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Freiwilliger des Gewissens

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Vor 35 Jahren, am 9. August 1943, wurde in Berlin-Plötzensee Franz Jä- gerstätter enthauptet.

Unnötig, vor FURCHE-Lesern den „Fall“ Jägerstätter noch einmal zu entrollen, unnötig, noch einmal auf die Parallelität mit dem „Fall“ Jeanne d’Arc hinzuweisen, unnötig, noch einmal die Taktik zu demaskieren, mit der Staat und Kirche in dieser unserer Zweiten Republik nicht nur den .„Fall“, sondern sogar den Namen Franz Jägerstätters im Sinne Siegmund Freuds jahrzehntelang zu verdrängen versucht haben.

Jede Verdrängung hat bekanntlich ein Trauma zur Folge. Das Trauma brach auf, als um die Wende der sechziger und siebziger Jahre strohdumme westliche Demokraten zur Freude des intelligenten und hochmilitarisierten Ostens darangingen, Wehrdienstverweigerung als der liberalisierten Weisheit letzten Schluß zu preisen. In Franz Jägerstätter glaubten Moskaus nützliche Idioten im Westen ihre Galionsfigur gefunden zu haben - was sich also bald als Kurzschluß heraussteilen sollte.

Mag sein, daß der eine oder andere FURCHE-Leser sich sogar jener Diskussion erinnert, die sich im Anschluß an die Aufführung des großartigen Jä- gerstätter-Films im österreichischen Fernsehen entspann. Damals erfolgte nämlich der Schuß vor den Bug. Ein Diskussionsteilnehmer bat die diskutierende Runde, den Namen Jägerstätters nicht eitel zu nennen und nicht zu behaupten, er habe nicht mit der Waffe in der Hand kämpfen wollen. Das nämlich wollte Jägerstätter sehr wohl. Er hätte ohneweiteres die Uniform angezogen und er hätte ohneweiteres gekämpft, wie er immer wieder beteuerte - aber eben zur Verteidigung der Heimat, nicht aber für eine organisierte Gangsterbande, die im Deutschen Reich auf durchaus demokratischem Wege, in Österreich hingegen durch Gewalt und Überfall an die Macht gelangt war.

Dabei hatte Jägerstätter, wie die heilige Jeanne d’Arc, jenen Augenblick des Zögerns und des Einlenkens, als einer der Inquisitoren ihm menschlich und verständnisvoll entgegentrat. Und wie Jeanne d’Arc sagte er nach einigen Stunden des Nachdenkens kompromißlos: Nein. Und ging, wie Jeanne d’Arc, hin, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen.

Dieses Letzte, das Blutzeugnis, wird von keinem Christen verlangt. Auch jene, die man in Rom der Caesaren den Löwen vorwarf und als lebende Fak- keln verbrannte, waren Freiwillige. Freiwillige ihres Gewissens, Begnadete, die kein Praetor und kein Bischof von ihrem Vorhaben abbringen konnte.

Wie bei Jeanne d’Arc erfolgte die Berufung zu solcher Freiwilligkeit in einem Vorgang, den die Berufenen selbst immer nur unzulänglich beschreiben können und der sich in einer sozusagen osmotischen Seelenschicht vollzieht. Jeanne d’Arc hatte ihre „Stimmen“, Jägerstätter hatte seinen „Traum“. (Zwischen Schlafen und Wachen den „Traum“ von jenem Schnellzug, der zur Hölle fährt.) Wir kennen diese Art der „Berufung“ seit den Propheten des Alten Bundes, und wir wissen auch die Antwort, deren es zur vollen Freiwüligkeit bedarf. Sie lautet: „Rede, Herr! Dein Diener hört.“ Mit dieser Antwort erst fällt die Entscheidung, und auf die allein kommt es an- Dann allerdings gibt: eä kein Zurück mehr. Der „Diener“dst vorgetreten und wird Zeugnis ablegen, Beispiel geben für Zeit und Ewigkeit.

Zeugnis ablegen, Beispiel geben, kompromißloses Entweder-Oder, ist im Österreich der Zweiten Republik aber gar nicht populär. Für die oberen Ränge in Staat und Kirche ist es eine Peinlichkeit, für die unteren Ränge eine „Profokatiaun“. Deshalb auch der empörte Aufschrei in Österreichs Medien, als im Laufe der bereits erwähnten Femsehdiskussion die Frage aufklang: „Warum nicht Seligsprechungsprozeß für Franz Jägerstätter?“ Die Progressiven sahen ihre Galionsfigur in barocken Schimmerwolken entschwinden, als Gipsstatuette im wallenden Nachthemd, die Messinggloriole ums Haupt, den Lilienstengel in Händen. Die Progressiven ahnten ja nicht, wie Berufene wirklich aussehen.

Denn in Wirklichkeit war ja Jägerstätter als junger Bursch ein Raufer, und er ging auch, wie alle Bauembur- schen, mitunter Fensterin, und er heiratete dann und hatte Kinder, und alles war so unentwegt „normal“ - bis er sich entschloß, und sagte: „Rede, Herr, dein Diener hört.“

Dann hörte er nicht mehr auf das, was die Geistlichkeit sagte, und nicht auf das, was die Familie und was die Nachbarn sagten. Und die sollte man daher zum „Fall“ Jägerstätter auch nicht befragen. Seligsprechungsprozesse sind ein Gerichtsverfahren, „angeklagt“ ist der „Berufene“, sein Leben wird hochnotpeinlich durchforscht. Das Urteil erfolgt nicht nach Opportunität, sondern nach Normen, denen sich die Kirche selbst unterwirft. Gewiß, es bedurfte keines besonderen Mutes, Jeanne d’Arc nach fünf Jahrhunderten im Zeichen engster Waffenbrüderschaft zwischen England und Frankreich heiligzusprechen. Es bedürfte mehr des Mutes, die Frage aufzuwerfen, ob Jägerstätter recht hatte und alle Konformen, alle Kompromißbereiten ein ganz klein wenig, oder ganz gewaltig unrecht…

Der Linzer Weihbischof Wagner zelebrierte am 6. August in Jägerstätters Pfarrkirche St. Radegund im Innvier- tel eine Gedenkmesse: War das die erste Schwalbe?

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