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Kirche im neuen Europa

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Der Erzbischof von Wien, Kardinal Dr. Franz König, sprach vor mehr als hunder Delegier en des 2. Europäischen Kongresses für das Laienapös ola in S . Pöl en über das hema „Die Chance der Kirche in einem veränder en Europa". Wir bringen im folgenden eile aus dem Vor rag von Kardinal König im Wor lau .

Wir haben hier in Ös erreich an Europa geglaub , und wir glauben zu seiner Umges al ung, zur Neuges al ung, zum Neuaufbau der Wel in sich. Was die Wel heu e an gu en und an bösen Gedanken denk , an gu en und bösen a en vollbring , das sind Gedanken, die wesen lich zuers in Europa gedach wurden. Auch der Gedanke des Konzils is nich irgendwo in der Wel , sondern in Europa en s anden. Auch die neue heologie, die das neue An li z der Kirche bes imm und ihr Bewuß sein beeinfluß , ha abendländische Einhei in der Vielfal nur zu vers ehen von jener Einhei und Freihei her, die in idealer Weise aus dem Wesen der Kirche hervorleuch e . Auch im veränder en An li z Europas von heu e is zu erkennen, daß es herausgewachsen is aus einer Glaubenseinhei , aufgebau auf den augus i- nischen Quaders einen, auf einer Rech seinhei , die im Paps um und Bischofsam die Grundlage für die organisier e S aa swerdung des Abendlandes akzep ier e; is herausgewachsen aus jener Kul ureinhei , die durch das Band der la einischen Sprache im Mi elal er, die römische Li urgie, die romanische und go ische Kuns , die mi elal erlichen Klös er als Kul urzen ren ausgedrück wird und als uns erbliche Gabe des Abendlandes an die Wel kul ur wei ergereich wurde. Durch diese drei Fak oren — die Glaubenseinhei , die Rech seinhei und die Kul ureinhei — is das Abendland geben schein , res los auskos en will. Der Verlus der radi ion bei Millionen von Menschen, die wei gehende Ablehnung persönlicher Veran wor ung und persönlicher Bindung im menschlichen wie im poli ischen Bereich, das Schwinden des Bewuß seins der Solidari ä , an welche die Genera ion der Vä er und Großvä er noch in ihrem e hischen und poli ischen Handeln sich gebunden wuß e, läß die Versuche einer wel anschaulichen und poli ischen Erziehungsarbei auf wei e S recken fragwürdig erscheinen.

Is es nich ein Beweis für die Einhei dieses Kon inen s, ja für die Einhei der ganzen Wel , daß die grundlegenden Probleme, die Sorgen und Nö e über alle poli ischen Grenzen hinweg, über alle gesellschaf lichen, wir schaf lichen und wel anschaulichen Grenzen hinaus im Grunde dieselben sind? Es is nich nur die Mode, der anz und sie wirklich eine ökumenische Kirche sein wird, eine Kirche des Erdkreises und eine Kirche aller Völker. Auch in diesem Sinne gil das Wor der Schrif , daß im Hause des Va ers viele Wohnungen sind. Wir haben bisher nur wenige bezogen.

Ha die im Konzil erneuer e Kirche in einem veränder en und sich verändernden Europa, in der veränder en Wel überhaup eine Chance? Worin bes eh dann die Chance der Kirche heu e? Vielleich haben es frühere Genera ionen mi ihrer An wor leich er gehab . Sie haben unbekümmer von der „Wiederverchris lichung“ der Wel gesprochen, als genüge es, einige organisa orische Mißs ände zu diesem Zweck zu besei igen. Heu e sind wir vorsich iger geworden. Die Skepsis allen großen Wor en gegenüber ha uns hellhörig gemach , auch gegenüber der religiösen Phrase. Schon in dem Wor e Wieder- verchris lichung lieg die äuschung,

