Keineswegs harmlos fromm

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Am 20. Mai wäre Franz Jägerstätter 100 Jahre alt geworden. Ein Gespräch mit dem Dogmatiker und Dekan der Theologischen Fakultät Innsbruck, Józef Niewiadomski, über den Kriegsdienstverweigerer und seine nahende Seligsprechung.

Die Furche: Die Seligsprechung von Franz Jägerstätter wird unmittelbar erwartet. Was kann eine Seligsprechung heute überhaupt bedeuten?

Józef Niewiadomski: Die Kirche zeigt auf jemanden, der ein außergewöhnliches Beispiel für das christliche Zeugnis ist - in diesem Fall würde ich sagen: für das Gnadengeschenk, also nicht nur die moralische Tugend. Denn ich interpretiere Jägerstätters Entscheidung als Ergebnis eines Charismas, eines Gnadengeschenkes, dass ihm die Einsicht gegeben worden ist. Die Kirche stellt solches Leben als Außergewöhnliches zur Bewunderung und zur Nachahmung vor. Das ist der Sinn der Verehrung eines Seligen oder Heiligen. Zum zweiten wird mit einer Seligsprechung die dahinter stehende Haltung als integraler Bestandteil auch der kirchlichen Lehre anerkannt.

Die Furche: Da wäre diese Seligsprechung eine brisante Angelegenheit!

Niewiadomski: Im Grunde ist Jägerstätter eine der ersten großen Gestalten - der einfache Bauer! -, der den jahrhundertelangen Konsens "Gehorsam gegen Gott und Gehorsam gegen die Obrigkeit" durch seine Gewissensentscheidung durchbricht. Damit hat er auch der damaligen kirchlichen Obrigkeit Probleme bereitet. Sein Wort: "Keiner irdischen Macht steht es zu, das Gewissen zu knechten", bezieht sich durchaus auch auf die kirchliche Institution. Erzbischof Thomas Roberts hat auf dem II. Vatikanischen Konzil bei der Vorbereitung der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes ausdrücklich auf Jägerstätter hingewiesen - als einen, der sich auf seine Gewissensentscheidung berufen hat. Dieser Erzbischof ist Zeuge dafür, dass diese Gewissensentscheidung durchaus Einfluss auf die spätere, von der Kirche im II. Vatikanum erarbeitete neue Position hat, nämlich dass die letzte Instanz das Gewissen ist. Von daher ist eine Seligsprechung Jägerstätters sehr brisant …

Die Furche: … und auch ein politisches Zeichen?

Niewiadomski: Ich würde Jägerstätter nicht zu einer harmlos from-men Gestalt machen. Er stellte klar fest, dass er den Nationalsozialismus als das Weltanschauungsmodell sah, das dem christlichen radikal entgegen steht. Ich meine, er sah im Nationalsozialismus deswegen den größten Feind, weil man den Nationalsozialismus als einen Versuch sehen kann, das Humanum auf Kosten von Sündenböcken zu etablieren, auf Kosten von Außenseitern, von Menschen, die man zu "Unmenschen" erklärt. Und das ist exakt das Gegenteil des Christentums, das die Würde des Menschen nicht auf Kosten von anderen Menschen zu verteidigen sucht, sondern die Würde des Menschen gerade im Schwächsten, im Außenseiter entdeckt. So gesehen ist Jägerstätter eine politische Gestalt.

Die Furche: Es hieß auch, man könnte Jägerstätter als Vorbild für Kriegsdienstverweigerung verwenden, das sei aber nicht christliche Lehre.

Niewiadomski: Faktisch ist das längst der Fall: Franz Jägerstätter ist weltweit durch die Biografie des Amerikaners Gordon Zahn bekannt geworden. In der amerikanischen Öffentlichkeit wurde sein Zeugnis von der christlichen Friedensorganisation Pax Christi im Kontext der Kriegsdienstverweigerung beim Vietnamkrieg thematisiert. Auch bei uns wird er immer wieder als ein Vorbild für Kriegsdienstverweigerung gesehen. Man muss allerdings fragen: Wie hat Jägerstätter seine Entscheidung begründet? Es war nicht die Begründung: Ich tue es nicht, weil es mir egal ist. Im Gegenteil: Jägerstätter hat sehr viel von der "gerechten irdischen Obrigkeit" gehalten und der Verpflichtung dieser gegenüber. Er gründete seine Weigerung aus Gewissensgründen auf eine religiöse Art und Weise. Er hat diese Entscheidung radikal in einen Wertehorizont gestellt. So hat er dazu beigetragen, dass auch die kirchliche Lehre im Kontext dessen, was Kriegsdienstverweigerung ist, differenzierter ist als früher. Zu Recht kann man sich da auf ihn berufen.

Die Furche: Und der Vorwurf, er habe seine Familie - seine Frau mit den drei Töchtern - sitzen lassen, um für "seine" Wert in den Tod zu gehen?

Niewiadomski: Das ist eine entsetzliche Spannung, unter der er selber gelitten hat. Man kann in seinen Briefen deutlich sehen, wie ihm diese Entscheidung Schmerzen bereitet hat. Er hat diese Entscheidung - das bezeugt auch Franziska Jägerstätter immer wieder - aber in einem konsensuellen Prozess mit seiner Frau getroffen. Hier ist ein sehr singuläres Beispiel einer Wertkollision mit radikaler Konfrontation da: Was ist in dieser Situation einer totalen Verblendung wichtiger? Und er hat die Entscheidung getroffen, dass sein Zeugnis wichtiger ist als das Verbleiben bei der Familie, obwohl ihm der Linzer Bischof Fließer deutlich gesagt hat, dass seine prinzipielle Verantwortung eher im Bereich des Privaten, der Familie liege. Jägerstätter hat sich dagegen entschieden. Was bedeutet das heute? Hier liegt ein singuläres Zeugnis von jemand, der in einer radikal dämonischen Zeit das Gegenteil von dem vorlebt, was alle für plausibel, für nützlich halten. Deswegen wird er Jahre später auch zu Recht zum Kontinuitätsfaktor für die Gesellschaft.

Die Furche: Es heißt aber auch, eine Seligsprechung Jägerstätters wäre eine Ohrfeige für alle, die "gedient" haben .

Niewiadomski: Jägerstätter hat das mit einer Metapher ausgedrückt: nämlich dem fahrenden Zug, auf den viele aufspringen. Er ist nicht auf diesen Zug aufgesprungen, er hat auch einen sehr bitteren Preis dafür bezahlt - er und seine Frau: Man darf ja nicht vergessen, dass Franziska Jägerstätter jahrzehntelang geächtet war. Aus heutiger Perspektive würde ich sagen, war diese Tat nicht nur ein ethisches Beispiel, sondern - und da liegt meiner Meinung nach der tiefste Sinn einer möglichen Seligsprechung - diese Tat hat auch einen stellvertretenden Charakter. Im letzten Brief an seine Frau schreibt Jägerstätter, dass sein Tod so etwas wie eine Sühne sein soll - Sühne für ihn und vor allem für die anderen. Was würde das heißen? Katholisch gesehen ist dieses Sterben etwas, was stellvertretend all jenen zugute kommt, die auf den Zug aufgesprungen und in die Katastrophe gefahren sind. Dieser Zug fährt in die Hölle, so meinte Jägerstätter. Ich würde mit den Augen der Frömmigkeit sagen: Franz Jägerstätter ist auch die Brücke, über die jene, die auf den Zug aufgesprungen sind, zurückfinden können zum Zug, der zum Leben fährt.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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