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Jüngst gerichtet

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Und wieder einmal unterhielten f I sich Alice und Goggelmoggel ^ über Gott und die Welt im allgemeinen und wetteiferten im besonderen darin, die besten Beispiele für die Tatsache zu finden, daß wir’s so herrlich weit gebracht…

Die Reihe war an Alice: „Das letzte Woche erfolgte jüngste Gericht”, wollte sie beginnen, aber sie kam nicht sehr weit mit ihrem Satz. Denn Goggelmoggel, als hätte er schon lange darauf gewartet, Alice zu unterbrechen, rief triumphierend: „Falsch!”

„Was heißt hier falsch?” fragte Alice empört. „Woher wollen Sie wissen, daß ich etwas Falsches sage, wenn Sie mich nicht ausreden lassen?”

„Falsch!” wiederholte Goggelmoggel. „Man kann nicht sagen, das Jüngste Gericht habe letzte Woche stattgefunden, weil das Jüngste Gericht zu den vier letzten Dingen zählt!”

„Viertens und letztens”, widersprach Alice, „reden wir hier nicht über theologische Probleme, und drittens findet das Jüngste Gericht bekanntlich alle Tage statt, wie Camus gesagt hat!”

„Ansichtssache…”, meinte Goggelmoggel achselzuckend. - „Zweitens aber habe ich nicht vom Jüngsten, sondern vom jüngsten und auch gar nicht vom Gericht geredet, sondern erstens sollen Sie mich ausreden lassen!”

„Nicht vom Jüngsten”, brummte Goggelmoggel trotzig: „Aber du wolltest ausreden!” - Allerdings!” sagte Alice. „Also passen Sie auf: Das letzte Woche erfolgte jüngste Gerichtsurteil”, aber Goggelmoggel konnte es nicht lassen: „Von den Dissidentenprozessen will ich nichts hören!”

„Wer redet denn von den Dissidentenprozessen?” rief Alice wütend.

„Rede ich vielleicht von diesen .Gerichtsverhandlungen”, die in Wirklichkeit getarnte Schachspiele sind, weil es überhaupt nicht um das Recht oder Unrecht der angeklagten Bürgerrechtskämpfer geht, sondern um politische Schachzüge?”

„Ganz meine Meinung”, sagte Goggelmoggel, „Politschach und politische

Schacherei! Schachbieten und verschachern! Aber ich möchte wirklich nicht über Guillaume reden.”

„Wer redet denn von Guillaume?” seufzte Alice. „Wenn Sie mich bloß ausreden ließen, dann würden Sie wissen, daß ich nicht vom jüngsten Gerücht, sondern vom jüngsten Gerichtsurteil rede, das in Deutschland Schlagzeilen machte.”

„Auch so, du meinst die Causa Fil- binger! Warum sagst du das nicht gleich?” redete Goggelmoggel dazwischen. „Schriftsteller gegen Ministerpräsident: eins zu null! Ein Eigentor.”

„Nein!” schrie Alice. „Das Gerichtsurteil in Sachen Filbinger ist doch schon ein alter Hut, ich meine das jüngste!”

„Schade”, sagte Goggelmoggel, „aber ich weiß jetzt wenigstens, was du sagen wolltest: Das jüngste Gerichtsurteil, ergangen im Prozeß, den deine Namensvetterin, vereint mit so manchen Frauen, angestrengt hat. Daß ich nicht gleich drauf gekommen bin!”

„Na endlich”, sagte Alice, „darf ich jetzt endlich ausreden?” - „Ach ich weiß schon, was du sagen willst, aber ich will dir was sagen”, sagte Goggelmoggel und versuchte, eine tröstliche Stimme zu haben: „Es sind zwar deine Geschlechtsgenossinnen abgeblitzt, was die Klage betrifft, aber dafür blitzt jetzt vielleicht in so manchem Stembe- gucker von Zeit zu Zeit ein problembewußter Gedanke auf, und außerdem ist ohnehin nicht zu befürchten, daß die Illustrierten nach diesem Urteil noch mehr Nacktphotos bringen als bisher, weil sie ohnehin schon ganz schön viel bringen.”

„Viel bringen hin, Vielbringer her - darf ich jetzt endlich ausreden?” sagte Alice. „Das letzte Woche erfolgte jüngste Gerichtsurteil wirft die Frage auf, was eigentlich obszöner ist: wenn Illustrierteeinen entblößten Frauenkörper bringen, oder wenn sich ein bloßgestellter Ministerpräsident auch noch selber bloßstellt, indem er…” Wie sagtest du vorhin?”, unterbrach Goggelmoggel wieder. „Das Jüngste Gericht findet alle Tage statt?”

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