heu e nich weniger daran, an jenes Europa, dessen Schni linie eins mi en durch unser Land ging. Wir gelob en uns damals, diese rennungslinie niemals anzuerkennen, weil wir an die Einhei unseres Volkes und S aa es glaub en. Wenn wir diese rennungslinie, die heu e ös lich unserer S aa sgrenzen verläuf , ebenso schmerzlich und unna ürlich empfinden, so soll dies ein Beweis dafür sein, daß wir an die Einhei dieses Kon inen es glauben, an das Europa vom A lan ik bis zum Ural, an eine Einhei , die über alle Mach blöcke hinausreich , an eine Einhei , die nich durch Mach und Gewal geschaffen werden kann, sondern nur durch eine geis ige Überwindung des rennenden, durch den Glauben an die Zukunf , durch die Hoffnung, daß Einsich mehr vermag als Gewal , und vor allem aber durch die Geduld.

Neben dem Keim zu seiner Vernich ung räg dieses al e und of o gesag e Europa auch den Keim in Europa ihren Ursprung. Die großen Visionen eines eilhard de Chardin sind zwar in den unendlichen Wei en asia ischer Wüs en konzipier und in den S einwüs en amerikanischer Großs äd e schrif lich fixier worden, aber sie waren Visionen eines Europäers. Aber diese Gelehr en, Forscher und heologen haben — und das is das Neue — in ihren Gedanken und a en nich mehr Europa allein vor Augen gehab , sondern ihren Blick auf die ganze Wel gerich e . Ein Europa, das sich in Resigna ion oder in Überheblichkei abschließ , is ein o es, ein zum S erben verur eil es Europa. Das andere Europa, das über sich hinausdenk , Veran wor ung für die ganze Wel empfinde — ich meine nich eine Veran wor ung der Mach und der Herrschaf , sondern eine Veran wor ung des Diens es und des Opfers —, ein Europa, das fähig is , Geis aufzunehmen, wird auch fähig sein, der Wel Geis und Ini ia ive zu geben; es wird das Schicksal der Wel auch in Zukunf mi bes immen, so wie die Veränderungen in diesem Europa sei einem halben Jahrhunder das Schicksal der ganzen Wel wesen lich mi bes imm haben.

Der Prozeß der europäischen In egra ion war nich nur ein his orischer und soziologischer, sondern im wesen lichen auch ein religiöser Vorgang. Auch das Europa der Neuzei is jenes s aa lich vielfäl ige, geopoli isch und kul urell immer noch einhei liche Gebilde, das auf dem zerfallenden wes lichen Imperium der Römer durch den einigenden Einfluß des ka holischen Chris en ums und der la einischen Kul ursprache en s and. Auch im veränder en An li z des heu igen Europa is die europäische und zu einer Einhei , zum „unum Corpus Chris ianum“, als Grundidee der mi elal erlichen Rech s- und Gesellschaf sordnung geworden. Ers durch die langsam einse zende Säkularisierung der mi elal erlichen Wel , durch die Kirchen- und Glaubensspal ung, den Ra ionalismus der Aufklärung is die Sprengung des „corpus Chris ianum“ in die Wege gelei e worden. Weder die Res aura ionsversuche noch eine Heilige Allianz konn en den for schrei enden Verfall aufhal en.

Die bi eren Erfahrungen der beiden Wel kriege und der na ionalen Dik a uren, der Zusammenbruch des humanis ischen Kul urop imismus und For schri glaubens, die Bildung der gewal igen Os - Wes -Blöcke haben in dem aus hunder Wunden blu enden Europa wiederum eine Neubesinnung auf seine durch das Chris en um geschaffenen Grundlagen eingelei e .

Durch den Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie und die Folgen des zwei en Wel krieges is die poli isch- erri oriale Ordnung Europas schließlich wei gehend zers ör worden. Außereuropäische Mäch e bes imm en maßgeblich das poli ische Schicksal des ganzen Kon inen s.

