„Ein Kind hat ein natürliches Recht auf beide Elternteile“

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Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) spricht sich vor der Enquete im Parlament zu Familienrechtsfragen für die automatische gemeinsame Obsorge nach Scheidungen aus.

Obsorge und Besuchsrechte nach Scheidungen seien so heikle Themen, sie müssten daher auf breiter Basis diskutiert werden, sagt Justizministerin Claudia Bandion-Ortner im Interview. Darum wird es heute, Donnerstag, in einer parlamentarischen Enquete gehen. Einen Zeitplan für eine mögliche Novelle des Familienrechts gebe es aber noch nicht. „Bei der Enquete sollen Lösungsansätze herauskommen, die Startschuss für Arbeitsgruppen sein sollten,“ so Bandion-Ortner.

Die Furche: Frau Ministerin, was sind die größten Herausforderungen, vor denen das Familienrecht steht?

Claudia Bandion-Ortner: Es wird oft zu wenig auf die Rechte der Kinder geschaut. Es gibt Frauenorganisationen, die für die Rechte der Frauen kämpfen, es gibt Väterorganisationen, teilweise sehr radikale. Aber die Rechte der Kinder interessieren kaum jemanden. Das Kind hat aber von Natur aus ein Recht auf beide Elternteile. Deshalb müssen Erwachsene ihre Eifersuchtsgefühle und Rachegelüste, die bei Trennungen oft auftauchen, hintanstellen. Sie müssen sich überlegen, was sie Kindern antun, wenn sie sie zu Instrumenten machen. Das müssen wir verändern. In diesem Sinne müssen wir das Familienrecht dem Geist der Zeit anpassen.

Die Furche: Sie haben bereits angekündigt, dass Sie sich eine automatische gemeinsame Obsorge vorstellen könnten.

Bandion-Ortner: Derzeit ist es so, dass nach einer Trennung beide Elternteile mit der gemeinsamen Obsorge einverstanden sein müssen. In Deutschland ist es aber so geregelt, dass die gemeinsame Obsorge aufrecht bleibt. Es ist nicht so, wie Kollegin Heinisch-Hosek sagt, es würde dann aufgezwungen. Aufgezwungen wird doch derzeit die Teilung, das Ausschalten eines Elternteiles. Aber bei wesentlichen Dingen des Lebens sollten beide Elternteile mitreden. Das ist der natürliche Zustand. Und es ist klar: Wenn es dem Kindeswohl abträglich ist, kann das Gericht einem Elternteil die Obsorge auch entziehen.

Die Furche: Was hat Sie letztlich davon überzeugt?

Bandion-Ortner: Studien, die auch im Familienbericht erwähnt wurden. Diese kommen zum Schluss, dass die gemeinsame Obsorge per se schon eine bessere Gesprächskultur zwischen den Elternteilen schafft. Auch sprechen sich die Familienrichter dafür aus, die müssen es aus der Praxis wissen.

Die Furche: Die Familienrichter plädieren dafür, dass der hauptsächliche Aufenthaltsort des Kindes – oft Hindernis für die gemeinsame Obsorge, weil sich die Eltern nicht einig werden – gestrichen werden soll. Was ist Ihre Meinung?

Bandion-Ortner: Das ist eine Frage, die wir bei der Enquete diskutieren werden. Man wird sich schon überlegen müssen, wo das Kind wohnt. Natürlich wäre es der Idealfall, dass das Kind einmal da, einmal dort wohnt. Aber das ist praktisch nur in wenigen Fällen umsetzbar. Die Studien zur gemeinsamen Obsorge ergeben, dass, wenn von vorne herein eine gemeinsame Verantwortung gegeben ist, sich auch die Kontakte zum zweiten Elternteil, bei dem das Kind nicht hauptsächlich lebt, verbessern. Denn das ist ja das zweite große Problem: das Besuchsrecht. Die gemeinsame Obsorge hat ja noch nichts mit dem Kontakt zu den beiden Elternteilen zu tun. Wie man hier Verbesserungen erzielen kann, werden wir ebenso bei der Enquete diskutieren.

Die Furche: Nur zur Klarstellung: Gemeinsame Obsorge soll es auch bei sogenannten Rosenkriegen, also ganz zerstrittenen Elternteilen, automatisch geben?

Bandion-Ortner: Ja. Wenn Erwachsene einen Rosenkrieg führen, sollten sie die Kinder aus dem Spiel lassen. Da können wir einerseits die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern. Aber zugleich muss sich etwas in den Köpfen der Menschen ändern: Die Leute sollten sich überlegen, was sie ihren Kindern antun.

Die Furche: Einige aus der SPÖ – allen voran Frauenministerin Heinisch-Hosek – sind in einer ersten Reaktion gegen eine automatische gemeinsame Obsorge. Sie fürchten, dass es bei ganz strittigen Fällen nichts bringe, die gemeinsame Obsorge „aufzuzwingen“.

Bandion-Ortner: Die Kinder haben doch ein Recht auf beide Elternteile.

Die Furche: Manche Frauen fürchten, dass sich Väter, die sich zuvor kaum gekümmert haben, dann zu viel einmischen dürften.

Bandion-Ortner: Der andere kann sich nur bei schwerwiegenden Entscheidungen einmischen, nicht bei alltäglichen. Noch einmal: Ein Kind hat ein Recht auf seinen Vater.

Die Furche: Könnten Sie sich eine gemeinsame Obsorge auch bei unverheirateten Elternteilen vorstellen?

Bandion-Ortner: Kinder haben grundsätzlich Anspruch auf beide Elternteile, auch wenn diese nicht verheiratet sind. Es gibt bereits die Möglichkeit der gemeinsamen Obsorge, nur weiß das fast keiner. Daher haben wir im Ministerrat eine verpflichtende Information beschlossen. Wir prüfen zurzeit, welche Auswirkungen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gegen Deutschland auf Österreich hat. Dieser hat geurteilt, dass ledige Väter gegenüber verheirateten rechtlich nicht gleichgestellt sind. Wir prüfen, ob Handlungsbedarf besteht. Ein ähnliches Verfahren gegen Österreich ist noch anhängig.

Die Furche: Aber wie ist Ihre Meinung?

Bandion-Ortner: Wir überlegen zurzeit, wie wir auch für uneheliche Väter mehr elterliche Verantwortung schaffen können. Ich schließe nichts von vornherein aus, aber man muss vorsichtig vorgehen. Diese Frage wird auch Gegenstand der Enquete sein.

Die Furche: Sie haben bereits das große Problem Besuchsrecht angesprochen. Wie sollte die Situation verbessert werden?

Bandion-Ortner: Ein Ansatz wäre, eine mediative Stelle einzurichten, die im Vorfeld mit den Eltern spricht, bevor bei Gericht herumgestritten wird.

Die Furche: Sie könnten sich also eine außergerichtliche Vermittlungsstelle für Besuchsrechtsfragen vorstellen, wie es auch die Familienrichter vorschlagen?

Bandion-Ortner: Es ist aber eine Frage der Ressourcen und Finanzierung. Aber trotz des Spardrucks bekommen wir in diesem Jahr 151 Planstellen dazu, da nehmen wir sicher auch auf die Familienrechtsabteilungen Bedacht.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

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