Welcher Staat Israel?
Als Kind palästinensischer Eltern bin ich von vielen Diskussionen zum Thema "Israel“ begleitet aufgewachsen. Bevor ich die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt, war ich, wie der Rest meiner Familie, staatenlos. Mein Vater betonte immer: "Wir sind Palästinenser“. Meine Oma erzählte mir viele Geschichten über Haifa, wo die Familie vor 1948 lebte. So war mein erster Besuch in Jerusalem 2011 von unterschiedlichen Gefühlen und Gedanken begleitet.
Eine Sehnsucht nach der Heimat meiner Großeltern, gemischt mit Unbehagen in Bezug auf die Unruhen. Fasziniert hat mich unter anderem das Bild der auf unterschiedliche Weisen betenden Menschen in der Grabeskirche. Manche machten, ähnlich wie Muslime, Verbeugungen und Niederwerfungen im Gebet, andere beteten sitzend. Viele christliche Konfessionen pflegen zwar verschiedene Rituale, beten jedoch alle den einen Gott an, den Gott Abrahams. Dieses schöne Bild wurde schnell durch ein anderes getrübt: Die Streitigkeiten zwischen den Konfessionen innerhalb der Grabeskirche, weshalb der Schlüssel der Kirche von einer muslimischen Familie verwahrt wird.
Die al-Aqsa-Moschee, die die erste Gebetsrichtung des Propheten Mohammed war, die Klagemauer, die Grabeskirche, alles in Jerusalem erinnert an Gott und an eine lange Geschichte, die von Abraham bis Mohammed geht. Dieses Land müsste viel Frömmigkeit in die Welt ausstrahlen. Aber wie, wenn auf einer so kleinen Fläche so viel um Gott gestritten wird? Gott will nicht, dass um ihn gestritten wird, er ist der Gott aller Menschen, der Juden, der Christen, der Muslime, auch der Buddhisten, der Agnostiker und der Atheisten. Theologien, die Gott für sich selbst vereinnahmen wollen, bieten der Ausgrenzung und Menschenverachtung, aber auch politischer Instrumentalisierung, Raum.
Der Autor leitet das Zentrum für Islam. Theologie der Uni Münster
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