Dieser Zug fährt in die Hölle"

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"Hätte mir Gott nicht die Gnade verliehen, für meinen Glauben auch zu sterben": Aus Aufzeichnungen Franz Jägerstätters kurz vor seiner Hinrichtung 1943.

Werde hier nun einige Worte niederschreiben, wie sie mir gerade aus dem Herzen kommen. Wenn ich sie auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre. Offensichtlich zeigt Gott manchmal seine Kraft, die er dem Menschen zu geben vermag, die ihn lieben und nicht das Irdische dem Ewigen vorziehen. Nicht Kerker, nicht Fesseln auch nicht der Tod sind es imstande, einen von der Liebe Gottes zu trennen, ihm seinen Glauben und den freien Willen zu rauben. Gottes Macht ist unbesiegbar. Seid gehorsam und untertänigst der Obrigkeit, diese Worte fliegen einem heute schon bald von allen Seiten zu, ja sogar von Menschen, die ohnehin fast nichts mehr glauben, was in der Hl. Schrift steht und was Gott uns zu glauben befohlen hat. […]

Immer wieder möchte man einem das Gewissen erschweren betreffs Gattin und Kinder. Sollte die Tat, die man begeht, dadurch vielleicht besser sein, weil man verheiratet ist und Kinder hat? Oder ist deswegen die Tat besser oder schlechter, weil es Tausende anderer Katholiken auch tun?… Dürfte man deswegen auch lügen, weil man Gattin und Kinder hat und selbe noch dazu mit einem Eide bekräftigen? Hat nicht Christus selbst gesagt, wer Gattin, Mutter und Kinder mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. Aus welchem Grund bitten wir denn dann Gott um die sieben Gaben des Hl. Geistes, wenn wir ohnedies blinden Gehorsam zu leisten haben?

Zu was hat denn Gott alle Menschen mit einem Verstande und freien Willen ausgestattet, wenn es uns, wie so manche sagen, gar nicht einmal zusteht, zu entscheiden, ob dieser Krieg, den Deutschland führt, gerecht oder ungerecht ist? Zu was braucht man dann noch eine Erkenntnis zwischen dem, was Gut oder Böse ist? […] Hätte mir Gott nicht die Gnade und Kraft verliehen, für meinen Glauben auch zu sterben, wenn es verlangt wird, so würde ich halt vielleicht dasselbe tun, wie die Mehrzahl es tut. Gott kann eben jedem soviel Gnaden geben, wie er will …

Die hier und auf Seite 2 unten abgedruckten Texte stammen aus:

Franz Jägerstätter

Aufzeichnungen 1941-1943

Der gesamte Briefwechsel mit Franziska

Hg. von Erna Putz, Vorwort von Manfred Scheuer. Verlag Styria, Wien 2007. 280 Seiten, zahlr. SW-Fotos, geb., € 24,90

Franz Jägerstätters konsequente Gewissensentscheidung taugt zur Nachahmung, nicht aber als Richtmaß zur Beurteilung anderer Menschen. Von Karl Majcen

Auch knapp vor dem feierlichen Festakt zur Seligsprechung von Franz Jägerstätter im Linzer Dom mischen sich bei mir zwei Gedankenkreise: der zur Sicht des neuen Seligen und der durch die öffentliche Diskussion des "Falles J." beeinflusste.

Beginnen möchte ich mit dem aktuellen Geschehen: es ist, und das sage ich bewusst als österreichischer Soldat und gläubiger Katholik, Freude darüber angebracht, dass jemand, der noch als österreichischer Soldat bereit war, so wie es das heutige Gelöbnis sagt, sein Vaterland mit der Waffe zu verteidigen - dieser Aspekt seines Lebens wird bedauerlicherweise meist verschwiegen! - als Märtyrer des Glaubens seliggesprochen wird; nach dem Kaiserjägeroffizier Jakob Kern gibt es also einen weiteren Soldaten als Seligen der heutigen Zeit! Er wollte mit seiner "Kriegsdienst"-Verweigerung keinem Land mit einer von ihm als Unrechtsregime erkannten Obrigkeit dienen, weil für ihn das mit seiner Auffassung von Christsein unvereinbar war. Zu wünschen und zu hoffen ist, dass die Person Jägerstätter mit diesem Wesenskern in der Traditionspflege des Bundesheeres und in der Militärseelsorge den richtigen Platz findet.

Welches politische Postulat?

Nun zum "Fall" Jägerstätter: Betrachtet man ihn genau, ist daraus ein politisches Postulat zur Wehrdienstverweigerung als "Christenpflicht" nicht ableitbar; daher eignet er sich auch nicht als "Säulenheiliger" der Wehrdienstverweigerer. Es kommen einen bei den heutigen Wortmeldungen auch die seinerzeitigen Diskussionen um die "Gewissensprüfungskommissionen" in den Sinn, wo bleiben die Vergleiche? Wäre es nicht angebracht, über die Berechtigung des "Vorwurfes" des "katholischen Normalverhaltens" gegenüber der jeweiligen (damaligen) Obrigkeit angesichts der gegebenen Umstände nachzudenken; war generell erwartbar, dass der Erhalt des Einberufungsbefehles bei den Betroffenen zu einer Gewissensentscheidung führen musste? Und sollten nicht auch Gedanken darüber erlaubt, ja angebracht sein, ob nicht auch das Befolgen eines Einberufungsfehles einem Todesurteil nahe kam, mit seinen Auswirkungen auf die Angehörigen? Ist es ein Zeichen von christlicher Haltung, wertend über den Tod Hingerichteter und den Tod von im Krieg Gefallenen zu richten? Die nach Jägerstätter forderbare Unterscheidung der Geister gilt wohl auch für die Beurteilung der Richtenden.

Damit soll angedeutet werden, dass der Nationalfeiertag 2007 mit der Seligsprechung des Mannes aus St. Radegund auch ein Aufruf zu Nachdenklichkeit über Menschliches in dunkler Zeit sein könnte.

Gewissens-Orientierung

Das alles ändert aber nichts daran, dass uns nun von unserer Kirche jemand als Vorbild des Glaubens, als konsequent seiner Gewissensentscheidung Folgender vorgestellt wird: zur Nachahmung, nicht als Richtmaß!

Wer immer - und gerade auch als Soldat - seinem Gewissen sich verpflichtet fühlt, der kann und soll sich daran orientieren. Das sichere Wissen des Mitwirkens an einer bevorstehenden Unrechtshandlung ist Grund zur Verweigerung von deren Ausführung - und wir dürfen froh sein, dass die österreichischen Gesetze und Normen dies auch bei Straffreiheit ermöglichen.

Jägerstätter darf uns aber auch als Hilfe dabei dienen, einem Missbrauch des Gewissensargumentes entgegenzuwirken: Wem in seinem sonstigen Lebensvollzug Gewissen keine Kategorie ist, für den eignet sich weder die Berufung darauf noch der spezielle Hinweis auf den neuen Seligen.

Der Autor ist Generaltruppeninspektor a. D.

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