"Alle Minderheiten sind hier völlig schutzlos!“

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Das Gespräch führte Pia de Simony

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Das Gespräch führte Pia de Simony

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Seit 1960 kümmert sich die deutsche Ärztin und Ordensfrau Ruth Pfau um die Leprakranken in Karachi und Pakistan. Heute kann sie auf mehr als 500 Mitarbeiter zählen. 1980 wurde Ruth Pfau zur nationalen Beraterin im Rang einer Staatssekretärin für das Lepra- und Tuberkulose-Kontrollprogramm für die pakistanische Regierung ernannt. Claudia Villani arbeitet seit zehn Jahren mit Ruth Pfau zusammen. Die politische Situation bedroht das Leben vieler in Pakistan - insbesondere das religiöser und ethnischer Minderheiten (Informationen: www.csi.org).

DIE FURCHE: Wie geht es Frau Dr. Pfau?

Claudia Villani: Mit ihren 83 Jahren lebt sie unverändert intensiv, ist sehr präsent bei unseren Lepra-Kranken und leistet nach wie vor Enormes.

DIE FURCHE: Sie arbeiten viele Monate im Jahr Seite an Seite mit ihr. Was zieht Sie immer wieder nach Pakistan?

Villani: Meine Liebe zu den Brüdern und Schwestern, die ich in diesem Land gefunden habe.

DIE FURCHE: Was macht Ihnen am meisten zu schaffen?

Villani: Ich werde täglich mit Gewalttaten konfrontiert und kriege hautnah mit, wie Passanten auf offener Straße umgebracht werden. Täglich hört man von Übergriffen, dass etwa ein öffentlicher Bus von bewaffneten Männern gestürmt wird. Sie konfiszieren alle Handys. Wenn einer versucht zu fliehen, wird er kurzerhand erschossen. Die Täter kommen meist ungeschoren davon, da die Polizei zum Großteil selbst korrupt ist und nicht immer interveniert. Wir erleben anarchische, kriegsähnliche Zustände … Im ganzen Land herrscht große Angst!

DIE FURCHE: Trauen Sie sich überhaupt noch allein auf die Straße?

Villani: Höchstens in männlicher Begleitung und verschleiert, damit man meine weiße Haut nicht sieht. Diese assoziiert man mit dem negativ behafteten Image der Amerikaner.

DIE FURCHE: Sind Sie als Christin je bedroht worden?

Villani: Nein, bislang noch nicht. Das Volk unterscheidet in der Regel nicht zwischen Christen und Muslimen, wenn sie nicht gerade gegeneinander aufgehetzt werden, wie es neulich Anfang März in Lahore passierte, als in einem christlichen Viertel ein wütender Mob 178 Häuser angezündet hat. Uns ist auf der Lepra-Station die Religionszugehörigkeit der Patienten meist nicht bekannt. Wir behandeln alle gleich und sind die Stimme aller Ausgestoßenen

DIE FURCHE: Wie sieht es mit der Christin Asia Bibi aus, Mutter von fünf Töchtern, die seit 2010 wegen angeblicher Koranlästerung im Gefängnis sitzt.

Villani: Sie ist nicht in erster Linie eingesperrt worden, weil sie Christin ist. Sie soll eine Nachbarin auf ihrem Waschplatz gestört haben. Diese hat ihr dann unterstellt, den Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Dadurch hat man ihr als Anklagegrund fälschlicherweise Lästerung vorgeworfen. Damit konnte das Blasphemie-Gesetz bei ihr angewendet werden.

DIE FURCHE: Genügt ein reiner Verdacht der Gotteslästerung, um hinter Gitter zu kommen?

Villani: Ja, das umstrittene, so genannte "Blasphemie-Gesetz“ wird dazu missbraucht, gegen Andersgläubige vorzugehen. Sogar die einheimische Gerichtsbarkeit steht hinter diesem ominösen Gesetz. Das ist eine Schande und sät große Zwietracht unter der Mehrheit und den religiösen Minderheiten, zu denen auch die Christen gehören. Ob Asia Bibi demnächst aus der Haft entlassen wird, hängt von der Willkür der Beamten ab. Wir können nur hoffen, dass der internationale Druck bald etwas bewirkt …

DIE FURCHE: Sie wirken nicht sehr hoffnungsvoll …

Ich bin etwas skeptisch, denn ich habe noch in Erinnerung, wie die Mörder des christlichen Ministers Bhatti 2011 im Gerichtssaal von Hunderten Rechtsanwälten mit Blumen beworfen wurden. Er galt als einer der engagiertesten Kritiker dieses Gesetzes.

