6681250-1961_45_08.jpg
Digital In Arbeit

Wenn es aussichtslos scheint…

Werbung
Werbung
Werbung

Wir bitten Dich, o Herr: Behüte Deine Familie mit immerwährender Vaterliebe. Und da sie sich einzig’nur auf die Hoffnung himmlischer Gnade stützt, so schütze sie allezeit und behüte sie.

(Kirchengebet vom 25. Sonntag nach Pfingsten.

dem nachgeholten 5. Sonntag nach Erscheinung.)

Zweimal verwendet dieses Gebet ein Wort für Schutz und Hut. „Custodire” und „muniri”. Und auch die fast stürmische Betonung des alleinigen Gestütztseins aut die Gnade verstärkt eien Eindruck eines einzigen vertrauensvollen Hilferufs. Wieder muß man da den Hintergrund des Evangeliums sehen. Matthäus berichtet die Gleich- niserzählung vom Unkraut unter dem Weizen. „Als nun die Saat aufging heißt es da. Es scheint, als ob in diesen Tagen mehr als nur eine Saat aufgegangen sei. Das empor- spriefjende Unkraut steht in giftgrüner Üppigkeit um uns her. Es ist so fett gesprossen, daß die Frage der Knechte des Evangeliums, ob man es ausreißen und sammeln solle, geradezu hilflos klingt. Wer einmal ein völlig verunkrautetes Feld oder auch nur einen von allen Seiten verwachsenen Friedhof gesehen hat, wird das lähmende Gefühl kennen, das die Arme niedersinken läßt. Dazu kommt die ausdrückliche Mahnung des Herrn, um des Weizens willen das Unkraut nicht auszureißen, sondern bis zum Tag der Ernte zuzuwarten. Die praktische Vernunft möchte dem widerstreiten. Aus der Erfahrung weif} man, wie das Unkraut alle Säfte an sich zieht, immer gröber wird und die guten Triebe verkommen läf}t. Der Auftrag, dem allen tatenlos zuzusehen, ist nur schwer voll ziehbar. Gewif}: er kann zur völligen Passivität führen, zur gleichgültigen Hinnahme eines Verhängnisses. Nur zu leicht verwechselt sich ein solcher trüber Pessimismus mit echtem Christentum. Nur zu leicht, führt das Bewußtsein, täglich mehr vom Unkraut einer Zeit überwuchert zu werden, zu einem Gefühl der Lethargie, einer heimlich- bittersüßen Freude über die immer kleiner und damit — wie es scheint — immer gottgefällige’ werdende Herde, der man nun eben bis zum versinkenden Ende in Würde zugehört. Diener eines Gottes „der Wenigen’.

Der Ansturm des Gebetes weist in eine entgegengesetzte Richtung. Wie immer in diesen letzten Wochen des Kirchenjahres, steht es im Zeichen der „bösen’, dem Ende zueilenden Zeit, ist es aus dem Gefühl der „Familie* heraus zu verstehen, die sich mehr denn je in den Schutz des Vaters flüchtet. Aber im Zentralpunkt steht die Hoffnung, steht der Wille, den guten Kampf weiterzukämpfen, an den Weizen im Unkraut zu glauben, selbst wenn seine Keime und Halme schon gar nicht mehr sichtbar zu sein scheinen. Um Schutz und Hut fleht nur der, der weiterleben will, der an eine Zukunft glaubt, gerade wenn ihr Tag verhüllt ist. Wer in passivem Pessimismus versinkt, braucht keine Hut mehr, er läßt sich gleiten und treiben in ein heimlich ersehntes allgemeines Ende hinein. Solange nur etwas wächst, solange das Ackerland überhaupt Leben hervorbringt, ist der Tag des Weizens ebenso gekommen wie der des Unkrauts. Solange hat auch das Gebet um die Hut des Herrn seinen inneren, dynamischen Sinn.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung