Franz Jägerstätter - © Diözese Linz

Heiliger Franz Jägerstätter?

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Der oberösterreichische Theologe Manfred Scheuer ist Professor für Dogmatik an der Universität Trier und in der Diözese Linz Postulator des Seligsprechungsverfahrens für Franz Jägerstätter.

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Der oberösterreichische Theologe Manfred Scheuer ist Professor für Dogmatik an der Universität Trier und in der Diözese Linz Postulator des Seligsprechungsverfahrens für Franz Jägerstätter.

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Die Furche: Was interessiert den Dogmatiker an Franz Jägerstätter?
Manfred Scheuer: Vor einigen Jahren hat mich der Linzer Bischof beauftragt, Jägerstätters Schriften und Zeugnisse daraufhin zu untersuchen, wie seine Frömmigkeit zu beurteilen ist. Als Dogmatiker denke ich, dass Jägerstätter die Gottesfrage zugespitzt hat: Jägerstätter war so etwas wie ein "Dolmetscher Gottes" in einer Zeit der gottesverachtenden Barbarei. Jägerstätter hat auch das Taufbekenntnis radikalisiert und verleiblicht: Durch das Nein gegen die Vergötzungen von Nation oder Rasse hat er den Kopf hingehalten. Auch heute steht sein Glaubensstil gegen diffuse Formen von Religiosität wie "Religion ja, Gott nein": Da bringt Jägerstätter den Gott der Bibel existenziell zur Sprache, er weiß sich da von etwas Unbedingtem in einer Welt des Beliebigen in Anspruch genommen.

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Die Furche: Zu Jägerstätters Lebzeiten hat aber kaum jemand bemerkt, dass er Gott wider die barbarische Religiosität der Nazis zur Sprache brachte.
Scheuer: Er war ein einsamer Zeuge, auch ein Prophet, der eben nicht mit der Masse mitgelaufen ist. Auch das hat etwas mit Dogmatik zu tun: Denn Glaube bedeutet, dass der Einzelne vor Gott steht, er kann sich da nicht einfach vertreten lassen.

Die Furche: Jägerstätter ist aber auch heute kein "populärer" Zeuge.
Scheuer: Jägerstätter ist kein Bequemer, nicht einer, der Streicheleinheiten verteilt. Er steht kritisch gegen Lebensstile: Die Begegnung mit ihm rückt auch etwas zurecht.

Die Furche: Wo geschieht das?
Scheuer: Es gibt da einige Weltkriegssoldaten, die auf seinen Spuren die eigene Kriegsvergangenheit anschauen und sich durch ihn herausfordern und die Frage stellen lassen: Wem habe ich da gedient? Das führt bei diesen Menschen zu einer Reinigung des Gedächtnisses und auch zu einer Umkehr des Denkens.

Die Furche: Ein Problem dabei ist die Gefahr der "Tribunalisierung", dass Jägerstätter benutzt wird, um die Kriegsgeneration pauschal zu verurteilen.
Scheuer: Die Gefahr, Jägerstätter als Keule zu benutzen, um Menschen im moralischen Sinn zu erschlagen, besteht. Ich setzte sie allerdings nicht so groß an. Von Jägerstätter selber ist ein Satz überliefert, dass er nicht die konkreten Menschen verurteilt, sondern das System. Ich unterscheide zwischen einer "Tribunalisierung", die an den Pranger stellt, und einer Begegnung mit Jägerstätter, wo auch die schmerzliche Wahrheit ans Licht kommt. Aber das ist eine Wahrheit, die noch einmal leben lässt - um den Preis der Umkehr, auch der Umkehr des Denkens, um den Preis, dass den Opfern ins Gesicht zu schauen ist, auch um den Preis, dass man sich nicht selbst rechtfertigen will. Die Extreme sind hier Tribunalisierung auf der einen Seite und sich selbst überhaupt nicht in Frage zu stellen auf der anderen. Dazwischen muss es einen Weg geben, auf dem klar gesehen wird, was für ein barbarisches System da geherrscht hat: Das muss benannt werden.

Die Furche: Und die Kirche? Die hat Jägerstätter auch wenig Verständnis entgegengebracht.
Scheuer: Jägerstätter hatte priesterliche Freunde die versucht haben, ihm von seinem Weg abzuraten. Insgesamt aber würde ich sagen, dass Jägerstätter seinen Weg aufgrund seiner Kirchlichkeit gegangen ist und nicht gegen die Kirche. Etwas anderes ist der Stellenwert Jägerstätters im Gedächtnis der Kirche: Da sind schon in der ersten Nachkriegszeit große Versäumnisse zu beklagen. Letztlich sollte Jägerstätter auf die Seite geschoben werden: In der Pastoral hat man versucht, Kriegsteilnehmer und ehemalige Nazis auf eine Weise zu integrieren, ohne dass das mit einer Umkehr verbunden war, ohne dass die Frage auch von Schuld gestellt worden ist. Die Soldaten hatten ja sehr wohl Gewissensprobleme, sie konnten ja auch nicht schlafen, wenn sie etwa einen Menschen erschossen hatten - doch das wurde weggewischt. Auch in der Zeit nach dem Konzil wollte man davon wenig wissen: Der Dogmatiker Gottfried Bachl hat etwa bei der Linzer Diözesansynode 1970/72 einen Gang nach Mauthausen vorgeschlagen, das wurde aber abgelehnt...

Die Furche: Manche meinen, es sei notwendig diese Debatten endlich einmal abzuschließen.
Scheuer: Natürlich ist es nicht gut, wenn dieses Gedächtnis ausschließlich alles besetzt. Andererseits gehört das Gedächtnis zur Identität des Einzelnen und eines Gemeinwesens, und wo zu viele Leichen im Keller liegen, da fängt es zu stinken an: Wenn ich das also nicht wahrnehme, und wenn es keine Formen von Reue gibt, dann holt uns das irgendwann einmal ein. Insofern halte ich es für den Vollzug des Lebens und des Glaubens für essenziell bedeutsam, dass das Gedächtnis nicht abgeschnitten wird.

Die Furche: Warum soll Jägerstätter ein Seliger oder Heiliger werden?
Scheuer: An seinem Status würde sich nicht unmittelbar etwas ändern. Aber es würde dadurch deutlich, dass Jägerstätters Weg dem Evangelium entsprochen hat, und viele andere Formen, die verständlich sind, aber die unter einem hohen Anpassungsdruck geschahen, nicht so sehr das Evangelium und das Antlitz Jesu darstellen. Durch eine Seligsprechung würde auch hervorgehoben, welche Bedeutung das Gewissen bzw. das Gewissensurteil hat. Jägerstätter hat sich gegen den Führer und gegen den Krieg entschieden, weil das Gewissensurteil die oberste Instanz war. Dafür hat er einen hohen Preis bezahlt.

Die Furche: Das heißt also, dass man die letzten Gewissensentscheidungen des Einzelnen respektieren muss?
Scheuer: Das ist ja ganz traditionelle kirchliche Lehre!

Die Furche: Aber ist Jägerstätter mit dieser Betonung des Gewissens nicht auch für die Kirche ein gefährlicher Mann?
Scheuer: Zeugen des Evangeliums sind immer auch gefährliche Erinnerungen. Der Jägerstätter ist nicht bequem für die Kirche. Es ist aber auch die Kirche, die die Würde des Gewissens hervorhebt.

Die Furche: Was bedeutet Jägerstätter heute?
Scheuer: Was er heute einbringen kann, ist die Unterscheidung der Geister. Damit meine ich ein inneres Sensorium, Entwicklungen, die im Ansatz schon da sind, vorauszudenken oder vorauszufühlen. Jägerstätter hat hinter die Masken der Propaganda, die Rhetorik der Verführung geschaut. Da hatte Jägerstätter schon einen Weitblick, den damals die wenigsten seiner Zeitgenossen hatten. Was mir noch wichtig ist: Jägerstätter hat auch für die heutige Suche nach Frieden und Versöhnung eine Bedeutung: Ein Zeuge des Widerstands wie er eröffnet Räume und Energien, sich für Gewaltlosigkeit und Versöhnung einzusetzen. Das Gedächtnis an Jägerstätter ist auch politisch relevant.

Die Furche: Kann man Jägerstätter tatsächlich für ein gewaltloses Modell verwenden? Er war sicher kein Vertreter eines gewaltlosen Ansatzes.
Scheuer: Jägerstätter hat einmal geschrieben: 1938 wäre ein Widerstand gegen den Einmarsch der Nazis legitim gewesen. Insgesamt orientierte er sich aber an der Bergpredigt und auch am Gebot der Feindesliebe. Die Seligpreisungen "Selig die Gewaltlosen" und "Selig, die Frieden stiften" sind bei ihm immer stärker zum Durchbruch gekommen. Man kann ihn nicht für einen absoluten Pazifismus in Anspruch nehmen, sondern es geht darum, wie Gewalt möglichst ohne Gewalt eingedämmt werden kann. Ich halte es aber nicht für illegitim, dass sich Vertreter der Gewaltlosigkeit auf ihn berufen.

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