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Das Gewissen eine Art Freiheitsinstinkt

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Vor fünfzig Jahren, am 21. August 1942, starb der Pallotti-ner-Pater Franz Reinisch - ein gebürtiger Feldkircher - in Berlin unter dem Fallbeil. Sein Zeugnis gegen den Nationalsozialismus geht über die zeitgeschichtliche Bedeutung weit hinaus und mündet direkt in die gegenwärtige kirchliche Auseinandersetzung um die Gewissensfreiheit.

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Vor fünfzig Jahren, am 21. August 1942, starb der Pallotti-ner-Pater Franz Reinisch - ein gebürtiger Feldkircher - in Berlin unter dem Fallbeil. Sein Zeugnis gegen den Nationalsozialismus geht über die zeitgeschichtliche Bedeutung weit hinaus und mündet direkt in die gegenwärtige kirchliche Auseinandersetzung um die Gewissensfreiheit.

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In dem kürzlich erschienenen Buch „Prophetie und Widerstand" kommt ein Zeitzeuge des Nationalsozialismus zu Wort. Josef Stemmrich - 21 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbricht - bekennt, daß nicht nur er Adolf Hitler für einen „Wahnsinnigen" gehalten habe. „Wir wußten, wenn es zum Kriege komme, werde es ein deutscher Unrechtskrieg sein. Trotzdem haben wir alle den Fahneneid geleistet, trotzdem sind wir in diesen Unrechtskrieg gezogen. Und die amtliche Kirche, die ja schon versäumt hatte, zureichende theologische und pastorale Konsequenzen aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen, ermahnte uns, unsere Pflicht als Soldaten zu erfüllen... Nein, klar und konsequent waren unsere Gruppen und Kreise nicht... Vor allem hatten wir eine große Rechtfertigungsideologie parat, die Ideologie, wir seien in ein Schicksal gestellt, ,in' dem wir uns bewähren müßten. Und dies kann sicher nicht bestritten werden: nicht wenige haben sich ,in' diesem Schicksal subjektiv in hoher Lauterkeit bewährt. Und das sollte ihnen den Respekt aller garantieren. Allein, damit ist es nicht getan. Es wäre darauf angekommen zu begreifen, nicht ,in', ,an' diesem Schicksal hätten wir uns bewähren müssen. Objektiv gefordert war Widerstand, ... allenfalls Martyrium statt Gehorsam gegen die Obrigkeit, deren verbrecherischer Charakter manifest hätte sein können für alle, die sehen wollten."

Einer von denen, die sehen wollten, war der Pallottiner P. Franz Reinisch. Im Jahr 1939 äußerte er in einem Tischgespräch: „Den Eid, den Soldateneid auf die nationalsozialistische Fahne, auf den Führer, darf man nicht leisten. Das ist sündhaft. Man würde ja einem Verbrecher einen Eid geben." Zwei Jahre später erhielt er den Gestellungsbefehl. P. Reinisch hat sein Wort eingelöst. Auf dem Höhepunkt militärischer Erfolge der deutschen Armeen im Frühjahr 1942 sagte er Nein zu Hitler, verweigerte den Fahneneid und wurde dafür am 7. Juli 1942 zum Tode verurteilt. Sechs Wochen später, am 21. August morgens um 5.03 Uhr, wurde er im Zuchthaus Brandenburg enthauptet.

Die am „konziliaren Prozeß" beteiligten Christen und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland haben im Oktober 1988 in ihrer „Erklärung von Stuttgart" all jenen Dank und Reverenz erwiesen, die unter dem Nazi-Regime „offen protestierten oder Widerstand leisteten und damit ihr Leben riskierten". Die Verweigerung des Fahneneides war ein offener und öffentlicher Protest.

P. Reinisch wußte, daß er mit seiner Entscheidung allein stand. Dennoch löste sie Besorgnis und Verunsicherung aus. Wird nicht der Gestapo ein willkommener Vorwand geliefert, um noch energischer gegen katholische Priester und besonders gegen die Pallottiner vorzugehen und sie wie Freiwild zur Strecke zu bringen? Wenn P. Reinisch mit seiner Entscheidung rechthaben sollte, wie ist dann die Entscheidung all jener zu

werten, die den Eid geleistet haben?

Mag sein, daß viele sich der Problematik des Fahneneides gar nicht bewußt waren, andere sie sehr wohl spürten, aber die „tödliche" Konsequenz scheuten. Sicher aber ist, daß viele katholische Priester den an die Person Hitlers gebundenen Fahneneid innerlich ablehnten, ihn aber in Kauf nahmen, um sich so die Möglichkeit offen zu halten, den Soldaten an der Front und später in der Gefangenschaft beizustehen. Als Sanitäter sind sie auch im Kreuzfeuer unter Lebensgefahr den verwundeten und sterbenden Soldaten beigesprungen und haben in den Seuchenbaracken der Gefangenenlager Hilfe geleistet, oft genug unter Einsatz ihres Lebens. Franz Reinisch wäre sicher auch Soldat geworden, wenn er nicht auf einen Verbrecher hätte den Fahneneid ablegen müssen. Diese Hürde konnte und wollte er nicht überspringen. Sein Gewissen gebot ihm die Verweigerung des Eides auf Hitler.

