnisse poli ischer Kul ur — bedeu samer vielleich für die Ausbildung des Verfassungslebens und die Gewährleis ung bürgerlicher Freihei als die Proklama ion der Volkssouveräni ä und als die Dok rin der Mehrhei sherrschaf ."

Dolf S ernberger

Parlamen arismus und Bundespräsiden

Ös erreich is keine rein parlamen arische Demokra ie. Die dem Parlamen veran wor liche Regierung wird vom Bundespräsiden en ernann , sie basier auf präsiden- iellem Ver rauen einersei s, auf parlamen arischem Ver rauen andersei s. Die S aa slehre sprich in bezug auf ein solches Verfassungssys em von dualis ischem Parlamen arismus. Dies bedeu e , daß der Präsiden neben dem Parlamen eine au onome Gewal is . Im Gegensa z zu den In en ionen der Verfassungsnovelle 1929 haben sich auch in der Verfassungsreali ä keine Ansä ze zum präsidialen Regime en wickel .

Der Grund dafür lieg in dem Ums and, daß gerade die räger der durch diese Novelle ausgebau en und aufgewer e en Bundespräsiden schaf von ihrer rela iv s arken S ellung kaum Gebrauch machen. Das dieser Novelle zugrunde liegende Par ei- und parlamen sfeindliche Konzep wurde von den ös erreichischen Bundespräsiden en nich vollzogen. Im Gegensa z zu S aa en mi ähnlicher Verfassung bes ehen zwischen Parlamen und Präsiden auch keine Spannungen. Die Bundespräsiden en, in der Regel auch erfahrene Parlamen arier, nahmen am Mach prozeß nur insofern eil, als sie die jeweiligen Meinungsund Mach posi ionen der beiden Großpar eien in bezug auf die zu wählende Regierungs echnik sank ionier en. Sie haben ihre s arke Posi ion nie aufs Spiel gese z . Durch diese zurückhal ende Poli ik haben sie an moralischer Au ori ä gewonnen. Der Bundespräsiden is das moralische Höchs organ des Verfassungslebens. Ein Wor Bage- ho s variierend, könn e man sagen, daß der Bundespräsiden an der Spi ze des dignif ed par der Verfassung s eh . Die efficien par s sind die Chefs der Großpar eien, im Koali ionsregime Bundeskanzler und Vizekanzler, im Regierungs-Opposi- ionsregime der Bundeskanzler als Chef der Mehrhei spar ei und der Opposi ionsführer, der Chef der größ en Minderhei .

Solange die Wähler keiner der beiden Haup par eien das en scheidende Übergewich einräum en und solange der Wille der beiden Haup par eien auf die Bildung einer Koali ionsregierung abziel e, ha der Bundespräsiden das Koali ionsregime legi imier . Das nun gezeig e Verhal en der beiden Großpar eien ha den Bundespräsiden en veranlaß , eine für die Zwei e Republik neue Regierungsweise in ins allieren.

Der Bundespräsiden , der Herr der Regierungsbildung is , hä e von Verfassunigs wegen die Möglichkei gehab , die For se zung der Koali ion durchzuse zen. Es wäre kaum zu einer Gel endmachung der rech lichen oder der poli ischen Veran wor lichkei des Bundespräsiden en gekommen. Ein Anlaß für die Gel endmachung der rech lichen Veran wor lichkei wäre überhaup nich gegeben gewesen, die Gel endmachung der poli ischen Veran wor lichkei wäre durch das Kräf everhäl nis der Par eien im Na ionalra von vornherein zum Schei ern verur eil gewesen. Der Bundespräsiden ha aber radi ionellerweise den Willen der beiden s aa s ragenden Par eien in bezug auf die zu wählende Regierungsweise respek ier . Das Widerspiel zwischen Regierung und Opposi ion begann sub auspiciis praesiden is.

