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Wie peinlich sind Heilige?

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500 Jahre mußten vergehen, ehe Jeanne d’Arc heiliggesprochen wurde, ehe das Hirtenmädchen aus Domrėmy am Ende doch gegen 250 Theologen, die Unrecht hatten, recht behielt. Jeanne legte Zeugnis ab für den Ruf des Gewissens, für die Kontinuität des Rechts und (mitten im Mittel- alter, man denke!) für die Selbst- ‘ bestimmung der Völker. Wo wäre man damals hingekommen, hätten alle so gedacht!

„Wenn alle so täten, wo käme man da hin?“ meinte ein junger Bauer aus St. Radegund zum FallJägerstätter. Ja, wirklich. Hätten alle der Gewalt und der Lüge widerstanden, wo wären sie da hingekommen, gleich von Anbeginn, die Hitler, die Stalin, die Mao, nicht wahr? Und deshalb ist es auf österreichisch besser, nicht viel von diesem Fall Jägerstätter zu reden. Wie ja auch die Geistlichkeit außerhalb Frankreichs nur sehr ungern die heilige Johanna erwähnt, die einen Bischof und sehr viele Juristen in der Sutane zu Narren gemacht hat; wie man in unserem Land ganz einfach nicht von einem Kaiser Karl zu reden hat, der Thron und Ehre daran wagte, um gegen alle Hoffnungen und Chancen dennoch den Völkern (mitten im Weltkrieg, als sie noch alle siegen wollten, man denke!) Frieden zu bringen. Wie peinlich sind sie doch, diese ewigen Widerständler!

Wie peinlich dieser Franz Jägerstätter, dessen Opfer nun, zum Staatsfeiertag, das erste Programm des Fernsehens vor einigen Millionen Zusehern auf dem Bildschirm erstehen ließ. So etwas von „Sturheit“, „Spinnerei“ und „religiösem Wahn“ versteht man doch nicht, oder? Ist das denn nicht wie mit der Bergpredigt, die ein moderner Mensch ja angeblich auch nicht mehr verstehen kann? (Raoul Aslan meinte allerdings vor vielen Jahren, als dieses Thema zur Diskussion stand, in aller Öffentlichkeit: „Was gibt es da nicht zu verstehen? Ich verstehe es vollkommen.“ Als Christ kannte er nämlich sehr genau den Unterschied zwischen Verstehen, Wollen und Können.)

Hellmuth Andics, der sich diesmal endlich nicht für verpflichtet hielt, eine den Beherrschern des Staats angenehme Version der österreichischen Geschichte zu liefern, tat nun, als er den Fall Jägerstätter verfilmte, was rechtens war und was seinem enormen Können entsprach: er fragte nach, wie es denn damals gewesen sei und zitierte dann, was er gefunden hatte, ungeschminkt aus den Protokollen. Dabei ergaben sich jene atemberaubenden Parallelen. Ich meine die Parallelen mit dem Martyrium der französischen Nationalheiligen, dem Hirtenmädchen aus Domrėmy.

Wie Jeanne d’Arc etwas hatte, was sie ihre „Stimmen“ nannte, so hatte Jägerstätter etwas, was er, sprachungewandt, seinen „Traum“ nannte, „aber taghell, deutlich, ganz klar“. Das Bild des Eisenbahnzuges, den Scharen von Verführten atemlos zu erreichen trachten, des Eisenbahnzuges, der stets im Kreise fährt, ausweglos. Wer kennt ein theologisch exakteres Bild der Hölle?

Wie Jeanne d’Arc, so gab auch Jägerstätter Antworten, deren Natürlichkeit nur von ihrer ge-

. radezu göttlichen Logik übertroffen wurde, die jeden Gesprächspartner, je intellektueller, desto früher, schachmatt setzen mußten. Daß er zudem als oberösterreichischer Bauer keine Ironie verstand und alles wörtlich nahm, machte ihn gottlob immun gegen die kleinen Bosheiten der Wärter.

Wie Jeanne d’Arc, hatte Jägerstätter, als er auf einen Hilfsbereiten stieß, seinen Augenblick des Kompromisses. Gut, er würde eben als Sanitäter Dienst machen. („Untersehreib, Jehanne, unterschreib und mach dein Kreuzei unter das bombastische Geschwätz der Juristen, erspar uns dein Martyrium!“) Und wie Jeanne, widerrief er sofort, nach kurzem Nachdenken.

Und wie bei Jeanne, hieß Jä- gerstätters letztes Argument: „Ich kann nicht. Ich kann nicht, denn ich war es, dem Gott die Gnade der Erkenntnis zuteil werden ließ, vielen anderen aber vielleicht nicht." Kein Antimilitarist berufe sich darauf und versuche, wie dies in vielen Diskussionen jetzt versucht werden wird, ihn zum Patron der Wehrdienstverweigerer zu machen. Das wäre eine Lüge, und Jägerstätter selbst widerspräche ihr mit präzisen Worten aus seinen protokollierten Aussagen. Für ein vom Feind überfallenes Österreich wäre er, wie er bekannte, ohneweiteres ins Feld gezogen; Angst, Wehleidigkeit und Doktrinen kannte er nicht Nur dem ungerechten Krieg verweigerte er sich, dem Krieg für jenen, den er den Antichrist nannte. Für das Recht legte er Zeugnis ab, für den Ruf des Gewissens, für die empfangene Gnade, nicht für ein Modeschlagwort.

Wer wird das je verstehn? Die Überlebenden, seine Landsleute, die meisten von ihnen verstehen es nicht. Sie ringen, gefesselt von der Enge ihres Dialekts, der keinen Ausdruck für abstrakte Begriffe kennt und daher auch kein logisches, nur ein emotionales Denken zuläßt, nach Worten. „Da . derf 1 nix sag’n. Da derf 1 gar nix sag’n.“ („I derf net“ heißt auf oberösterreichisch: „Ich kann nicht, es geht über mein Begreifen.")

Verstanden hat ihn, den Jägerstätter, der „frühere“, nämlich strafversetzte Ständestaatpfarrer Krobath, und er versteht Ihn auch heute, denn er hat überlebt. Verstanden hat ihn der brave, stille Gelehrte, der tote Bischof Fliesset von Linz, ein schwarzgelber und rot-weiß-roter Patriot, der bei aller inneren Zustimmung nicht sagen durfte: „Ja, mein Sohn, geh hin und leg deinen Kopf unter das Fallbeil.“ Nicht ganz verstanden hat ihn bis jetzt der „neue“ Pfarrer, heute ein alter Mann. Nicht verstanden hat ihn oder wird ihn verstehen jene Gefälligkeits-Geistlichkeit mancherlei Ranges, die heute wieder, wie eh und je, die Zeichen erkannt hat und im Sturmschritt der Zeit marschiert.

Franz Jägerstätter, dem Gott die Kraft und die Gnade gab, zu widerstehn und Zeugnis abzulegen, erwirk uns, den Kompromißlern, den Intelligenzlern, den Pluralisten, den vor allen letzten Konsequenzen immer noch feig Erschrockenen, erwirk uns die Kraft, falschen, von Mehrheiten akzeptierten Tendenzen und Ideen zu widerstehen, heute wie einst, immer aufs neue. Hilf uns, nicht zu verzweifeln. Bitte für uns!

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