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Österreichs Sündenfall

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In seinen Aufzeichnungen aus den Jahren 1941/42 vergleicht Franz Jägerstätter das Verhalten des österreichischen Volkes im Frühjahr 1938 mit der Sünde von Adam und Eva und mit dem Verrat des Gründonnerstagabends: .Aber seit es Menschen auf dieser Welt gibt, lehrt uns die Erfahrung, daß Gott den Menschen den freien Willen läßt und nur selten in die Schicksale der Menschen und Völker auffallend eingegriffen hätte; und so wird es für die Zukunft kaum viel anders werden, außer am Ende der Welt. Adam und Eva haben sich ihr Lebensschicksal schon durch ihren Ungehorsam gegen Gott gänzlich ruiniert. Gott ließ ihnen den freien Willen, nie hätten sie leiden müssen, wenn sie auf Gott mehr gehorcht hätten als auf den Verführer.“

Im Hinblick auf die Tatsache, daß jede Sünde Folgen nach sich zieht, warnt der Schreiber davor, diese Folgen immer ohne Bußbereitschaft abwälzen zu wollen. Er nimmt auf die offensichtlich damals herrschende Meinung Bezug, daß im Falle eines für Deutschland schlimmen Kriegsausganges Österreich und Bayern nie viel geschehen würde:

„Fragen wir uns einmal, sind denn Österreich und Bayern schuldlos, daß wir statt einer christlichen Regierung jetzt eine nationalsozialistische haben? Ist denn bei uns der Nationalsozialismus ganz einfach vom Himmel gefallen? Ich glaube, darüber brauchen wir nicht viele Worte zu verlieren, denn wer im März 1938 nicht geschlafen hat, der weiß ohnedies gut genug, wie es damals ausgeschaut hat. Ich glaube, es ist nicht viel anders zugegangen als am Gründonnerstag vor mehr als 1900 Jahren, wo man dem jüdischen Volke freie Wahl gegeben hat zwischen Christus, dem unschuldigen Heiland, und dem Verbrecher Barabbas, auch damals hatten die Pharisäer Geld ausgeteilt unter das Volk, um fest zu schreien, um diejenigen, die noch zu Christus gehalten, irrezuführen und einzuschüchtern. Was hat man nicht auch bei uns im März

1938 gegen den noch christlich gesinnten Kanzler und gegen die Geistlichkeit für Schauermärchen erzählt und erdichtet.“

Anschließend findet sich bei Franz Jägerstätter einer der knappen Hinweise auf seine Erfahrung in der Heimatgemeinde in den Jahren 1938 bis 1940: „Die wenigen, die nicht zu diesem unglücklichen ,Ja‘ zu bewegen waren, hat man einfach als Narren oder Kommunisten bezeichnet, aber bis heute hat man den Kampf um diese Narren noch nicht aufgegeben, um sie vielleicht doch noch zur N. Volksgemeinschaft zu gewinnen oder wenigstens für diese Idee zu opfern.“

Das starke Zusammengehörigkeitsgefühl der Dorfgemeinschaft ließ diese immer wieder versuchen, auch Jägerstätter auf die dem neuen Regime „angepaßte“ Linie zu bringen. Es wurde nicht— und das sei den Radegundern hoch angerechnet — wie andernorts mit Denunziation und Auslieferung an die Justiz versucht, sondern man wollte den jungen Bauern überzeugen. Nach Bericht von Franziska Jägerstätter holten die Ortsverantwortlichen, vielleicht aufgrund der Tatsache, daß sie seiner Argumentationskraft nicht gewachsen waren, den Ortsgruppenleiter von Hochburg, Sauer, als Unterstützung. Doch auch dieser konnte Franz nicht dazu bewegen, etwas für die Partei zu spenden oder Geld vom Staat, wie die Kinderbeihilfe, anzunehmen. Da Franz auch in den Gasthäusern in politische Diskussionen verwickelt wurde, mied er diese in der Zeit nach dem Anschluß. Die allgemein wachsende Unzufriedenheit war ihm nicht unbekannt, von seinem Weg der radikalen Absage an das System konnte er aber dennoch kaum jemanden überzeugen:

„Freilich haben bei vielen diese Siegesfreuden nicht lange gewährt, und (sie) sind zur Erkenntnis gekommen, daß doch alles ganz anders kommt, als man anfangs versprochen, was wurde nicht von solchen seitdem zusammengeschimpft und gemeutert, aber sich von dieser antichristlichen Volksgemeinschaft auszuschließen, dazu haben sie doch nicht den Mut.“

Aus: FRANZ JÄGERSTÄTTER. Von Erna Putz. Veritas Verlag, Linz 1985.

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