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Das Haus „Brockhaus“

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Dei Volks-Brockhaus. Jubiläumsausgabe. F. A. Brockhaus. Wiesbaden. 896 Seiten. — Hundertfünfzig Jahre F. A. Brockhaus. Von A. Hübscher. Ebenda. 308 Seiten

Zum zwölftenmal seitdem er 1931 bei seinem Erscheinen einen ungewöhnlichen Erfolg zu verzeichnen hatte, liegt der Volks-Brockhaus vor. Er ist das in Deutschland unübertroffene Muster eines leicht verständlichen, für die Jugend und für die breitesten Massen bestimmten knappen Nachschlagewerks. Zusammen mit dem Sprach-Brockhaus erfüllt er etwa die Aufgabe, die im französischen Raum dem Kleinen „Larousse“ zukommt. Vor dem Pariser Rivalen hat er jedoch den Vorzug, daß der Volks-Brockhaus die Naturwissenschaften und die Technik in hohem Maße berücksichtigt, daß ferner Druck, Gesamtausstattung und Bildbeilagen auch verwöhnten Ansprüchen genügen.

Das Buch erfaßt seinen ungeheuren Stoff mit wahrer Meisterschaft, die sich in der Beschränkung aufs wirklich Wesentliche bekundet. Die Illustrationen ergänzen wohlüberlegt den Text. Willkommene Uebersichttafeln treten hinzu. An ihnen Einzelheiten zu kritisieren, hätte wenig Sinn. Immerhin sei die Auswahl der, nach Ansicht des Sachbearbeiters, für die deutsche Literatur wesentlichen Werke und Namen als besonders schlecht, die der Romane als unbefriedigend, die der Opern als aufreizend gerügt. So schwierig es sein mag, zumal auf abgegrenzter, kleiner Zeilenzahl, die Selektion derart vorzunehmen, daß sie jedermanns Geschmack trifft: das, was wir hier, bei den erwähnten drei abschreckenden Beispielen, finden, ist unverteidigbar. Unter den Marksteinen der Oper und Operette den „Vetter aus Dingsda“ Künneckes und sogar Lortzings „Wildschütz“, ja — man soll Zeitgebundenes nicht für Zeitüberdauernde ansehen — Reutters „Odysseus“ zu erwähnen, dagegen zu schweigen von „Boris

Godunov“ und „Fürst Igor“, von „Wozzek“ und der „Dreigroschenbper“, bei Richard Strauss die „Frau ohne Schatten“, bei Johann Strauß die „Nacht in Venedig“ zu streichen, das geht nicht an. Auch kann man, sollte man, kaum über Meyerbeer, Gounod, Boieldieu und gar über Bellini hinwegvoltigieren.

Beim Roman steht es um die letzten zwei Generationen nicht übel. Ob aber die „Toten Seelen“ weniger nennenswürdig sind als Anzengrubers „Sternsteinhof“, Reymonts „Bauern“ weniger als Knittels „Via Mala“, „Manon Lescaut“ minder als Wassermanns „Wahnschaffe“, die „Prinzessin von Cleve“ weniger als „Der Kampf um Rom“ Dahns, „Die Kleinwelt unserer Väter“ Fogazzaros minder als Löns „Wehrwolf“? Und wer oder was vertritt die deutsche Literatur in der Zeittafel, a) zwischen 1850 und 1900, b) von 1900 bis 1950? Zu a): Nietzsche, Zarathustra; Hauptmann, Die Weber — einverstanden. Doch Sudermann, Heimat; Halbe, Jugend? Zu b): Thomas Mann, Buddenbrooks — selbstverständlich; G. Kaiser, Bürger von Calais;' Hasenclever, Det Sohn; I. Seidel, Wunschkind; Bergen-gruen, Großtyrann; Carossa, Geheimnisse; Jünger, Marmorklippen; Brecht, Mutter Courage; Hesse, Glasperlenspiel. — Aus. Glücklicherweise halten sich die anderen Uebersichten auf weit erfreulicherem Niveau. Insbesondere die Statistiken sind sehr zu rühmen. Recht guten Eindruck machen die biographischen Schlagworte, deren sorgsame Auswahl fast durchweg zu billigen ist. Hervorragend die Länderartikel, sämtliche größeren naturwissenschaftlichen Schlagworte, fast alles über Politik. Das Streben nach Objektivität heißt es da, wie auch auf dem Sektor Religion und Kirche, anerkennen. In dieser Beziehung ist der Fortschritt gegenüber der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich, als liberale Lexika überheblich für ihre Weltanschauung warben und jede von ihren Richtlinien abweichende Meinung mit verächtlicher Handgebärde abtaten. Von jenen Zeiten erzählt, mit Takt und ein wenig über alles Störende hinweggleitend, der Abschnitt in „150 Jahre F. A. Brockhaus“, der den Weg über das „Konversationslexikon“ zum „Großen Brockhaus“ schildert. Das Gedenkwerk ist sehr ansprechend, mit seiner Mengnis von Familienchronik und Geistesgeschichte, gesellschaftlichen Aspekten und Kulturbildern. Die zähe, bewundernswerte Arbeit eines deutschen Verlegergeschlechts erscheint in um so strahlenderem Lichte, je weniger sich der Autor um byzantinisches Verherrlichen seiner bürgerlichen Helden bemüht. Vielleicht den größten Reiz aber gewährt an dieser ausgezeichnet geschriebenen Darstellung, daß sie, wie von selbst, zum Hohenlied der Willensstärke, der Charakterfestigkeit wird. Die Devise „fluetuat, nec mergitur“ könnten die Brockhaus von der Stadt Paris als Wahlspruch entlehnt haben. Kein Schicksalsschlag, keine Ungunst der Zeiten hat sie je entmutigt. Auch nach der härtesten Prüfung, im zweiten Weltkrieg, sind sie rasch wieder hochgekommen, auf den vordersten Platz unter den Hütern bester deutscher Kulturüberlieferung. Ihre vielseitige, reiche, befruchtende Tätigkeit erhellt aus Hübschers Werk auf das klarste.

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