Schöne, heile Pillenwelt

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Zum Dossier. Viagra, der Schlankmacher Xenical und bald ein Medikament für mehr Haarfülle - die Pharmaindustrie produziert auf Hochtouren Pillen für die Eitelkeit. Doch ist damit tatsächlich das große Geschäft zu machen? Ein Jahr nach der Markteinführung von Viagra zieht die Vizepräsidentin der Apothekerkammer Christiane Körner (Seite 15) eine erste Bilanz über den - angeblichen - Boom.

Viagra ist erst der Anfang", schreiben der deutsche Urologe Universitätsprofessor Christian Stief und die Journalistin Gaby Miketta in ihrem Buch "Die neue Lust". "Die kleine blaue Pille hat den Startschuß gesetzt für eine allgemeine Pharmakolisierung unserer Sexualität ...- nichts scheint mehr unmöglich. Die Industrie hat den Mann - und vor allem den alternden Mann - als Patienten und Kunden entdeckt."

Mit der erteilten Zulassung für Viagra an den US-Pharmakonzern Pfizer im März 1998 wurden weltweit Sex und Impotenz für geraume Zeit Gesprächsthema Nummer eins. Die Angst der Männer vor dem Versagen - schätzungsweise leiden 150 Millionen Männer weltweit darunter - schien mit einem Schlag der Vergangenheit anzugehören.

Viagra wurde als Beginn der zweiten sexuellen Revolution, nach der Entwicklung der Antibabypille vor knapp 40 Jahren, gefeiert. "Ob Sex im 21. Jahrhundert die natürlichste Sache der Welt bleiben wird, darf bezweifelt werden", sinnieren Stief und Miketta über den Wandel.

Ein Jahr nach der Markteinführung der kleinen blauen Pille zieht nun die Vizepräsidentin der Apothekerkammer Christiane Körner in einem Interview mit der Furche eine erste Bilanz über den - angeblichen - Boom.

Aber nicht nur die Potenzpille Viagra füllte im vergangenen Jahr die Schlagzeilen. Erstmals wurde von der Pharmaindustrie ein Medikament gegen Fettleibigkeit entwickelt, das im Darm für verminderte Fettaufnahme sorgt. Mit Xenical sollte der Traum von "Schlank ohne anstrengende Diät" endlich Wirklichkeit werden. Kein Verzicht auf das Schnitzl, Abnehmen ohne Umstellung der Lebensgewohnheiten: viele Menschen setzten in die "Wunderpille" Xenical hohe Erwartungen. Diese überzogenen Erwartungen konnte der Schlankmacher, ebensowenig wie Viagra, aber nicht erfüllen. Denn Lifestyle-Pillen haben bei falscher Anwendung unangenehme Nebenwirkungen. Ohne strenge Diät purzeln auch bei Xenical die Kilos nicht von alleine hinunter.

Die Pharmaindustrie setzt jedoch weiterhin auf die Entwicklung von Lifestyle-Pillen, denn offenbar, meint der Pharmakologe Universitätsprofessor Ernst Singer aus Wien, ist manchen Menschen Schönheit alles wert. Die in Österreich noch nicht zugelassene Diätpille Reductil erzeugt ein Glücksgefühl im Kopf, um so den Heißhunger zu bremsen. Kurz vor der Genehmigung in Österreich steht das erste effektive Haarwuchsmittel, das Finasterid. Zehn Prozent mehr Haarwuchs bei fortwährender Einnahme des Hormonpräparats, so die eher bescheidene Prognose. Wird das Medikament abgesetzt, gehen die Haare wieder aus. In unserem Nachbarland Deutschland wird dieses Medikament bereits vertrieben. Die Hohen Kosten von rund 15.000 Schilling pro Jahr und die bedenklichen Nebenwirkungen wie gestörte Samenproduktion und die Gefahr der Erbgutschädigung für ungeborene Kinder nehmen manche Männer anscheinend für ein wenig mehr Selbstwertgefühl in Kauf.

Den Startschuß für den Boom der Lifestyle-Drogen leitete 1987 das Psychopharmakon "Prozac" (in Österreich unter dem Namen Fluctine vertrieben) ein, hergestellt vom Pharmariesen Eli Lilly. Ursprünglich als wirksames Antidepressivum gedacht, mit dem Vorteil keine Abhängigkeit hervorzurufen, stand Prozac bald auch bei schüchternen Menschen mit Minderwertigkeitsgefühlen hoch im Kurs nach dem Motto: "Einfach besser drauf sein." Bald folgten etliche weitere, teils verbesserte, Psycho-Pillen. Für Menschen mit Angststörungen und Depressionen ein Segen, wurden die Stimmungsaufheller zum Teil auch Menschen verschrieben, die solche Medikamente nicht wirklich benötigten. "Auf Grund der hohen Verordnungszahlen nehmen wir an, daß Prozac in dem einen oder anderen Bereich über die eigentliche Indikation verabreicht wurde. Nach der Devise: kann ja nicht schaden, hilft eh bei fast allem, daher nehme ich das einmal", so Pharmakologe Singer. Die Statistik bestätigt den hohen Bedarf an Psychopharmaka: Nach Umsatz und Indikation liegen diese Medikamente in Österreich an dritter Stelle hinter Herzpräparaten und Medikamenten zur Gefäßtherapie.

Wie bei den Lifestyle-Pillen waren aber auch hier die Erwartungen zu hochgesteckt. Denn erst bei zwei- bis dreiwöchiger Einnahme stellt sich bei Antidepressiva eine gemütsaufhellende Wirkung ein. Die Nebenwirkungen, etwa Abgeschlagenheit und Schlafstörungen, treten jedoch sofort auf.

Medikamente gegen Fettleibigkeit, Potenzstörungen, Glatzen, Depressionen und mangelndes Selbstbewußtsein - die Liste der Lifestyle-Pillen, Psychopharmaka und Muntermacher wird täglich länger. Für die Zukunft erwarten Wissenschafter noch bessere, gezielt für jedes Problem einsetzbare und nebenwirkungsfreie Arzneimittel.

Ein relativ neues Problem in Zusammenhang mit Lifestyle-Pillen und dem wachsenden Medikamentenkosum ist der Vertrieb von Drogen via Internet. "Im Netz kann man mittlerweile alles bestellen", weiß die Vizepräsidentin der Apothekerkammer Christiane Körner. Renner unter den im Internet angebotenen Pillen sind angebliche Schlankmacher, Hormon- und Eiweißpräparate für gesteigertes Muskelwachstum und den Haarwuchs fördernde Drogen. Sogar Wundermittel gegen Krebs werden angepriesen. Wenn nicht sogar gefährlich (so kann etwa Huflattichtee krebserregende Stoffe enthalten), so sind doch "alle diese Mittel erwiesenermaßen wirkungslos", warnt Pharmakologe Singer. "Es ist aber anscheinend kein Unsinn zu groß, als daß er nicht geglaubt wird."

Eine neue Studie aus Deutschland belegt, daß immer mehr Menschen bereit wären, Medikamente über das Internet zu beziehen. Der Internethandel mit Medikamenten ist in Österreich aber illegal, so Apothekerin Körner.

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