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Er war Gottes treuer Rebell

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Um Franz Jägerstätter ist es seit einiger Zeit wieder still geworden. Der Versuch aufgeregter Linksintellektueller in den sechziger Jahren, den jungen Bauern aus Sankt Radegund zum Wehrdienstverweigerer zu stilisieren, scheiterte kläglich. Denn Jägerstätter war kein Wehrdienstverweigerer, sondern ein Naziverweigerer und Anschlußverweigerer, wie sich alsbald herausstellte. Seine Haltung hatte nicht das geringste gemein mit der Disziplinscheu verwöhnter Arbeitersöhne. Jägerstätter hätte, im Gegenteil, sofort zur Waffe gegriffen, um Österreich zu verteidigen.

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Um Franz Jägerstätter ist es seit einiger Zeit wieder still geworden. Der Versuch aufgeregter Linksintellektueller in den sechziger Jahren, den jungen Bauern aus Sankt Radegund zum Wehrdienstverweigerer zu stilisieren, scheiterte kläglich. Denn Jägerstätter war kein Wehrdienstverweigerer, sondern ein Naziverweigerer und Anschlußverweigerer, wie sich alsbald herausstellte. Seine Haltung hatte nicht das geringste gemein mit der Disziplinscheu verwöhnter Arbeitersöhne. Jägerstätter hätte, im Gegenteil, sofort zur Waffe gegriffen, um Österreich zu verteidigen.

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Harmlos fromme Seelen waren zudem von der Tatsache verschreckt worden, daß dieses durch und durch normale Mannsbild Jägerstätter vor dem großen Entschluß und vor dem Opfergang eine wüdbewegte Jugend hinter sich gebracht hatte, daß er ein ortsbekannter Raufer gewesen war, daß seine gelegentlichen Fahrten auf dem Schlachtroß, dem Motorrad, nach Salzburg nicht unbedingt der Stadtbesichtigung gegolten haben dürften und daß er schließlich - o Schreck - Alimente für ein uneheliches Kind zahlte, von dem er allerdings nicht genau wußte, ob er tatsächlich der Vater war.

Die kirchlichen Bürokratien schließlich, die noch nach dem Krieg Veröffentlichungen über Jägerstätter zu verhindern oder doch wenigstens zu zensurieren versucht hatten, hofften innig, daß die von Jägerstät- ters Mitbürgern gewählte Formel, über die ganze Sache sei „längst Gras gewachsen”, den Tatsachen entspreche.

Aber man soll den Namen Jäger- stätters nicht eitel nennen.

Als unveränderter Nachdruck der im Jahre 1967 erschienen Ausgabe erschienen soeben Jägerstätters Biographie „Er folgte seinem Gewissen” von Gordon C. Zahn. Ausländer (natürlich keine Österreicher, Gott behüte!)’’ fragten” bei mil- an, wer die Neuauflage herausgebracht habe. Der Styria-Verlag (Graz) hat es getan.

Zahns Werk ist deshalb so eindrucksvoll, weü der Verfasser ursprünglich der Annahme war, Jägerstätter sei, wie er selbst, Wehrdienstverweigerer aus „Gewissensgründen” gewesen, doch die Ergebnisse der Nachforschungen waren für den Amerikaner Zahn sehr überraschend, und er gibt dies zwischen den Zeilen auch zu.

Dies war nicht die einzige Schwierigkeit, mit der Zahn zu kämpfen hatte. Er mußte sehr bald einsehen, daß sein fließendes Schriftdeutsch nicht ausreichte, und daß er eigens Oberösterreichisch lernen mußte, um sich in Linz und Sankt Radegund überhaupt verständigen zu können. Was er nicht lernte und gar nicht durchschauen konnte, war die österreichische Fähigkeit, die Dinge nicht auszusprechen,’sondern um sie herumzureden, Widersprüche nicht als solche gelten zu lassen, Entschlüssen auszuweichen und nicht zu antworten, was man selber denkt, sondern was der Fragesteller gerne hören möchte. Herauskarq bei alldem, daß die Sankt Radegunder ihrem Dorfgenossen „verziehen” haben.

Erstaunlich.

Aber verzeiht die kirchliche Bürokratie den radikalen Christen? Wenn Klosterschwestem und Ordensgründer am Fließband selig- und heiliggesprochen werden, so bleibt dieser Vorgang für alle Beteiligten auf eine höchst angenehme Art unverbindlich. Wie aber steht es um „Laien”, die mit ihrem Christentum auf eine erschreckende radikale Weise ernst machen?’

Fünfhundert Jahre brauchte die kirchliche Bürokratie, um zuzugeben, daß der Bischof, den Jeanne d’Arc als ihren Mörder bezeichnet hatte, tatsächlich ihr Mörder war, sie selbst aber eine Heilige. Nicht so lang brauchte es, um Thomas Morus heiligzusprechen. Das geniale Scheusal, das ihn hatte köpfen lassen, war lediglich ein König (wenn auch ursprünglich zum geistlichen Stand bestimmt) gewesen. Im Falle Jägerstätter, sollte man meinen, stünden dem Entschluß, ihn auf Heiligkeit zu klagen und damit den kanonischen Vorschriften Genüge zu tun, nicht so große Schwierigkeiten entgegen.

Dem ist aber nicht so.

Ein Prozeß Jägerstätter könnte aufdecken, daß Opportunismus letzten Endes dumm ist. Wobei die historische Fehlhaltung der österreichischen Bischöfe, ihre Gläubigen auf- zufordem, für Hitler mit „Ja” zu stimmen, weil unter Druck geschehen, gar nicht der größte Fehler war. (Jägerstätters „Nein” bei der Volksabstimmung vom 10. April 1938 hatte fürs erste keine Konsequenzen, denn alle Wahllokale apportierten brav ein einstimmiges „Ja”, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann.)

Nein, ein Prozeß Jägerstätter nach kanonischem Recht könnte nämlich dartun, daß auch die kirchlichen An biederungsversuche an die Irrtümer der Gegenwart in Ost und West nicht nur problematisch sind, sondern auch erschreckende Konsequenzen zeitigen müssen. Irgendetwas scheint an der Erziehung unserer Geistlichkeit nicht zu stimmen.

Jeder Generaldirektor, dessen Unternehmen in die roten Zahlen geraten ist, forscht nach, wann diese ent- wicklung begonnen hat, was er falsch gemacht hat und welcher Fehler daher zu korrigieren wäre. Unsere Geistlichkeit hingegen scheint nicht zu begreifen, daß man einer so großen Abfallsbewegung wie der gegenwärtigen nicht mit Fragebögen und Symposien, sondern nur mit Gewissenserforschung begegnen kann. Und mit einem Neubeginn.

Dabei sollte eine zweitausendjährige Erfahrung sie längst gelehrt haben, daß der einsame Opfergang eines radikalen Christen, wie Franz Jägerstätter es war, einer Zeitbombe gleichkommt. Die Zeitbombe tickt, wie die Neuauflage des Werks von Zahn beweist. Aber eines schönen Tages explodiert sie.

ER FOLGTE SEINEM GEWISSEN. Von Gordon C. Zahn. Zweite Auflage, Styria-Verlag, Graz-Wien-Köln. 314 Seiten, kartoniert, öS 168,-.

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