Parlamen und Regierung

In der kons i u ionellen Monarchie war das Parlamen das Gegengewich der vom Monarchen ge ragenen Exeku ive. In der parlamen arischen Demokra ie s ehen sich nich mehr Monarch und Volksver re ung, sondern Mehrhei und Minderhei gegenüber. Der S aa wird nich von Monarch und Volksver re ung ge ragen, sondern von den Par eien in der Ges al von Regierung und Opposi ion. Das Parlamen s eh nich als Ganzes und Anderes der Exeku ive gegenüber, is von dieser nich ge renn , arbei e nich isolier . Es en häl sowohl die regierenden als auch die opponierenden Mäch egruppen des S aa es; die Regierung wird von der Mehrhei gebilde . Dadurch ergib sich ein enger Zusammenhang zwischen gese zgebender und vollziehender Gewal . Legisla ive und Exeku ive bilden eine funk ionale Einhei . Aus dem Spannungsverhäl nis Regierung—Parlamen , das für die kons i u ionelle Monarchie ypisch is , wurde das Spannungsverhäl nis von regierender und opponierender Par ei. Die Bes immung und Ausführung der poli ischen Grunden scheidungen sind Aufgabe der regierenden Mehrhei . Als Si z der opponierenden Minderhei ha das Parlamen aber außer der Gese zgebung, die im wesen lichen eine Sache der Mehrhei is , eine besondere Funk ion. Sie bes eh darin, der Opposi ion Gelegenhei zu geben, die poli ischen En scheidungen der Mehrhei zu kri isieren, zu kon rollieren und eine Al erna ivpoli ik zu en werfen. Dadurch en s eh eine besondere Gewal en eilung und Balance: Das Neben- und Gegeneinander von Regierungspar ei und Opposi ionspar ei.

Regierung und Opposi ion

Will eine Verfassung lebensfähig sein, soll sie zwei Ziele ermöglichen: Eine ak ionsfähige Regierung einersei s und eine effek ive Kon rolle andersei s. Die die Mehrhei repräsen ierende Regierung soll die Mach mi el haben, ihre poli ischen Ziele durchse zen zu können. Die die Minderhei repräsen ierende Opposi ion soll die Mach mi el haben, einen Mißbrauch der Mach durch die Regierung zu verhindern. Nur wenn eine Verfassung diesen Forderungen en sprich , wird das Regierungs-Opposi ions-Regime funk ionieren. Das Wesen dieses Regimes lieg in der Verbindung von veran wor licher Führung (Regierung) und veran wor licher Kon rolle (Opposi ion). Ini ia ive und Ak ion s ehen der Regierung zu, Kri ik und Al erna ivkonzep der Opposi ion. Ohne s arke, ak ionsfähige Regierung degenerier der Parlamen arismus; es is Sache der Regierung, das Gese z des Handelns möglichs zu behal en. Die Opposi ion ha dagegen die poli ische Al erna ive den Wählern und der Regierung zu Bewuß sein zu bringen. Die die Wahlen zum Parlamen gewinnende Mehrhei ha zwar zu regieren, der Minderhei , der Opposi ion, is aber eine Mi veran wor ung zugewiesen. Sie is der andere Mo or der Poli ik.

Die Haup funk ionen der Opposi ion sind Kri ik und Kon rolle der Regierungspoli ik einersei s, das Herausarbei en des Konzep es einer Al erna ivpoli ik und das Berei hal en einer Al erna ivregierung (Scha enkabine ) andersei s. Die Erfüllung jener Aufgabe kann zur bloß des ruk iven Polemik verführen, diese Aufgabe aber kann nur kons ruk iv erfüll werden. Denn nur eine kons ruk ive Opposi ion kann dami rechnen, die Regierungspar ei in der Führung des S aa es abzulösen. Auf diese Abiösung sind aber S ra egie und ak ik der Opposi ion ausgerich e .

Im Namen der siegreichen Par ei repräsen ier die Regierung zwar die Na ion, die Opposi ion repräsen ier aber den s ändigen Fluß der öffen lichen Meinung. Als Sen- sorium der Öffen lichkei ha sie die Übereins immung der Regierungspoli ik mi der öffen lichen Meinung zu überprüfen. Sie ha die Regierung immer wieder zur Rech fer igung zu ziehen und ha so eine moralische Funk ion gegenüber der prak ischen Funk ion der Regierung.

Durch das S ellen von Zusa z- und Abänderungsan rägen bei Regierungsvorlagen kann die Opposi ion die Regierungspar ei zur Mo iva ion der Regierungsvorlagen und poli ischen Legi ima ion des Regierens schlech hin zwingen. Es komm nich nur zu einem Regierungsprogramm, sondern auch zu einer Regierungsbilanz. Unzufriedenhei der öffen lichen Meinung kann eine Pendelbewegung der Wähler in Rich ung der Opposi ion bedeu en. Die Regierung repräsen ier nich mehr die Mehrhei der Wähler und dami auch nich die Na ion. Bei dieser Si ua ion komm es zum Ausschreiben von Neuwahlen und zur Auflösung des Parlamen s. Das Wahlvolk soll als Schiedsrich er sprechen. Regierung und Opposi ion haben sich neu zu legi imieren. Hin er diesem Sys em s eh nämlich le z lich der Gedanke, daß das Volk bei den Wahlen Rich er is , der zwischen zwei Gruppen zu en scheiden ha .

