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Kranker Mann am Euphrat

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In Bagdad wurden der bisherige Vizepräsident Sálech Machdi El- Ammasch und Außenminister Adel Kerim Esch-Scheichli entlassen. Der Stellvertreter von Staatspräsident Achmed Hassan El-Bakr soll Auftraggeber des Attentates gewesen sein, das am 26. August während eines Empfanges für Armeeangehörige auf dem Gelände des Bagdader Präsidentenpalastes von einem jungen Offizier auf den Staatschef verübt wurde. Der Attentäter verletzte sein Opfer damals mit zwei Schüssen in den rechten Arm und einem weiteren an der Schulter. Die Leibwache konnte wegen der Menschenmenge nicht sofort zurückschießen, und so entkam der Attentäter in der allgemeinen Panik. Doch schon am nächsten Tag fand man ihn. In einem Vorort der Tigrisstadt lag er in seinem Blut, drei Schüsse in Genick und Hinterkopf hatten ihn getötet. Zunächst schien es, als sei es den Urhebern des Anschlages gelungen, alle zu ihnen führenden Spuren zu beseitigen. In der Armee gab es zwar eine große Untersuchung, und man steckte rund zweihundert Offiziere in Untersuchungshaft, doch die Nachforschungen verliefen zunächst im Sand. Jetzt beschuldigt man die entlassenen Politiker der Urheberschaft.

Präsident El-Bakr hatte sich nach dem mißlungenen Attentat in ein Krankenhaus begeben müssen, und Radio Bagdad sprach zunächst nur von einer Nachuntersuchung nach einer überstandenen Krankheit. Die Kugeln scheinen den ohnehin angegriffenen Gesundheitszustand des 57jährigen Militärdiktators weiter beeinträchtigt zu haben.

El-Bakr gilt schon seit längerem als kranker Mann, und seit etwa einem Jahr verdichten sich mehr oder weniger regelmäßig die Rücktrittsgerüchte. Er erscheint kaum noch in der Öffentlichkeit, und die Amtsgeschäfte verursachen ihm zunehmende Beschwerden.

Diese Ausgangslage ist Ursache eines Machtkampfes aller gegen alle um die Nachfolge in der obersten Führungsetage der irakischen Ba’as- Partei. Sein erstes Opfer war, im Oktober vergangenen Jahres, der Verteidigungsminister und Luftwaffenbefehlshaber Marschall Har- dan Abdel Raffar Et-Takriti. Über

Nacht verlor er sämtliche Ämter und setzte sich ab nach Kuweit. Doch selbst im Exil wurde er von seinen Konkurrenten noch gefürchtet. Im vergangenen März erschossen ihn Berufskiller mitten auf einer belebten Hauptstraße des Ölscheichtums am Persergolf. Die Behörden wiesen zweifelsfrei nach, daß der irakische Konsul die Mörder gedungen hatte. Im Juli dieses Jahres kam es ‘zu einem weiteren Putsdiversuch. Sein Chef war der frühere Kommandant des Bagdader Militärflughafens. Vor seiner Hinrichtung bezichtigte er einen britischen Diplomaten der Teilnahme an dem Komplott, nannte aber nicht seine Auftraggeber. In Beirut glaubt man nun, daß sowohl für diesen Umsturzversuch, als auch für das geschilderte Attentat die beiden gestürzten Politiker verantwortlich zu machen seien.

Ein ungewöhnlicher Umstand ist, daß man sowohl El-Amimasch als auch Esch-Scheichli wenigstens vorläufig keinen Prozeß machen zu wollen scheint, obwohl man sie schwerer Verbrechen beschuldigt. Der Ex- vizpräsident wirde zunächst Botschafter im Außenministerium, der Exaußenminister neuer Leiter der Bagdader UN-Delegation. Der Grund für diese Milde ist die Tatsache, daß El-Ammasch bis jetzt als einer der beiden „starken Männer“ des Regimes nach General El-Bakr galt. Der Berufsoffizier hat in der Armee, aus der er kommt, offenbar noch immer starken Rückhalt. Ohne das Wohlwollen der Streitkräfte aber kann sich das Ba’as-Regime im Zweistromtal kaum lange an der Macht halten.

Gegenspieler El-Ammaschs und

nunmehr alleiniger aussichtsreicher Nachfolgekandidat für General El- Bakr ist der Stellvertretende Ba’as- Generalsekretär Sidam Hussein Et- Takriti. Er ist mit dem Marschall, dessen Ermordung er wahrscheinlich befahl, nicht verwandt. Et- Takriti ist der „böse Geist“ des Regimes El-Bakr. Der ebenso ehrgeizige wie machtgierige und bluthungrige Mann steckt hinter so gut wie allen Gewalttaten des Diktators. Er veranlaßte die blutigen Judenverfolgungen und die physische Vernichtung beinahe aller oppositionellen Kräfte des Landes. Seit die unaufhaltsame Verschlechterung des Gesundheitszustandes von El-Bakr nicht mehr zu verheimlichen ist, betreibt er zielstrebig und skrupellos die Ausschaltung seiner Konkurrenten und seine eigene Nachfolge.

Manche Beobachter, vor allem Mitglieder der irakischen Exilkolonie in Beirut, halten es daher auch für möglich, daß er selbst den Putschversuch vom Juli und das Attentat vom August veranlaßte, um seinem gefährlichsten Gegenspieler El- Ammasch ein Bein zu stellen. Die rücksichtslose Liquidierung des Attentäters würde jedenfalls zu seinem politischen Stil passen. Sicher ist, daß er die Entlassung der beiden Politiker anordnete. Bei seinen nächsten Schritten muß er allerdings sehr vorsichtig zu Werk gehen. Er ist der einzige Spitzenpolitiker des Regimes, der nicht aus den Streitkräften hervorging. Doch im Irak spricht nicht die Partei, die sich nur auf eine verschwindend kleine Mitgliederschaft stützen kann, sondern die Armee das letzte Wort.

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