Ein Fingerzeig auf unsere Zeit

19451960198020002020

Sommertheater muss nicht anspruchslos sein, wie die Festspiele Stockerau (Anouilhs "Becket") und Reichenau (Gorkis "Sommergäste") zeigen.

19451960198020002020

Sommertheater muss nicht anspruchslos sein, wie die Festspiele Stockerau (Anouilhs "Becket") und Reichenau (Gorkis "Sommergäste") zeigen.

Werbung
Werbung
Werbung

Traditionelles Sommertheater hat zumeist mit einem schweren Vorurteil zu kämpfen. Die Stücke, oft unter freiem Himmel zur Aufführung gebracht, bedienten sich vorwiegend der leichten Muse, heißt es. Nicht selten stimmt das auch. Dass es auch anders geht, beweisen die zwei Festspielorte Stockerau und Reichenau mit ihren aktuellen Produktionen. In Stockerau hat sich Intendant und Hauptdarsteller Alfons Haider heuer Jean Anouilhs "Becket" vorgenommen. Das Werk, 1958 entstanden, beleuchtet die Beziehung von Geistlichkeit und Weltlichkeit. In welch dramatischem Spannungsverhältnis diese beiden Pole stehen, zeigt Anouilhs Fokussierung auf seine scharfen Angriffe gegen Heuchelei und Intoleranz, übrigens häufige Themen in den Dramen des französischen Dichters.

"Becket" erzählt vom Verhältnis zwischen König Heinrich II. von England und seinem Freund Thomas Becket, den er zunächst zum Kanzler und später zum Erzbischof macht. Dass aus der ehemaligen Männerfreundschaft sehr schnell eine Todfeindschaft wird, gibt dem Stück jene Dramatik, die auf sommerlichen Bühnen meist spärlich gesät ist. Und der deutsche Regisseur Günther Fleckenstein hat einen "Becket" inszeniert, der formal wie inhaltlich zu entzweien vermag - auch das tut gut.

Alfons Haider als König und der deutsche Nachwuchs-TV-Star Jan Bodinus als Becket bewegen sich über eine bewusst karg ausgestattete Bühne. Die Kulisse der Stockerauer Kirche ist Dekoration genug und wird im Finale dem König zum absoluten Triumph verhelfen, über die Toleranz, über die Kirche, und über Gott. Überhaupt: je kirchenfeindlicher das Stück im Fortgang wird, und je mehr heuchlerische Phrasen Anouilh seinen Personen in den Mund legt, desto dramatischer wird die Inszenierung und desto spannender wird der Theaterabend.

Alfons Haiders König Heinrich zeigt den ehemaligen TV-Star auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Schauspielkunst. "Becket" ist der Abschluss einer enormen künstlerischen Entwicklung Haiders. Haider flüstert und schreit, lacht und weint, liebt und hasst aus voller Brust. Etwas blass hingegen Bodinus als Becket, der lieber schweigt und selbst in seinen aufgeregten, aktiven Szenen wenig begeistert. Höhepunkt der Inszenierung: ein Dialog zwischen dem Papst (Eugen Stark) und Kardinal Zambelli (Siegfried Walther), die in Zynismus wohl kaum zu überbieten ist.

Auch in Reichenau erzählt die dritte Premiere des heurigen Sommers durchwegs Anspruchsvolles, wenngleich hier mit Maxim Gorkis "Sommergästen" ein Stück gespielt wird, in dem die Akteure vor Oberflächlichkeit, Fadesse und Genusssucht beinahe zu müde zum Gähnen geworden sind. Das um 1905 entstandene Stück erzählt von leeren, inhaltslosen Menschen, die sich auf Sommerfrische begegnen und die ihren Hass auf den Alltag mit sinnlosen Dialogen betäuben. Eine zeitlose Problematik.

Die Ärztin Marja Lwowna will die demoralisierte Gesellschaft erneuern. Erfolg hat sie damit bei Warwara, der Frau des Anwaltes Bassow, und deren Bruder Wlas, der verliebt in Marja ist und dies wie ein linkischer Tölpel mit Unernst und Zynismus verbirgt. Die drei brechen schließlich aus der Eitelkeit der Gesellschaft aus.

Beverly Blankenship hat das Stück inszeniert, und konnte die Belanglosigkeiten der damaligen (wie auch der heutigen) "besseren Gesellschaft" gut herausarbeiten. Leider hat Blankenship das größte Problem, das derartige Stücke mit sich bringen, nicht lösen können. Zu viele Akteure tummeln sich auf den Brettern, zu kurz sind Auftritte und Abgänge. Die "Sommergäste" sind auch für die Konzentration der Schauspieler eine Herausforderung. Die nämlich verfangen sich streckenweise im mechanischen Aufsagen der gelernten Texte, zumal die Koordination auf der Bühne im Ensemble nicht immer klappt. An diesen Stellen wirken die Reichenauer "Sommergäste" angestrengt und ermüdend. Dabei muß man vor dem Ensemble dennoch den Hut ziehen: funktioniert die Kommunikation auf der Bühne, so laufen Birgit Doll als Marja Lwowna, Florentin Groll als Bassow, Cornelius Obonya als Wlas, und Martin Schwab als Onkel zu Bestleistungen auf. Ebenfalls sehenswert sind Petra Morze, Alexander Lhotzky und Erich Schleyer.

In Stockerau und Reichenau wird jedenfalls ein Theater geboten, das Vorurteile gegen sommerliches Schauspiel abzubauen hilft. Nicht immer sind leichte Komödien unterhaltsamer als anspruchsvolle, spannende Stücke. Die beziehen ihren Humor nämlich daraus, daß sie in altem Gewand daherkommen, mit ihren Fingern aber schonungslos auf unsere heutige Zeit zeigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung