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Digital In Arbeit

Kleines Recherche-Weltwunder

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Bekommt die junge Dame oder der junge Mann aus bildungsbewußtem Haus diesmal die Brockhaus-Enzyklopädie? Oder die Encyclopaedia Britannica? Wenn möglich, beide. Den Brockhaus gedruckt, die Britannica auf CD-ROM. In dieser Form wiegt sie nur acht Gramm plus Hülle und kostet in Wien knapp 4.000 Schilling. Nicht wenig Geld - aber das Gebotene überzeugt.

Was Brockhaus für die Deutschen, Österreicher und Schweizer, ist die Britannica für den Rest der Welt. 30 Bände, jeder ein Ziegelstein von Buch, 30.000 engbedruckte Seiten. Die 230 Jahre alte Britannica, die 1901 an ein US-Unternehmen verkauft wurde und deren Redaktion in Chicago residiert, ist das umfassende internationale Nachschlagewerk schlechthin. Sie wird ständig aktualisiert und jährlich neu gedruckt. Der weltweite Absatz macht's möglich. Dies hat wohl den Entwicklungssprung zur CD-ROM erleichtert. Auch sie kommt jedes Jahr neu. Wir haben die jüngste Version getestet.

Digitales Nachschlagen bedeutet einen Quantensprung, dem gegenüber das ästhetischere und für viele leichtere Lesen auf Papier nicht ins Gewicht fällt. Denn allzuschwer fallen die Bände ins Gewicht, vor allem, wenn man die Teilung der Encyclopaedia in Kurzartikel und lange Darstellungen bedenkt. Bald liegen fünf, sechs aufgeschlagene Bände auf dem Tisch. Da ist das Lesen auf dem Bildschirm allemal bequemer. Die CD-ROM erzieht den Benutzer auch schnell dazu, Querverweisen nachzugehen. Man braucht nicht aufzustehen, keine Bücher zu wälzen, man betätigt die Tasten Alt und Tab, um vom Text, an dem man arbeitet, in die Encyclopaedia zu gelangen, wo man ein Stichwort eingibt und innerhalb weniger Sekunden eine Auswahl von Artikeln enthält, welche den gewünschten Begriff enthalten - und zwar auf sinnvolle Weise hierarchisch geordnet.

Das Tempo, in dem dabei jedesmal alle Bände durchgeblättert werden, grenzt an ein Wunder. Um mir die Wiedergabe mathematischer Formeln anzusehen (die sich schon sehr verbessert hat) gebe ich beispielsweise „Wahrscheinlichkeit" ein, bekomme jeweils die Anfänge von zehn Artikeln angeboten und erfahre im „Query report for this search", daß „probability" in 631 Dokumenten insgesamt 1.413-mal aufscheint. Bis zu 500 Artikel können angezeigt werden - das Ergebnis ist, innerhalb einiger Minuten, eine imponierende Liste von 500 Beiträgen zur Geschichte und Theorie der Wahrscheinlichkeit sowie zu Gebieten, in denen die Wahrscheinlichkeit eine Rolle spielt. Was hier zu finden ist, dürfte viele Bücher zu diesem Thema in den Schatten stellen, doch ist das Material auf soviele Stellen verteilt, daß es Tage dauern würde, sie in der gedruckten Ausgabe zu finden. Zu vielen dieser Beiträge werden, neben Inhaltsangabe und den ersten drei Zeilen, bereits in dieser Liste Abbildungen und Formeln angeboten.

Das Suchsystem des acht Gramm schweren Weltwunders durchforstet selbst auf einem betulichen 486er-PC 37,45 Millionen Suchbegriffe in Sekunden und dürfte damit wohl das beste derzeit verfügbare sein. 30 Bände im Regal mögen repräsentativer, schöner, sinnlicher sein - der Unterschied in der praktischen Arbeit entspricht dem zwischen Postkutsche und Auto.

Dabei stellt die Britannica auf CD-ROM gegenüber dem mächtigsten deutschsprachigen Großlexikon, der Brockhaus-Enzyklopädie, auch inhaltlich eine wertvolle Ergänzung dar. Wer beide benützt, entdeckt bald die Verschiedenheit der Blickwinkel. Der Brockhaus sieht die Welt, bei aller In-ternationalität, mehr aus der europäischen, die Encyclopaedia mehr aus der angelsächsischen Perspektive. Etwa, wenn es um die Österreichische Schule der Nationalökonomie geht. Schlägt man unter Ludwig von Mises nach, findet man in der Encyclopaedia die Werke aufgelistet, die er während seiner Tätigkeit an der New York University geschrieben hat. Klickt man das in den Text eingestreute kleine blaue Rechteck „Index" an, gelangt man zu einem Verweis auf das Stichwort „develop-ment of liberalism", dort wiederum findet man zwei fulminante Absätze aus „Omnipotent Government". Um aber zu erfahren, womit sich Mises bereits in Europa beschäftigt und was er hier geschrieben hat, muß man sich schon an den Brockhaus halten. Solche Erfahrungen macht man bei der Arbeit mit der Encyclopaedia öfter. Drum der Rat, sich an beide zu halten. Das Ergebnis ist eine Horizonterweiterung.

Die Installation ist problemlos. Der mitgelieferte Netscape Navigator ermöglicht per Internet Zugriff auf die kostenpflichtigen Info-Angebote der Britannica-Bedaktion. Integrierte Gratis-Zugabe: Miriam-Websters Collegiate Dictionary.

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Hellmut Butterweck

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