Berufen zum Protest

Der Generalobere der Pallottiner, P. Karl Hoffmann, unterrichtete den Papst. Er schrieb in seinem Brief vom 9. April 1943 (dem Tag der Hinrichtung Franz Jägerstätters) an Pius XII.: „Sowohl der Apostolische Administrator von Innsbruck, in welcher Stadt die Familie Reinisch lebt und sich besten Rufes bei den Katholiken erfreut, wie auch der Provinzobere der Herz-Jesu-Provinz der Pallottiner

haben versucht, P. Reinisch zum Aufgeben seiner Eidesverweigerung zu veranlassen. P. Reinisch beruft sich auf das Naturrecht und hält sich aus Gewissensgründen zur Verweigerung des Eides verpflichtet."

Seine Freunde und die für ihn verantwortlichen Oberen hatten in der Tat nichts unversucht gelassen, das Leben P. Reinischs zu retten. Das aber war nur möglich um den Preis der Eidesleistung. Noch in der Zeit nach seiner Verurteilung zum Tode machte sich P. Reinisch erneut Gedanken, ob seine Entscheidung richtig war. „Ich weiß, daß viele Geistliche anders denken als ich; aber sooft ich auch mein Gewissen überprüfe, ich kann zu keinem anderen Urteil kommen. Und gegen mein Gewissen kann und will ich mit Gottes Gnade nicht handeln. Ich kann als Christ und Österreicher einem Mann wie Hitler niemals den Eid der Treue leisten. Denken Sie, was dieser Mann unserer Kirche und was er Österreich angetan hat. Einem solchen Menschen Treue geloben, das kann ich nicht... Es muß Menschen geben, die gegen den Mißbrauch der Autorität protestieren; und ich fühle mich berufen zu diesem Protest."

Franz Reinisch konnte und wollte seinen Entschluß nicht zurücknehmen. Äußerte sich in dieser eindeutigen und festen Ablehnung des Treueeides auf eine unrechtmäßige Autorität eine ihn unbedingt verpflichtende Instanz, oder hat ihn „das heiße Tirolerblut" in jene Sturheit hineingetrieben, die ihn taub machte für die Einreden seiner wohl-

meinenden Freunde und Mitbrüder? War Reinischs Widerstand ein prophetischer Protest, motiviert von dem Wissen, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen und daß die Seele nicht Schaden leiden dürfe, selbst wenn man die ganze Welt gewinne? Oder äußerte sich hier subjektive Willkür, die eine krankhafte Todessehnsucht sogar als heroischreligiösen Protest zu maskieren imstände ist?

Die uns gestellten Fragen können - wenn überhaupt -nur eine angemessene Antwort finden, wenn wir uns hinter dem mehr vordergründigen Konflikt um Sinn und Berechtigung der Eidesverweigerung des Grundkonfliktes erinnern, der Franz Reinisch schon sehr bald vor die Alternative stellte: Christentum oder Nationalsozialismus. Man kann nicht beides zugleich sein: Christ und Nationalsozialist. Mit prophetischer Sicherheit erkannte er den dämonischen Charakter des Hitlerregimes, der in der grundsätzlichen Verachtung des Völkerrechts und in der Kirchen- und Rassenpolitik unverhüllt zutagetrat, und den er persönlich mit einem Predigt- und Redeverbot im ganzen Deutschen Reich zu spüren bekam. Hier war kein Kompromiß möglich! Diese Erkenntnis setzte sich um in sittliche Verbindlichkeit: Der Christ darf nicht weniger eindeutig und radikal sein als der überzeugte Nationalsozialist.

Hitlers Gewissenssicht

Franz Reinisch, seit 1938 in Vallendar verantwortlich für die Volksmission und die Männerseelsorge, fand in der Schönstatt-Bewegung seine geistige Heimat. Hier entdeckte er Perspektiven und Modelle, nach denen er lange Ausschau gehalten hatte, um das Erbe Vinzenz Pallottis zeitgemäß zu realisieren. Diese Spiritualität war, wie er es empfand, zutiefst geprägt von der freiwilligen Entscheidung, sich ganz in Dienst nehmen zu lassen für Gott und sein Reich. Sie war den ihnen anvertrauten Menschen ganz verpflichtet, um sie in der Offenheit auf Gott hin und von Gott her zu selbständigen und freien Persönlichkeiten werden zu lassen.

