Ratten fraßen die gefühllosen Füße

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Pakistans Programm der Leprabekämpfung ist sehr erfolgreich - und auf eine deutsche Ordensfrau und Ärztin zurückzuführen.

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Pakistans Programm der Leprabekämpfung ist sehr erfolgreich - und auf eine deutsche Ordensfrau und Ärztin zurückzuführen.

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dieFurche: Sie haben sich jahrzehntelang dem Kampf gegen die Lepra verschrieben. War diese Krankheit in Pakistan weit verbreitet?

Ruth Pfau: An und für sich nicht. Aber das Elend der Patienten war über alle Maßen beunruhigend. Dabei wußten wir, daß man Lepra behandeln konnte. Für Patienten, die man nicht behandelt, ist die Krankheit furchtbar. Man stirbt zwar nicht an ihr, vielmehr verkrüppelt sie den Menschen langsam und so gräßlich, daß sich die anderen fürchten, auch nur nahe zu kommen. Man glaubt gar nicht, was da zuletzt von einem Menschen übrigbleibt. In Pakistan wurde Lepra vielfach als Fluch Gottes angesehen, der Patient für die Krankheit selbst verantwortlich gemacht. Er mußte Familie und Dorf verlassen, zog in Camps in den Slums der großen Städte und lebte vom Betteln. Immer wieder geschah es, daß die Stadtverwaltung die Kranken auf Lkw lud und in der Wüste aussetzte. Dann schleppten sie sich in tagelangen Märschen zurück: unvorstellbare Lebensverhältnisse. Da fraßen buchstäblich nachts die Ratten diese gefühlslosen Hände und Füße der Patienten.

dieFurche: Wie konnte man da helfen?

Pfau: Wir konnten damals kein Krankenhaus bauen, sondern haben einen Bretterverschlag in dem Camp mit Hilfe der Patienten zusammengebastelt. Im Hinterkopf hatten wir Pläne, das Problem von der Wurzel aus anzupacken. Aber zunächst konzentrierten wir uns auf die unmittelbare Hilfe.

dieFurche: Wie packt man das Problem von der Wurzel an?

Pfau: Auf einer Landkarte von Pakistan haben wir dort, wo ein Patient herkam, eine Stecknadel hineingesteckt. Da ergaben sich richtige Lepraherde. Dort versuchten wir, schon in den Frühstadien der Krankheit einzugreifen, um zu helfen, ehe diese gräßlichen Verstümmelungen eintreten. Gemeinsam mit Missionskrankenhäusern haben wir versucht, Hilfe zu bringen. Die Provinzregierungen haben entweder mitgemacht oder wenigstens zugelassen, daß wir arbeiten. Wir durften auch ihre Mitarbeiter ausbilden. So entstand ein Mosaik von Hilfsstellen, das 1968 in ein nationales Lepra-Bekämpfungsprogramm zusammengebaut wurde.

dieFurche: War die Bekämpfung so erfolgreich, daß Lepra in Pakistan heute kein Problem mehr darstellt?

Pfau: Es ist im Griff, aber nicht ausgerottet. Die Krankheit hat eine bis zu 40jährige Inkubationszeit. Wir müssen also noch zwei Generationen lang am Ball bleiben. Sonst kommt die Krankheit zurück. In den nächsten 20 Jahren bekommen wir noch jährlich 1.500 neue Fälle im Land. Insgesamt haben wir 45.000 Lepra-Patienten erfaßt.

dieFurche: Gibt es eine Lepra-Imfpung?

Pfau: Nein. Es ist auch wenig Hoffnung, daß es sie jemals geben wird.

dieFurche: Und eine Früherkennung?

Pfau: Nein. Man muß den Verdachtsfall voll klinisch untersuchen. Die Diagnose ist aber relativ einfach, eventuell durch einen Hautabstrich. Weil Lepra heute aber weitaus seltener auftritt als früher, verbinden wir die Lepra-Untersuchungen mit der Tuberkulosebekämpfung oder der Verhütung von Erblindung.

dieFurche: Ist heute Tuberkulose das größere Problem geworden?

Pfau: Auf einen Leprapatienten kommen heute 15 Tuberkulosefälle. Hier ist ein starker Anstieg zu verzeichnen, besonders betroffen sind junge Leute, Kinder und kinderreiche Mütter. Behandelt man da nicht, kommt es zu einer hohen Zahl von Todesfällen.

dieFurche: Sind besonders Arme von Tuberkulose betroffen?

Pfau: Es ist eine Infektionskrankheit, die an sich jeden befallen kann. Unterernährung und vor allem schlechte Wohnverhältnisse begünstigen die Ausbreitung der Krankheit. Die Tuberkulosebekämpfung braucht erhebliche Geldmittel. Denn die Kosten für Medikamente sind zehnmal höher als bei Lepra. Und die Betreuung muß intensiver sein, sodaß die Gesamtkosten im Vergleich zur Lepra etwa eins zu hundert sind.

dieFurche: Ist Tuberkulose vor allem in Städten anzutreffen?

Pfau: Es gibt sie überall. Wir arbeiten in der Bekämpfung von Lepra und Tuberkulose in Kaschmir und im nördlichen Himalayagebiet. In die städtischen Ballungszentren haben wir uns gar nicht gewagt. Denn unregelmäßig behandelte Tuberkulose verursacht Resistenzen. Dann sprechen die Bakterien nicht mehr auf Medikamente an.

dieFurche: Was bleibt im Kampf gegen die Lepra noch zu tun?