Vorausse zungen

Für das Funk ionieren des organisier en We s rei s um die demokra ische Legi ima ion sind verschiedene Vorausse zungen nö ig. Es muß rech lich die Möglichkei bes ehen, daß die Minderhei jederzei Mehrhei werden kann. Eine Vorausse zung in der poli ischen Wirklichkei is wei ers das Bes ehen zweier sich ablösender Großpar eien. Nur bei einem Zweipar eiensys em sind ech e Al erna iven möglich. Bei Regierungkoali ionen und Opposi ionskoali ionen re en sie weniger klar hervor. Der Idealfall is , daß einer par eihomogenen Regierung eine homogene Opposi ion gegenübers eh . Hier wird der We s rei ech sein. Wenn einer he erogenen Regierung eine homogene Opposi ion oder einer homogenen Regierung eine he erogene Opposi ion gegenübers eh , verwischen sich die Al erna iven. Eine große Bedeu ung ha das Größenverhäl nis von Mehrhei und Minderhei . Nur eine s arke Opposi ion en wirf eine ech e Al erna ive für morgen zur Regierungspoli ik von heu e. Ihre Loyali ä und Legi imi ä wird um so größer sein, je mehr Aussich darauf bes eh , daß sie die nächs en Wahlen gewinn .

Der Dualismus der Par eien soll nich absolu , sondern nur rela iv sein. Das bedeu e , daß sich die Gegnerschaf der beiden Konkurren en nur auf un ergeordne e Ziele und auf die Mi el ers reck , die allgemeinen Anschauungen aber und die Grundlage der Ordnung von beiden Sei en anerkann werden. Ein absolu er Dualismus, bei dem sich die Gegnerschaf auf die Grundlagen der Ordnung selbs bezieh , auf die Gesam konzep ion des Lebens, und dami zu einem Religionskrieg wird (Duverger), verse z dieser Regierungsweise den odess oß. Je mehr da Ideologisch-Poli ische bei den Par eien zurück ri , je mehr das Prak isch-Poli ische in den Vordergrund rück , je mehr sich also die Auffassungen der Gegner nur dem Grade nach un erscheiden, um so eher funk ionier das Sys em. Die Baugese ze des S aa es müssen von beiden Par eien bedingungslos eingehal en werden. Der We bewerb soll ja nich zu einer Aufspal ung der Na ion führen, im Gegen eil, er soll die Na ion Zusammenhal en. Einigkei in den Grundfragen, na ionale Solidari ä , Veran wor ungsfreudigkei , Freihei sbewuß sein, oleranz Andersdenkender und Respek vor der Minderhei , maßvolles Verhal en gegenüber dem Gegner sind Kardi- nai ugenden dieser Regierungswedse.

Verfassungs reue Opposi ion

Die heorie der verfassungs reuen Opposi ion wurde von Lord Bolin- broke für das England des 18. Jahrhunder s herausgearbei e . Als geis iger Führer der Opposi ion wies er dieser die Funk ion eines Hü ers der Verfassung und rägers der Vernunf gegenüber der regierenden Mehrhei zu. Er präg e für dieses Sys em das Schlagwor „al erna iv Sys em of conduc “. Dies bedeu e nach Siegfried Landshu ein poli isches Gesam verhal en, das zum Ziele ha , ein anderes Generalkonzep vom Allgemeinwohl durchzuse zen, jedoch auf Grund einer die Einhei und die Kon inui ä der S aa spoli ik wahrenden Gemeinsamkei mi der Mehrhei vor und jensei s aller Al erna iven.

Parlamen arisches Regieren is ja nich durch das Verhäl nis Freund- Feind, Ausbeu er—Ausgebeu e e,

Eli e—Masse charak erisier , sondern durch das faire Verhäl nis zweier We kämpfer, die die Wählerschaf für sich gewinnen wollen. Es is zu hoffen, daß auch Ös erreich eine heorie und Praxis der loyalen und offiziellen Opposi ion erleben wird.

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