Die Ermutigung zur freien Entscheidung und die bewußte Förderung der Gewissensbildung mußten den Gleichschaltungs- und Vereinnah-mungstendenzen der totalitären und aggressiven Nazi-Ideologie zuwider sein. Wie sich Hitler selbst verstand,

was er von seiner Berufung dachte und wie er persönliche Selbständigkeit und das Gewissen einschätzte, hat er in dankenswerter Offenheit Hermann Rauschning gegenüber geäußert: Das Gewissen ist für ihn „eine jüdische Erfindung" und „wie die Beschneidung eine Verstümmelung des menschlichen Wesens... Die Vorsehung hat mich zu dem größten Befreier vorbestimmt. Ich befreie die Men-

sehen ... von den schmutzigen und erniedrigenden Selbstpeinigern einer Gewissen und Moral genannten Schimäre und von den Ansprüchen einer Freiheit und persönlichen Selbständigkeit, deren immer nur ganz wenige gewachsen sein können. Der christlichen Lehre von der unendlichen Bedeutung der Einzelseele und der persönlichen Verantwortung setze ich mit eiskalter Klarheit die erlösende Lehre von der Nichtigkeit und Unbedeutendheit des einzelnen Menschen und seines Fortlebens in der sichtbaren Unsterblichkeit der Nation gegenüber. An die Stelle eines göttlichen Erlösers tritt das stellvertretende Leben und Handeln des neuen Führergesetzgebers, das die Masse der Gläubigen von der Last der freien Gewissensentscheidung entbindet. Vor dem Hintergrund der tödlichen Konfrontation Christentum/Nazi-Ideologie ist die unbeugsame Haltung Franz Reinischs zu verstehen. „Hier Christus - dort Belial." Das Dritte Reich

war für ihn das Reich des großen Widersachers.

Der Behauptung, es sei sinnlos, so leichtfertig sein Leben hinzuopfern, da er viel als Sanitäter für die Kameraden tun könnte, setzte er die Antwort entgegen: „Gott verlangt einmal von mir, diesen Weg zu gehen." Reinisch war sich der Gefahren der Berufung auf den individuellen Weg bewußt: „Was früher im katholischen Leben durch zu große Vermassung bei Ausschaltung der Einzelinitiative gefehlt wurde, das kann in Zukunft durch allzu starke Betonung der Einzelinitiative bei Ausschaltung der Gemeinschaft gefährdet werden. Trotz alledem gilt wohl für die Zukunft: Freiheit, soweit als möglich, Bindung, soweit als nötig."

Was Reinisch als „produktive Utopie" vorschwebte, ist „eine vollkommene Gemeinschaft auf Grund vollkommener Persönlichkeiten". Auch wenn er mit seiner Entscheidung auf sich gestellt war, ohne auf die Ermutigung und Anerkennung von sehen der Oberen hoffen zu können, wußte er sich dennoch eingebunden in die umfassende Gemeinschaft des „Corpus Christi mysticum": „Man steht nicht allein! Es wird mehr als früher, oft zum größten Kreuz der Vorgesetzten, das Geheimnis vom zwölfjährigen Knaben im Tempel eintreten, das heißt, daß Gott einzelne ruft, ihnen eine persönliche Sendung anvertraut."

Lieben und leiden

Auf die Frage, wer ihm den Weg der Eidesverweigerung gewiesen hätte, antwortete Franz Reinisch mit dem Hinweis auf das Gewissen. Auch er erfuhr in dem Gewissen eine Art „Freiheitsinstinkt", von dem Gefangene der russischen Straflager berichten. Bisweilen jedoch erlebt der Mensch sein Gewissen als das andere und sogar als das Fremde. Beides erfahren wir im Gewissen: den Ruf in die Freiheit und die Verpflichtung zum Gehorsam, den Ruf in uns und zugleich über uns hinaus.

Franz Reinischs Entscheidung war eine echte Gewissensentscheidung. War sie auch richtig? Für ihn: Ja! Sie blieb zwar angefochten. Aber in der Abwägung der Gründe, die für und gegen eine Eidesverweigerung sprachen, überwog das klare und eindeutige Urteil über den dämonischen Charakter des Hitler-Regimes, an das er sich nicht mit einem Treueeid binden konnte und wollte. Reinisch hat in sich den Ruf verspürt, sich mit seiner Entscheidung kompromißlos von „Belial" abzugrenzen und ein prophetisches Zeichen für die Freiheitskraft seines Bekenntnisses zu Christus zu setzen.

Dem Gefängnispfarrer Heinrich Kreutzberg, der ihm fast während der ganzen Haftzeit in Berlin zur Seite stand, gab er beim Abschied auf dessen Wunsch einige kleine Bilder. Auf die Rückseite schrieb er: „Lieben und leiden in Freuden!"

Franz Reinisch bestätigt auch - und gerade - im Angesicht des Todes, daß wir zum Lieben, zum Mitlieben geschaffen und deshalb zur Freude geboren sind. Gleichwohl bleibt niemandem „sein Kreuz" erspart. Die Kraft, die den Weg zu dieser Art von Trost und Freude ebnet, ist das Gewissen. Der Autor, geboren 1944 in Ottfingen bei Olpe, ist Professorfür Moraltheologie an der Theologischen Hochschule der Pallottiner in Vallendar.

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