Pfau: Lepra ist nicht ausgelitten, wenn der Patient keine Bazillen mehr im Körper hat. Sie ist auch eine soziale Krankheit. Ein Leprakranker leidet ja vor allem auch unter seiner sozialen Ausgrenzung, die oft fortbesteht, selbst wenn er nicht mehr ansteckend ist. Da geht es darum, die Bevölkerung aufzuklären. Wir besuchen jetzt noch einmal alle unsere ausgeheilten Patienten und deklarieren nur jene als wirklich geheilt: die durch wirksame Behindertendienste gelernt haben, mit der Behinderung zu leben; die in das soziale Umfeld aufgenommen worden sind (oft sind aber die Patienten so traumatisiert, daß sie die Integration in die Familie verhindern, weil sie das Konzept der Unreinheit so verinnerlicht haben); in deren Umfeld alle ansteckungsgefährdeten einer Vorsorgeuntersuchung unterzogen wurden. So wird verhindert, daß die Krankheit wiederauflebt.

dieFurche: Wie leben Sie Ihren Glauben im muslimischen Milieu?

Pfau: Ich bin überzeugt, daß mich der Herrgott für diesen Job maßgeschneidert hat. Ich bin Konvertitin, habe nie im katholischen Milieu gelebt und habe von daher eine atypische Spiritualität entwickelt. Ich habe nie ein Traditionschristentum gelebt. Für mich war es klar, daß man ganz tief geht oder es aufgibt. Wenn ich unterwegs bin, dann ist es meist so, daß man nicht weiß, ob man zurückkommt oder nicht. Daher habe ich weite Teile meines Lebens im Angesicht des Todes gelebt. Das hat mir unheimlich geholfen zu einer persönlichen Gottesbeziehung. Ohne sie könnte man das nicht machen.

dieFurche: Irgendwie ist es erstaunlich, daß Christen in Pakistan so arbeiten dürfen, wie Sie das tun. Hier hört man viel von Christenverfolgungen ...

Pfau: Ich habe immer ausschließlich im muslimischen Milieu gearbeitet, hatte aber nie das Gefühl, als Christin nicht akzeptiert worden zu sein. Im Gegenteil. Das größere Wunder ist für mich, daß ich als Frau akzeptiert wurde. Und das ist allein darauf zurückzuführen, daß ich Ordensfrau bin.

dieFurche: Sind Sie als Ordensfrau zu erkennen?

Pfau: Nein. Aber ich habe dafür gesorgt, daß jeder das weiß. Bei einem meiner ersten Kontakte mit der Regierung - ich wollte einen Wagen zollfrei einführen - fragte mich der Beamte: "Ist das wahr, daß Sie einen Keuschheitsgürtel tragen?" Also das fanden die faszinierend, daß jemand aus dem Westen auf das Schönste im Leben, nämlich Kinder zu kriegen, verzichtet. Mit einem Gelübde, das für immer gilt! Muslime sind ja in der Transzendenz verankert. Das ist die Luft, die sie atmen. Taucht man in das muslimische Milieu ein, so begegnet man vielen vernünftigen Leuten.

Im jetzigen Pakistan aber ist die Vielfalt der Gruppierungen enorm. Da schlachtet man sich gegenseitig ab, wenn man nicht zur selben Gruppe gehört, auch unter Muslimen. Die Übergriffe auf Christen ist auf diesem Hintergrund der augenblicklichen Polarisierung zu sehen. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß der Fundamentalismus von Saudi-Arabien zweifellos auf dem Vormarsch ist. Mit der vorhandenen Frustration trifft dieser Fundamentalismus auf einen fruchtbaren Boden.

dieFurche: Was sind die Ursachen für die Frustration?

Pfau: Es gibt keine Arbeit. Die Arbeitslosigkeit ist ganz schlimm. Die Jugend sieht keine Zukunft. Weiters löst sich das Wertesystem rapid auf, ohne daß sich Neues ergeben hätte.

Das Gespräch führte Christof Gaspari.

Zur Person Konvertitin und Ordensfrau mitten unter Muslimen Geboren 1929 in Leipzig, ist Ruth Pfau in Hitler-Deutschland aufgewachsen und geprägt durch die Kriegsjahre. In der Nachkriegszeit studiert sie in Mainz, Marburg und Bonn Medizin. Daran schließen sich Praktika in deutschen Spitälern.

"Ich komme aus einem protestantischen Elternhaus und wir hatten viel Freiheit, unseren Weg selbst zu finden. Im Studium habe ich mich taufen lassen, zunächst protestantisch," erzählt sie. Dann wird sie katholisch und tritt zwei Jahre später in einen Orden der "Filles du coeur der Marie" ein. Dessen Mitglieder tragen keine Tracht. Als Novizin wird sie 1960 vom Orden nach Karachi geschickt. Dort soll sie den Gesundheitsdienst für eine Schule aufbauen. Betroffen vom Elend der Lepra-Kranken wendet sie sich alsbald der Bekämpfung dieser Krankheit zu. In Pakistan lebt sie allein in muslimischer Umgebung, monatelang fern von Begegnungen mit Christen.

Spendenkonto: 300031-00272, BLZ 20111, Pfarre Maria Treu, Kennwort: Hindupara

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