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Der Grobe Brockhaus, Band 6

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Der Große Brockhans. Sechzehnte, völlig neubearbeitete Auflage in zwölf Bänden. Sechster Band J bis Kz. F. A. Brockhaus, Wiesbaden 1955. Großoktav. 754 Seiten

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Der Große Brockhans. Sechzehnte, völlig neubearbeitete Auflage in zwölf Bänden. Sechster Band J bis Kz. F. A. Brockhaus, Wiesbaden 1955. Großoktav. 754 Seiten

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Gleichzeitig mit dem Großen Herder erscheint das repräsentative Lexikon des deutschen liberalen Bürgertums. Es ist sehr fesselnd, die beiden — jedes in seiner Art mustergültigen — Nachschlagwerke miteinander zu vergleichen. Dabei werden nicht nur die weltanschaulich und auch sonst vorbedingten Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten sichtbar, die sich aus den Zeitumständen erklären: Zweierlei, das wir nur resigniert zur Kenntnis nehmen, nämlich die aus Wirtschaftsgründen notwendig gewordene Einschränkung des Umfangs, beim Herder auf neun bzw. zehn, beim Brockhaus auf zwölf Bände, gegenüber vordem zwölf und ein Atlasband bzw. zwanzig Bände; sodann das Zurückdrängen der historischen Stoffe, das beim Brockhaus weniger fühlbar ist als beim Herder. An Vorzügen, die beiden Enzyklopädien eignen, nennen wir die eingehende Berücksichtigung der Naturwissenschaften, der gesamten Technik, die Aktualität — die sich im Berücksichtigen der neuesten Ergebnisse der Forschung und der jüngsten Ereignisse bekundet —, die klare und verständliche Darstellung. Bemerkenswert ist das Streben nach ruhigem, sachlichem Urteil, das beim Herder ohne Verleugnen seines festen weltanschaulichen Standpunkts auch den Andersdenkenden, Andersgläubigen gilt und das sich im Brockhaus im Verzicht auf jeden einst bei nicht konfessionell gebundenen Werken üblichen Agnostizismus ausdrückt. Auch das mit geringen Ausnahmen festzustellende Verschwinden aggressiv-nationalistischer Gesinnung ist hier wie dort zu loben. Die hervorragende Ausstattung, die prächtigen Karten, die geschmackvollen, den Text ergänzenden Bilder zieren gleichermaßen den Herder wie den Brockhaus. Das Freiburger Unternehmen zeichnet sich vor dem Wiesbadener durch größere Sorge um nicht nur einwandfreie, sondern auch wortkünstlerisch wertvolle Formulierung aus, was besonders bei den literarischen und philosophischen Artikeln angenehm berührt, aber auch an vielen biographischen Notizen bestätigt wird. Der Große Brockhaus hat dagegen eine umfänglichere biographische Nomenklatur. Das konnten wir vordringlich in bezug auf Frankreich und das alte Oesterreich-Ungarn beobachten. Ein weiteres Plus des Brockhaus sind die reicheren und nach Westen hin freigebigeren Literaturangaben; was den Osten anlangt, sündigen beide Lexika durch Nichtbeachten des dort seit ungefähr einer Generation durch die Wissenschaft Geleisteten.

Der vorliegende sechste Band des Großen Brockhaus kann an diesem im Wesentlichen sehr positiven Urteil über das Gesamtwerk nichts ändern. Er gehört zu den besten bisher erschienenen, eben weil hier Oestliches nicht so sehr im Vordergrund be-hairt. Betreten wir aber die kritische Zone j&iseits des Eisernen Vorhangs, dann bietet sich wieder Anlaß zum Aerger, so wenn bei Kopernikus aus der gesamten, gehältigen und umfänglichen polnischen Literatur zu diesem Thema ebensowenig etwas verzeichnet wird wie sogar bei Krakau. — Melden wir nun rasch ein paar Vorbehalte zu anderen Themen an, ehe wir uns den so sehr überwiegenden rühmenswerten Seiten des Bandes zuwenden. Im, wie schon allgemein gesagt, sehr guten biographischen Teil vermissen wir den französischen Philosophen Janet, den Revolutionsgeneral Joubert, die Familie Joyeuse, den bedeutenden tschechischen Staatsmann Kaizl. den gemeinsamen Finanzminister und Modernisator Bosniens, Källay, den jugoslawischen Politiker, heute Titos ersten Berater. Kardelj, den ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Graf . Kärolyi und der ausee7eichneten Staatsmann Sändor aus demselben Ma?naten;eschl'?cht (dem auch der im Brockhaus erwähnte, kürzlich verstorbene Mihäly angehört, bei Aon n.knk*M (W Hinweis auf seine höchst wichtigen Memoiren fehlt), ferner den österreichischen katholischen Politiker Kathrein, den Begründer der modernen wissenschaftlichen Genealogie Stefan Ke-kule v. Stradonitz (Sohn des genialen Chemikers), den FML v. Kempen, der in Franz Josephs ersten Jahren eine gar wichtige Rolle spielte, den türkischen Großwesir Kiamil Pascha, den österreichischen Staatsmann Grafen Erich Kielmansegg, den russischen Gegenrevolutionär General Kornilov, den japanischen Feldherrn General Kuroki.