Die poli ische Schwerpunk verlagerung und der ma erielle Aufs ieg haben im Bewuß sein vieler Europäer eine geis ige Wandlung hervorgerufen. Der rügerische Gedanke, keine poli ische Veran wor ung für das Schicksal der Wel mehr zu haben, und das s eigende Angebo an Gü ern führ e zu einer Ar ma eriellen Besessenhei , zu einer Konsumwu , zu einem Abbau moralischer Schranken, zu einer Vergnügungs- und Genußsuch , die den Augenblick und das, was er zu die Musik, welche die Grenzen überschrei en. Es is nich nur die Jugend, deren Ausdrucksformen und gelegen lichen Exzessen man im Wes en und im Os en gleich hilflos gegenübers eh . Die Scheu vor der Veran wor ung, die Such nach dem Lebensgenuß, das Zurückweichen vor dem persönlichen Engagemen werden hier wie dor beklag . Aber nich nur im Nega iven kann man diese Einhei sehen. Es wächs hier wie dor eine neue Genera ion heran, die kühler, dis anzier er, sachlicher is , die, allen Phrasen abhold, miß rauisch den Vä ern und ihren großen Wor en gegenübers eh , die faszinier is von der echnik und ihren Möglichkei en. Diese Genera ion is unvoreingenommen, sie is wohl ehrlicher, aber zugleich auch skep ischer. Diese Skepsis, dieses' Miß rauen vorgegebenen und fer igen Lösungen gegenüber kann na ürlich auch in einen Nihilismus und in eine völlige Wer indifferenz umschlagen. Auch das sind deu liche Züge im veränder en An li z Europas.

In diesem Europa, poli isch zerrissen und seelisch gefährde , schwankend zwischen heilsamer Unruhe des Herzens und der ödlichen Ruhe sa en Genießens, s eh die Kirche. Diese Kirche war durch Jahrhunder e eine europäische Kirche. Wir haben uns sosehr an das europäische Kleid unserer Kirche gewöhn , daß wir ganz vergessen haben, daß dieselbe Kirche einmal eine asia ische ebenso wie eine afrikanische Kirche war, eine Kirche der Juden, der Griechen und der Barbaren. In der Zukunf wird es vielleich einmal eine amerikanische oder eine asia ische oder eine afrikanische Kirche sein — das heiß auch sein, dann nämlich, wenn als ob diese Wel schon einmal ganz chris lich gewesen wäre. Sie ha ohne Zweifel in manchen eilen der Wel s ärker als heu e ein chris liches An li z gehab . Aber wir wissen auch, daß eine chris liche Fassade brüchig sein kann und eine roman ische Sehnsuch nach al en Zei en is heu e nich mehr am Pla z.

Wir wissen, wie sehr die Ver- chris lichung dieser Wel auch in Zukunf S ückwerk sein wird. ro zdem müssen wir die Bo schaf von der Erlösung und vom Heil, das Go Seiner Kirche anver rau ha , jederzei und jedem Or e anbie en. Dami die Kirche mi ihrem Auf rag in der heu igen europäischen Umwel glaubhaf sein kann, muß sie beglei e sein von einem menschlichen Diens , von einem mi menschlichen Diens , den die Kirche zu geben berei is . Die Funk ion der Kirche in dieser veränder en Wel kann niemals eine Funk ion des Herrschens, eine Funk ion von Mach und Einfluß sein. Sie wird heu e besonders darauf Wer legen müssen, daß die Funk ion des Dienens und des Diens es an allen Menschen, an den Gläubigen, an den kaum mehr und nich mehr Glaubenden sowie an den Ungläubigen in Erscheinung ri . Ein Diens an denen, die uns lieben oder hassen, ein Diens an Freunden ebenso wie an den Gegnern, ein Diens an den Freuden und Leiden der Menschhei , ein Diens an dem Geis wie an der Wissenschaf , ein Diens an der Kul ur und an der Gesellschaf in ihren verschiedenen Formen wird es sein müssen. Chris us is für alle Menschen ges orben, Er ha Sein Blu für alle Menschen vergossen, für den rech en Schächer ebenso wie für den linken. Und Schächer sind wir alle.

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