In der Phrasenfalle

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Über den Krieg in Nahost in Dankesreden.

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Über den Krieg in Nahost in Dankesreden.

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In seiner Dankesrede anlässlich des Deutschen Buchpreises hat Tonio Schachinger in Frankfurt versucht, zum Terrorangriff der Hamas etwas zu sagen und zugleich nichts zu sagen. Es sei sinnlos, wenn er, als „lächerlicher kleiner Autor aus Österreich“ dazu Stellung nehme, aber er könne auch nicht nichts sagen. So ein Preis sei nicht „das Wichtigste“, es sei schrecklich, dass auch in Europa Juden sich nicht mehr sicher fühlen könnten.

Dass hier einer auf die Worthülsen des gerade in Deutschland obligaten Betroffenheitsrituals verzichtet und schlicht seine Ratlosigkeit artikuliert hat, scheint mir glaubwürdig und sympathisch uneitel. Eine namhafte deutsche Autorin erklärte mir hingegen, sie finde Schachingers Äußerungen „unterirdisch“ – es sei ja löblich, dass er nicht geheuchelt habe, aber so sei klar geworden, dass ihm wirklich jede Empathie mit den Ermordeten fehle.

Die Frage, ob und wie man in Preis- oder Eröffnungsreden im Kulturbetrieb auf das bedrängende Weltgeschehen reagieren soll, ist nicht befriedigend zu beantworten. Muss man in diesem Kontext wirklich sagen, dass man den Überfall eines Landes auf seinen Nachbarn verurteilt? Dass man gegen Massenmord und gegen Antisemitismus ist? Dürfen Menschen des Wortes Phrasen dreschen? Aber wäre Schweigen nicht als Billigung zu verstehen?

Alexander Van der Bellen hat es bei der Messeeröffnung in Leipzig vorgezogen, nach einem gefühlten halben Dutzend fast identer Bekenntnisreden, nicht über die Ukraine, sondern mit Witz und Tiefgang über Literatur zu sprechen. Bei der Eröffnung der „Buch Wien“ hat er leider nicht das Wort ergriffen. Was dort zu hören war, klang streckenweise so, als hätte man eine KI zur aktuellen Lage befragt. Bis endlich A. L. Kennedy, prinzipiell und unmissverständlich, über die Macht des Wortes und das Verhältnis von Intellekt und Gewissen sprach, „In the Beginning“.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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