DIE FURCHE: Und was passiert nun mit dem Christen Sylvester Zeno? Aus informierten Kreisen hörten wir, dass nach zehn Gefängnisjahren mit seiner Freilassung gerechnet wird.

Villani: In Pakistan ist gar nichts sicher. Das einzige, was wir wissen, ist, dass Herr Zeno zu Unrecht der Entführung seiner zum Christentum konvertierten Geliebten angeklagt wurde. In Wahrheit sind beide in vollem Bewusstsein durchgebrannt. Die Eltern der Frau fühlen sich doppelt entehrt: wegen des Glaubenswechsels ihrer Tochter, und weil sie mit einem verheirateten Mann davongelaufen ist. Ein Racheakt ist in diesen Breiten keine Seltenheit.

DIE FURCHE: Und der Fall der 15-jährigen muslimischen Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die von einem Taliban am Kopf angeschossen wurde, weil sie im Internet für die Rechte der Frauen eintrat? Sie hat den Anschlag nur knapp überlebt …

Villani: Gut, dass Sie diese mutige Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen erwähnen. Als das Attentat bekannt wurde, sind zehntausende Menschen, Väter wie Mütter, auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität mit Malala öffentlich kundzutun. Hier ist offenbar die Grenze des Erträglichen weit überschritten worden. Die Demonstranten haben Sprüche skandiert wie "Bildung für alle Mädchen“ und heftig gegen den Steinzeit-Islamismus protestiert, der von radikalen Gruppen seit zehn Jahren unerbittlich propagiert wird.

DIE FURCHE: Stellen Sie Diskriminierungen gegen Frauen auch im Alltag fest?

Villani: In meinem europäischen Denken, ja. Wenn ich etwa in ein Restaurant gehe: In der Männer-Abteilung gibt es immer Licht mit einem funktionierenden Ventilator, wir Frauen hingegen müssen mit den Kindern in einem eigenen Sektor auf Strom und kühlende Luft verzichten.

DIE FURCHE: Sind Ihnen religiöse Übergriffe, Christen betreffend, bekannt?

Villani: Einzelfälle gibt es leider immer wieder, wie der vorhin erwähnte schlimme Überfall auf ein christliches Viertel in Lahore. Doch die bekannten religiösen Übergriffe sind meistens von Sunniten gegen die schiitischen Minderheiten gerichtet. Christen werden - meines Wissens - nicht wahllos umgebracht. Ein Beispiel aus jüngster Zeit, zur Veranschaulichung: Ein islamistischer Mob hatte eines Tages alle zur Exekution Bestimmten in einem Bus zusammengepfercht. Darunter befand sich ein Christ, wie es der Name in seinem beschlagnahmten Ausweis verriet. Einer der Terroristen nahm ihm die Augenbinde ab und schrie ihn an: "Was machst Dd hier? Verschwinde!“ Was er umgehend tat. Die anderen fielen den Mördern zum Opfer …

DIE FURCHE: Ende 2012 ist ein indischer Tempel in der von Ihnen mitbetreuten Hindu-Slumsiedlung von Kamisagoth zerstört worden. Ein Einschüchterungsversuch?

Villani: Das Unheimlichste für uns war, dass alle an den Wänden hängenden Fotos von Frau Dr. Pfau heruntergerissen wurden. Sie selbst aber ist davon völlig unbeeindruckt. Sie wird ihrer Berufung auch weiterhin folgen und ihren bedürftigen pakistanischen Brüdern und Schwestern - ungeachtet ihrer Religion - unvermindert helfen, wie sie es in den letzten 52 Jahren unerschrocken getan hat.

DIE FURCHE: Wie kann man in Österreich Christen in Pakistan helfen?

Villani: Indem Sie auch weiterhin laut Ihre Stimme erheben und sich für all jene einsetzen, die in Pakistan mundtot gemacht werden. Das gilt freilich nicht nur für Christen. Wir müssen radikale Muslime aufs Schärfste bekämpfen und gleichzeitig Religionsfreiheit für Minderheiten, wie etwa die Sufis oder die Schiiten, fordern. Bedenken Sie: Letztere gehören zu den Hauptleidtragenden in Pakistan mit dem höchsten Blutzoll!

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