Jägerstätters Pendant

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Die lang erwartete Parallel-Biographie eines Zeugen Jehovas, der den Wehrdienst verweigerte.

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Die lang erwartete Parallel-Biographie eines Zeugen Jehovas, der den Wehrdienst verweigerte.

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Endlich lesen wir die Geschichte eines Zeugen Jehovas. Seit in den letzten Jahrzehnten die mündliche Geschichts-"Schreibung" populär geworden ist, haben die (meist jungen) HistorikerInnen keine Berufsgruppe ausgelassen. Doch es mußte der "Hobbyhistoriker" Bernhard Rammerstorfer kommen, um endlich auch ein Buch über einen von den Nationalsozialisten verfolgten Zeugen Jehovas zu schreiben. Ein packendes Buch, wie auch der Historiker Detlef Garbe meint. Und Garbe muß es wissen, denn er hat mit "Zwischen Widerstand und Martyrium" das Standardwerk über die Zeugen Jehovas im Dritten Reich geschrieben.

Rammerstorfer schreibt packend. Er hat auch keine Mühe gescheut, jede noch so kleine Spur zu verfolgen und jede Aussage von Leopold Engleitner zu überprüfen. Die Erstellung des Personenregisters zwang ihn, nicht nur die Namen, sondern alle von Engleitner gemachten Angaben zu überprüfen. Eine Vorgangsweise, die bei Oral history leider nicht selbstverständlich ist. Das alles hat nichts mit Franz Jägerstätter zu tun. Jägerstätter ist trotzdem der eigentliche Grund, warum ich auf dieses Buch so gewartet habe. Ich bin 1955 in der Gemeinde St. Georgen, an der Grenze zwischen Salzburg, Oberösterreich und Bayern, geboren. Bereits als Kind hatte mir mein Vater von einem Bauern aus St. Radegund erzählt, der nicht für Hitler kämpfen wollte, daß bereits damals etwas von einem Nahverhältnis zu den Bibelforschern gemunkelt worden ist. Tatsächlich waren Jägerstätters Tante Maria und sein Cousin Johann Huber Zeugen Jehovas. Leider wissen wir sehr wenig über das Verhältnis Jägerstätters zu den Zeugen Jehovas. Johann Huber erzählte Leopold Engleitner kurz nach dem Krieg, daß er nach dem Austritt aus der Katholischen Kirche in St. Radegund Schwierigkeiten bekam. Engleitner erinnert sich an die Aussage Hubers, daß er nicht einmal mehr Milch kaufen konnte. Nur die Mutter Franz Jägerstätters grenzte ihn nicht aus. Bei den regelmäßigen Besuchen soll ihn Franz Jägerstätter zuerst etwas abfällig angesprochen, ihm später jedoch auch ernsthafte Fragen gestellt haben. Engleitner betont die bleibende Distanz und will Jägerstätter auf keinen Fall für die Zeugen Jehovas vereinnahmen.

Der Innviertler Bauer gehört seit dem Buch "Er folgte seinem Gewissen - Das einsame Zeugnis des Franz Jägerstätter" von Gordon Zahn (1967) zu den bekanntesten Gegnern Hitlers in Österreich. Jägerstätter wurde 1907 in St. Radegund in der Nähe von Braunau geboren. Die Eltern waren zu arm, um zu heiraten. In den ersten Lebensjahren übernahm die Großmutter die Erziehung. 1917 heiratete seine Mutter den Bauern Heinrich Jägerstätter, der Franz adoptierte und auf dessen Hof ein Großvater den Jungen zum Lesen anregte. Franz galt als lebenslustig. 1936 heiratete er die tiefreligiöse Franziska Schwaninger. Der als außergewöhnlich glücklich geltenden Ehe entstammen die Töchter Rosalia, Maria und Aloisia. 1938 stimmte Franz Jägerstätter gegen den Anschluß Österreichs ans deutsche Reich. Im Oktober 1940 wurde er zum Militär einberufen. Er absolvierte die Grundausbildung und leistete den Eid auf Hitler. Auf Betreiben des Bürgermeisters wurde er im April 1941 unabkömmlich gestellt. Bis zur neuerlichen Einberufung im Februar 1943 festigte sich seine Entscheidung, den Dienst in der Deutschen Wehrmacht zu verweigern. Dabei blieb er. Am 9. August 1943 wurde Franz Jägerstätter in Berlin hingerichtet.

Regisseur Axel Corti nahm das Buch des amerikanischen Pazifisten Zahn zur Grundlage für seinen Film "Der Fall Jägerstätter". Die konsequente Ablehnung Jägerstätters, in der Deutschen Wehrmacht zu kämpfen, löste bis heute andauernde heftige Kontroversen aus. Dabei wurden immer wieder Vergleiche mit dem Verhalten der Zeugen Jehovas angestellt. Diese gingen jedoch kaum über Andeutungen hinaus. Für einen überprüfbaren Vergleich fehlte vor allem die Biographie eines Zeugen Jehovas, der es wie Jägerstätter auf Grund seines Bibelstudiums nicht fertigbrachte, "Soldat Christi und zugleich Soldat für den Nationalsozialismus zu sein". Jetzt liegt diese Biographie vor und wie können das Verhalten von Franz Jägerstätter und Leopold Engleitner vergleichen. Beide stammen aus einfachen Verhältnissen und sind fast zur gleichen Zeit geboren. Beide wurden katholisch erzogen und suchten auf ihre Fragen eigenständige, vom Denken ihrer Umgebung sehr stark abweichende Antworten. Leopold Engleitner fand seine Antwort bei den Zeugen Jehovas, Franz Jägerstätter blieb Mitglied der katholischen Kirche und rang mit seinem Pfarrer und sogar mit dem Bischof in Linz.

In diesem Ringen wurde meist der wesentliche Unterschied zu den Zeugen Jehovas gesehen. Schließlich hat sich Jägerstätter im Widerstand gegen seine eigenen Glaubensbrüder zu seiner Entscheidung durchringen müssen, während Engleitner und die anderen Zeugen Jehovas dies in Übereinstimmung mit der Leitung ihrer Glaubensgemeinschaft taten. Das ist richtig, doch zeigt das vorliegende Buch im Kapitel "Mutiger Religionswechsel in den schweren 30er Jahren", daß die Widerstände, die Engleitner überwinden mußte, denjenigen Jägerstätters in nichts nachstanden. Trotz des Rückhaltes bei seinen Glaubensbrüdern mußte sich Engleitner gegenüber einer Umgebung behaupten, die seinen Überzeugungen ablehnend bis feindlich gegenüberstand. In der Zeit des Ständestaates standen Jägerstätter und Engleitner politisch auf verschiedenen Seiten. Wären sie einander persönlich begegnet, hätte sie vielleicht das Bibelstudium verbunden, das Verhältnis zu Dollfuß und Schuschnigg jedoch getrennt. Ich wünsche mir, daß sich Anhänger Jägerstätters und Zeugen Jehovas zu Gesprächen über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser aus der Bibel motivierten Gegner des Nationalsozialismus treffen. Gespräche Jäggerstätters mit Zeugen Jehovas sind nur bruchstückhaft überliefert. Immerhin hat jetzt der interessierte Leser die Möglichkeit, Jägerstätter und Engleitner in einem fiktiven Dialog zu verbinden.

Nein, statt Ja und Amen Leopold Engleitner: Er ging einen anderen Weg. Von Bernhard Rammerstorfer.

Eigenverlag, Linz 1999. Golfplatzstraße 22, A4048 Puchenau,Tel. 0664-3698938 224 Seiten, geb., öS 259,- /e 18,82

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