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St. Florian: Ein Stift unter dem Hakenkreuz

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Bis 11. Dezember feiert die Bruckner-Gemeinde St. Florian „500 Jahre Markterhebung". Das Stift und die barocke Kirche werden aber bereits jetzt für das Brucknerjahr 1996 auf Hochglanz gebracht. Wäre es nach den Plänen der Nationalsozialisten gegangen, gäbe es heute nichts mehr zu feiern.

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Bis 11. Dezember feiert die Bruckner-Gemeinde St. Florian „500 Jahre Markterhebung". Das Stift und die barocke Kirche werden aber bereits jetzt für das Brucknerjahr 1996 auf Hochglanz gebracht. Wäre es nach den Plänen der Nationalsozialisten gegangen, gäbe es heute nichts mehr zu feiern.

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„Schön, wirklich sehr schön", findet ein deutscher Tourist das barocke Stift St. Florian. Und es ist wirklich prächtig anzusehen, wie es so über den Dächern des Ortes steht mit seinen goldgelben Mauern und der beeindruckenden Architektur. Aber eigentlich sollte es das Kloster heute gar nicht mehr geben.

Am 21. Jänner 1941 wurde es von 50 Gestapobeamten überfallsartig besetzt. Am Tag darauf, dem Namenstag des Probstes Vinzens Hartl, folgte der Beschlagnahmebescheid. Für die nächsten vier Jahre wurde der Konvent auf den kleinen Meierhof Pulgarn bei Steyregg verbannt.

Die Nazis hatten mit dem Stift große Pläne. Noch im selben Jahr wurde durch die Übernahme von Handschriften und Archivbeständen aus anderen beschlagnahmten Klöstern der Grundstock für das „Historische Forschungsinstitut des Reichsgaues Oberdonau in St. Florian" gelegt. Für ein Barockmuseum wurden Kunstschätze herbeigeschafft. Und „auf Wunsch des Führers" wurde das Stift „mit besonderen Aufgaben für die deutsche Musik betraut". St. Florian sollte das Bruckner-Zentrum des gesamten großdeutschen Raumes werden.

Deutsche Musik bedeutete im Fall St. Florian Anton Bruckner. Für den „Musikanten Gottes" hegte Adolf Hit-

ler eine große Vorliebe. So ließ er es sich nicht nehmen, eine Bruckner-Büste in der Regensburger Walhalla am 6. Juni 1937 persönlich zu enthüllen. Gegen diese „Ehre" konnte sich der Meister nicht mehr wehren. Er war schon seit gut 40 Jahren tot.

Für den Jahreszins von einer Reichsmark übernahm die Reichsrundfunkgesellschaft das Stiftsgebäude, „um eine Produktionsstätte für musikalische Spitzenleistungen zu schaffen und diese durch den Rundfunk zu übertragen". Ein Florianer Uhrmacher soll damals gesagt haben:„Um diesen Preis hätte ich es auch genommen."

Ab September 1942 war Reichsrundfunk-Intendant Heinrich Glasmeier Hausherr im Stift. Bis zum 1. April 1943 baute der gebürtige West-fale das Reichs-Bruckner-Orchester mit 120 Mann auf und ergänzte es noch um einen 80-köpfigen Bruckner-Chor.

Wahnwitziger Plan

Zu den Brucknerfesten und -kon-zerten sollten die bekanntesten Musiker und Dirigenten der damaligen Zeit nach St. Florian geholt werden. Regimegünstlinge wie Wilhelm Furtwäng-ler und Herbert von Karajan gaben sich in der „Gauorgelhalle", wie die Stiftskirche genannt wurde, die Ehre. Und auch Adolf Hitler wurde in St. Florian begrüßt. Das Reichs-Bruckner-Orchester hatte aber nicht viel Zeit für Triumphe. Am 11. Oktober 1944 gab das Reichs-Bruckner-Orchester das letzte Konzert, knapp sechs Monate nach dem ersten Rundfunkauftritt.

Auch über ein bombastisches Bruckner-Zentrum zerbrachen sich die Nazigrößen den Kopf. Mehr als 250 Pläne für Umbauten im Stift ließ Glasmeier anfertigen. Verwirklicht

wurde nur das 33,3 Meter lange Lösch wasserbecken. Damit entsprach es „zufällig" den damaligen olympischen Normen für Schwimmbahnen.

Das Ende des „Tausendjährigen Reiches" nahte mit Riesenschritten. Der Gauleiter von „Oberdonau", August Eigruber, entwickelte den wahnwitzigen Plan, die gesamte Klosteranlage dem Erdboden gleichzumachen. DerOberösterreicher hatte geschworen, das Stift nicht an die heranrückenden Alliierten zu über-

geben „und wenn ich es selbst anzünde".

Gerettet hat es der Westfale Glasmeier, den mit Hitler ein Bruckner-Verständnis verband, „das im irrationalen Erleben Brucknerscher Musik gründete". Ein von Glasmeier aufgesetzter Brief, der von Hitler-Stellvertreter Martin Bormann in Berlin unterschrieben wurde, setzte den Plänen Eigrubers ein Ende.

Der Reichs-Rundfunk-Intendant muß ein eigenwilliger Kautz gewe-

sen sein. Über ihn berichtet zum Beispiel die Frau des ständigen Dirigenten in St. Florian, Georg Ludwig Jochum: „Dr. Glasmeier residierte in den Zimmern des Abtes und hielt Hof."

Glasmeier ließ sich als „Prälat" titulieren, Dienstbesprechungen wurden „Kapitelsitzungen" genannt und in der kalten Jahreszeit soll er eine Art Mönchskutte getragen haben.

Glasmeier interessierte das Herannahen der Front nur wenig. Noch am 30. April 1945 gab er die Anweisung, ihm „das Programm für die Mittwoch-Konzerte so bald als möglich zu bringen". Und bis zuletzt soll er sich um eine heraldisch gefällige Ausführung seines Reichsintendantenwappens für die in Wien in Auftrag gegebene Tafelgarnitur von Bestecken und Geschirr gekümmert haben, wovon der Stiftsarchivar von St. Florian und Universitätsprofessor Karl Rehberger berichtet.

Mysteriöses Ende

Um Glasmeiers Ende ranken sich Gerüchte und Vermutungen. Sicher ist nur, daß er am Vorabend des Einmarsches der Amerikaner St. Florian verließ und später ein letztes Mal in der Nähe von Graz gesehen wurde. Selbstmord gilt als sicher. Lange hielt sich in St. Florian aber das Gerücht, Glasmeier sei als Laienbruder in ein berühmtes Kloster eingetreten.

Über das Ende der Nazi-Herrschaft im Stift berichtet Anton Hochreiter, der bis Kriegsende Kooperator in St. Florian war: „Am Sonntag, dem 6. Mai, ging ich gewohnheitsmäßig in der Früh in den Beichtstuhl. Der erste, der zu mir kam, legte eine seltsame Beichte ab, die ich ohne Verletzung des Beichtgeheimnisses erzählen kann: „Wissen Sie schon? Die Amis sind da!"

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