Christi Anspruch radikal in Erinnerung gerufen

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Markus Hofers Franz-von-Assisi-Biographie vermeidet Klischees über den Heiligen.

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Markus Hofers Franz-von-Assisi-Biographie vermeidet Klischees über den Heiligen.

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Er selbst sei kein Asket - schreibt der Vorarlberger Theologe und Germanist Markus Hofer in der Widmung zu Beginn seiner Franziskus-Biographie "Francesco - Der Mann des Jahrtausends". Hofer schildert dennoch sehr anschaulich das Leben des Francesco Bernadone, der als Franz von Assisi bekannt geworden ist. Für Menschen, die nur die Plastikskulptur des "Heiligen mit der Taube auf der Schulter" kennen gelernt haben - oder Zefirellis Film "Brother Sun and Sister Moon", eröffnet der Autor ein anderes Bild des Francesco. Er geht kritisch mit den Quellen um, vermeidet Klischees und analysiert das Umfeld des mittelalterlichenAussteigers: "Es war kirchlich eine bewegte und nicht ungefährliche Zeit. Es gab viele Armutsbewegungen und zunehmend religiöse Gruppen, die sich unter Berufung auf das Evangelium direkt gegen die Kirche wandten und von dieser als Ketzer und Sektierer verfolgt wurden (Katharer, Waldenser)."

Francesco, der nicht Theologie studiert hatte, und deshalb als einfältig, unwissend und ungebildet galt, bestand die nicht unproblematische Begegnung mit dem Papst. Markus Hofer schält die Geschichte dieses Treffens aus der verklärten Überlieferung - eine sehr schöne, ruhige Passage des Buches. Der Papst, die Zeitgenossen - sie waren ebenso beeinduckt vom Auftreten des (körperlich) kleinen Mannes aus Assisi wie der Autor heute. Ein Grund mag darin liegen, "dass keiner die Worte des Evangeliums wörtlicher nehmen kann als Francesco." Ein Heiliger eben. Der Heilige.

Da muss auch mit den Romantizismen in der Beziehung zwischen Francesco und Chiara aufgeräumt werden: "Nicht zuletzt war für Francesco nach den vergangenen sechs Jahren seiner radikalen Umwandlung eine Liebesbeziehung zu einer Frau vermutlich kein Thema mehr. Für Chiara könnte es etwas anders ausgesehen haben. Ein Traum, der im Rahmen der Heiligsprechung von einer Mitschwester vorgebracht wurde, weist durchaus erotische Komponenten auf. Chiara kommt darin zu Francesco, um ihn in seiner Krankheit zu pflegen, worauf dieser ihr eine Brustwarze zum Saugen anbietet. Die Brustwarze bleibt ihr dann zwischen den Lippen kleben und verwandelt sich in Gold. Wenn es eine erotische Komponente in dieser Beziehung gab, so war sie einseitig."

In einem "inszenierten Tod", verabschiedete sich Francesco, nach 57 Jahren Leben in Armut und Entbehrungen, von seinen Brüdern. Am Abend des 3. Oktober stirbt er, schwer gezeichnet, in der Portiuncula. "Nackt auf dem nacktem Boden" umarmt er zur vollkommenen Freude endgültig seinen Bruder Tod.

Hofers Buch ist in zwei Teile geliedert. Die zweite Hälfte wird zum Reiseführer durch die Stätten in und um Assisi. Zwei Beispiele für die manchmal sehr persönlichen Betrachtungen: Die Basilika Santa Mariadegli Angeli - betritt der Autor nur zögerlich: "Konsequenterweise dürfte es diese Kirche nur geben, wenn es keine Armen mehr gibt. Die Tatsache, dass sich über der kleinen Kapelle Francescos eine gigantische Basilika erhebt, kann man als Ausdruck der nachfolgenden Bedeutung des Heiligen sehen [...] Gemessen an Francescos ureigenstem Anliegen bleibt sie aber ein spiritueller Schlag ins Gesicht." Besonders erbost zeigt sich Markus Hofer von der Renovierung San Damianos. Er bezeichnet die mit franziskanischem Eifer gereinigte restaurierte Kirche, als "tragisches Beispiel für eine falsch verstandene Renovierung unserer Zeit". Der "Gipfel der Geschmacklosigkeit" sei der Halogenstrahler, der die Kopie des Kreuzbildes, das zu Francesco gesprochen hatte, erhellt. Da bricht die Nüchternheit des ersten Teils des Buches, wenn die Sehnsucht nach russgeschwärzten Wänden und Kerzenbeleuchtung groß wird. Als Buch zur Besichtigung findet man hier die historischen Geschichten, die an die Orte anknüpfen und - zum Nachlesen die Stimmung, eine Erinnerung.

Dann geht Markus Hofer noch der Sache mit dem Wein nach: Hat er, oder hat er nicht - Wein getrunken, der Heilige aus Assisi? Der Autor bejaht diese These mehrfach, und um jeden Zweifel auszuräumen, schreibt er einen gewagten Schluß: "Einen kurzen Brief" an Francesco: Da will Markus Hofer den Heiligen in die Trattoria Montagliari in den Chianti-Bergen bei Greve locken, ihn zum Genuss von Hühnerleber, Olivencreme und Wein - Chianti classico und einer Flasche Brunesco - verführen, das üppige Mahl mit einem "grandiosen Grappa" krönen, um "auch eine Form von Seligkeit" zu erleben.

Vielleicht hätte Francesco den Autor doch eher bei der Hand genommen und zu den Menschen geführt, die nach dem großen Erdbeben 1997 noch immer in Containern leben müssen, weil die Kommune auf sie vergessen hat. Dort hätten sie sich unter einem Vordach zusammen gesetzt und über die Schäden an den Kirchen und den Häusern der Menschen gesprochen und ein einfaches Mahl - alle zusammen - eingenommen, ein Fest gefeiert und in dieser Fröhlichkeit die andere Seligkeit erlebt - die des Francesco.

Denn, wie Markus Hofer überzeugend darstellt: "Die Aufgabe Francesco d'Assisis bestand darin, den Anspruch Christi in seiner Radikalität in Erinnerung zu rufen und einzunehmen. Er tat es, indem er ihn konsequent lebte und wortwörtlich umsetzen versuchte. Sein Orden sollte genau wie sein Leben ein ständiges Mahnmal dafür und eine Ermunterung dazu sein."

Francesco. Der Mann des Jahrtausends. Die historische Gestalt des Franz von Assisi. Von Markus Hofer. Tyrolia Verlag, Innsbruck, 2000. 312 Seiten, 50 Farbabb., geb., öS 348,-/e 25,29

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