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Die Tiere ziehen in die Städte

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In den Asphaltschluchten der Innenstädte könne kein zartes Pflänzchen Fuß fassen. Die in der Peripherie wuchernden Einfamilienhäuser, Gewerbeparks und Einkaufszentren raubten der Natur enorme Flächen. Die Plattenbau-Siedlungen am Stadtrand zerstörten nicht nur die Landschaft, sondern auch die Seelen ihrer Bewohner. „Die unmenschlichste Architektur der Baugeschichte”, heißt es in den Worten des überzeugten Umweltschützers Bernd Lötsch, Direktor des Naturhistorischen Museums und einer der Väter des Nationalparks Donauauen. Für viele Gleichgesinnte ist die moderne Großstadt ein Feindbild. „ 1 )ie globale Öko-zid-Gesellschaft ist ein urbanes Phänomen”, heißt es bei Lötsch.

Doch so unökologisch sind die vermeintlichen M oloche aus Asphalt und Beton gar nicht: Geteerte Straßen verhindern das Aufwirbeln gigantischer Staubmengen, wie sie etwa in Mexico-City wesentlich zur extremen Luftverschmutzung beitragen. Wer zum Beispiel manche in den sechziger

Jahren erbauten Plattenbauten im 22. Wiener Gemeindebezirk besichtigt, findet nicht graue Tristesse vor, sondern bunte Häuser in einer parkähnlichen Landschaft.

Mittlerweile leben in manchen Städten mehr Tierarten als in vermeintlich natürlichen Landschaften (die freilich oft nichts anderes sind als bäuerliche Kulturlandschaften). 18.000 Tierarten haben in einer durchschnittlichen europäischen Großstadt ihren Lebensraum, heißt es bei Dirk Maxeiner und Michael Mier-sch in ihrem Buch „Öko-Optimismus” (siehe dazu furche 36/1996). „Wenn ich einem Kollegen aus Südamerika eine möglichst große Vielfalt europäischer Arten zeigen wollte, würde ich mit ihm nach Berlin fahren”, wird ein Biologe zitiert. Habichte nisten auf Strommasten, Fledermäuse in Dachstühlen und Graureiher in Parkanlagen. Industriebrachen und leerstehende Baugrundstücke, von vielen Menschen als häßliches Ödland und Schandflecken der Landschaft betrachtet, zählen zu den wertvollsten Biotopen. Laut einer Untersuchung des Umweltdezernates der Stadt Frankfurt findet sich eines der größten Insekten-Paradiese der Mainmetropole ausgerechnet auf dem Gelände eines Gebrauchtwagen -marktes. Doch solche Entwicklungen werden nicht wahrgenommen, klagen die Autoren des Buches, das kürzlich vom Magazin „Bild der Wissenschaft” ausgezeichnet wurde.

Viele Umweltschützer betrachten weiterhin das beschauliche Ökodorf als die einzige „natürliche” Art des Wohnens (siehe Seile 14). Aneinan-dergebaute putzige Gartenhof- und Atriumhäuser statt urbaner Dichte und pulsierendem Leben - so wird die Stadt zum Dorf. Und das hat nicht nur seine Vorteile, selbst wenn man in Seidenmalen und Töpfern im Gemeinschaftshof den Höhepunkt des Lebens erblickt. Dazu der Wiener Sozialforscher Ernst Gehmacher: „Ländliche Lebensart ist reizarm, gemütlich besinnlich, wärmer in der ,Dorfgemein-schaft', inniger mit der Natur - aber dafür auch eher fad, eng, oft gehässig im Umgang mit den Nachbarn. Die Wege sind lang, auch mit dem Auto -und Landleben ist heute ohne Auto kaum mehr möglich.”

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