Besonderen Beifall erheischen unter den vorhandenen Biographien die Jaspers', Jean Pauls, Kants, Karls des Großen, Gottfried Kellers, Kierkegaards, Kleists. Den Mittelpunkt des Bandes aber bilden Länderartikel: Japan (zehn Seiten), Jugoslawien (sechs) und Kanada (fünfeinhalb); auch die kürzeren geographisch-historischen Notizen über Java, Jemen, Jerusalem, Kairo, Karthago, Kärnten, Köln, Kolumbien, Korea, Kopenhagen sind wohl gelungen. Ein spezielles Lob geziemt der einläßlichen und tiefschürfenden Schilderung der Juden und des Judentums (acht Seiten). An den entscheidenden religiösen Stoffen geweihten Artikeln rühmen wir das Bemühen um niemand verletzende Behandlung. Doch da wird der Gläubige nie von einer nicht völlig seiner Ueber-zeugung gemäßen Darstellung befriedigt werden. Das empfinden wir etwa bei den an sich ausgezeichneten Schlagworten „Jesus Christus“ und Kirche, während zu „Jesuiten“ und „Katholische Kirche“ auch der Katholik keine Einwendung erheben wird; daß im Brockhaus keine herzliche Verbundenheit mit diesen Themen spürbar wird, kann man diesem Lexikon nicht verübeln.

Zu den Glanzstücken des sechsten Bandes rechnen wir aus der technisch-naturwissenschaftlichen Sphäre die kleinen konzisen Abhandlungen über Kabel, Kaffee, Kakao, Kakteen, Kali, Kalk, Kartoffel, Kautschuk, Kernphysik (ganz überragend), Kohle, Kosmische Ultrastrahlung, Kraftwagen, Kristall, Kunststoffe; aus der Medizin Kinderkrankheiten, Krankheit (samt Krankenhaus, Krankenpflege), Krebs. Sehr schöne Betrachtungen beschäftigen sich mit Keramik, mit dem Klassizismus, mit der Komödie, mit Kultur, Kunst und Kunstwissenschaft, mit japanischer Kunst, Literatur, Musik und Philosophie. Der Jugend und dem Kind sind außer vorzüglichen Hauptartikeln einige Sonderschlagworte gewidmet. Gerade hier müssen wir aber wieder an unsere häufige Beschwerde über Mißachtung des Oestlichen erinnern. Da die gesamte slawische Welt, auch in ihrer vorkommunistischen Gestalt, zu übergehen, ist unentschuldbar. Das Herdersche „Lexikon der Pädagogik“ hat sich in dieset Beziehung weit aufgeschlossener erwiesen.

Unter den vielen und meist anerkennenswerten Artikeln zur Politik ragen heraus Kaiser (unter den dem Kaiser als ebenbürtig geltenden Herrschern wären noch der türkische Padischah. der chinesische Sohn des Himmels und der persische Schach-in-Schach zu nennen gewesen), Kapitalismus (Literaturangaben ungenügend, westliche und -mindestens einige marxistische Schriften wären zu verzeichnen), Kartell, Klasse (Sowjetliteratur fehlt), Kolonie, Kommunismus (Text vorzüglich, Literatur besonders mangelhaft), Krieg.

Aus der stattlichen Zahl der Kunstdrucktafeln stechen hervor: Japanische Kunst, Kleinasiatische Kunst, Kunsthandwerk der Gegenwart, Kupferstich, die eindrucksamen Photographien zum Schlagwort Katholische Kirche und über das Kind, zu den Themen Japan und Judentum. Sehr wertvoll sind die eine Entwicklung vorbildlich veranschaulichenden Illustrationen der Artikel Kraftwagen und Kriegsschiff. Univ.-Prof. Dr. Otto Forst de Battaelia

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