Der Stachel im Fleisch

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Die bevorstehende Seligsprechung Franz Jägerstätters lässt auch den sogenannten "Fall Waldheim" in einem anderen Licht erscheinen.

Lang hat es gedauert, aber nun ist es nicht mehr aufzuhalten: Der katholische Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstätter wird selig gesprochen. Aber das war eine schwere Geburt. Was war dabei aber so schwer und welche Implikationen müssen dabei beachtet werden? Es wird sich dabei zeigen, dass auch der sogenannte "Fall Waldheim" in einem anderen, für die meisten neuen Licht zu sehen ist.

Selbständiges Denken

Halten wir uns an die Tatsachen: Der Bauer und Mesner aus dem Ort St. Radegund in Oberösterreich kam durch selbständiges Denken, wenn auch durch geistige Unterstützung durch christliche "Sektierer" während der deutschen Besatzung Österreichs, zur Erkenntnis, dass eine Unterstützung von Adolfs Hitlers Kriegen mit ihren Verbrechen in jedem Fall etwas zutiefst Unsittliches beziehungsweise Unchristliches wäre. Diese Kriege wären von allem Anfang an etwas zutiefst Verbrecherisches gewesen und wer an diesen teilnimmt und sie auch nur in irgendeiner Weise unterstützt, nimmt an diesen Verbrechen teil, wird selbst zum Verbrecher.

Daher ergab sich die zwingende Folgerung, dass man, um nicht selber Verbrecher zu werden, sich auch jedem Zwang hiezu zu widersetzen habe, nötigenfalls sich auch eher töten lassen müsse, ehe man zum Mörder oder zum Mordkomplizen werde. Dass ihm, sollte er den Wehrdienst verweigern, der Justizmord durch den nationalsozialistischen Staat drohen würde, war zu dieser Zeit eine Selbstverständlichkeit und wurde auch durch den faktischen Handlungsbedarf in aller Schärfe bestätigt.

Diese Kenntnisse über Franz Jägerstätter verdanken wir dem US-amerikanischen christlichen Pazifisten Gordon C. Zahn, der nach seinen Forschungen in zwei Büchern - Die deutschen Katholiken und Hitlers Kriege und Er folgte seinem Gewissen. Das einsame Zeugnis des Franz Jägerstätter - mehr Fragen aufwirft, als er beantworten konnte.

Die Frage nach den Konsequenzen für uns soll nun in aller Deutlichkeit für uns hier aufgeworfen werden. Denn es braucht nicht gesagt zu werden. Die "Normaleinstellung" von Österreichs Katholiken sah anders aus: Autoritär erzogen, hielt man es für richtig, den Befehlen der staatlichen Obrigkeiten zu folgen, auch wenn diese eine Tötung anderer, vor allem, doch nicht nur, von "Feinden" beinhalteten, das gehörte dann eben zur "Pflichterfüllung". Es war auch maximale Anpassung, auch das gehörte zum Normalkatholizismus, vor allem seinem Hauptstrom. Nur wer sich dies vor Augen hält, begreift das Anderssein des Franz Jägerstätter, seine auch innere Konfliktsituation.

Nun muss jedoch nicht nur das Verhalten des "Normalkatholiken" in Betracht gezogen werden, sondern auch dessen Normgeber, der Klerus. Was war denn nun dessen Norm? Zahn berichtet von einem Besuch Jägerstätters bei seinem Bischof in Linz. Er wollte von seinem Bischof hören, was dieser von seinem noch in Schwebe gehaltenen Entschluss hielt, sich von der NS-Justiz ermorden zu lassen.

Die normalen Katholiken

Die Bischöfe sind bekanntlich Hirten ihrer Schafe, wobei bei letzeren auch eine gewisse Dummheit mitgedacht wird. Sie dürfen blöken, haben sich auch bei der Herde aufzuhalten, da sie ja ungleich dümmer sind als die "Hirten". Das Volk bejaht ja auch die eigene inferiore Position.

Es gehörte jedoch zu Jägerstätters katholischem Normalverhalten, den Bischof zu fragen, was er davon hielte, wenn er verweigerte. Der Bischof war ein Normalbischof. Und verhielt sich auch so: Er solle doch auch an die Familie denken et cetera; Jesu Wort: "Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert", ist ihm sosehr fremd oder er verdrängte es sofort, sobald es auftauchte.

Jedenfalls versuchte er seinem Schäfchen sein Vorhaben auszureden, wie wir wissen, Gott sei Dank ohne Erfolg.

Gott sei Dank deshalb, weil sonst sein Sonderfall nicht daran erinnern könnte, dass er hätte der Normalfall sein sollen. Denn darauf läuft ja unser Exkurs hinaus. Entgegen der Meinung der Normalbischöfe hätten wir nicht nur den Fahneneid verweigern sollen - richtig verstanden war der schon eine Gotteslästerung an sich - sondern auch jede Form, für diesen Krieg zu arbeiten.

Gespräch mit Kurt Waldheim

Von wegen gotteslästerlicher Eid, hier wird es besonders kritisch. Es ist nur wenige Wochen her, dass ich mit Kurt Waldheim - einem typischen Normalkatholiken - diese Gesamtproblematik besprach. Nach zwei ganz kurzen Gesprächen in gesellschaftlichem Rahmen hatte ich Gelegenheit, mit ihm in seinem Arbeitszimmer der Vereinten Nationen ein längeres Gespräch zu führen. Ich hatte die Absicht, ihn davon zu überzeugen, dass der Zweite Weltkrieg von Anfang an ein nazistisches Verbrechen war, und dass daher auch der Fahneneid auf Adolf Hitler eine Gotteslästerung gewesen wäre.

Hier fragte ich ihn schließlich direkt: "Was halten Sie von meiner These von der Gotteslästerung?" Er antwortete: "Wenn man Ihren Prämissen folgt" - er meinte, diesen letzten Krieg als Verbrechen anzusehen - "ist dieser Schluss unausweichlich!" Aber für ein weiteres Gespräch war die Zeit wohl zu kurz.

Die Problematik hat viele Facetten, ich hoffe, einer wichtigen gerecht geworden zu sein.

Der Autor, Jg. 1923, ist Psychotherapeut und hat 1963 gemeinsam mit Friedrich Heer und August Maria Knoll das Buch "Kirche und Zukunft" herausgegeben.

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