Mensch ist mehr als ein Spielball der Evolution

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Sie gehört wohl zu den ältesten und komplexesten Fragen von Philosophie und Theologie: die Frage, was der Mensch sei. Ein Wesen, dessen Menschsein in der Fähigkeit besteht, die bloße Leiblichkeit zu übersteigen - oder aber ein Wesen, gefangen im Käfig biologischer Prädestinationen?

Dass es sich bei dieser Frage nicht um ein bloßes theoretisches Glasperlenspiel handelt, sondern wichtige, auch in den Alltag hineinragende ethische Probleme berührt werden, liegt für die Wiener Moraltheologin Sigrid Müller auf der Hand. Nicht zuletzt die aktuellen Euthanasie-Debatten zeigten, dass es offenbar eine "biologistische Verkürzung“ des Menschen gebe, insofern der Mensch auf seine "bloße Funktionalität“ reduziert werde.

Die Rechnung scheint einfach: Man lasse unter dem Brennglas eines kruden Naturalismus Geist und Seele verdampfen, reduziere das Bewusstsein des Individuums auf chemische Prozesse im limbischen System - und schon wird der Mensch zum Spielball evolutiver Prozesse degradiert, sich selbst und anderen nicht mehr verantwortlich und letztlich seiner Würde entkleidet. Für Müller ist es daher Zeit für einen - auch theologischen - Neuansatz bei der Rede vom Menschen.

Plädoyer für eine neue Anthropologie

"Wir brauchen eine neue Anthropologie“, so die Theologin, und sie plädiert für einen interdisziplinären Schulterschluss bei dieser Suche, bei dem sie der Theologie eine wichtige Rolle zutraut.

Ein Baustein dieser neuen Anthropologie könnte laut Müller eine Neufassung des Begriffs der Leiblichkeit sein, versteht das Christentum darunter doch eine "ganzheitliche Perspektive, in der Körper und Geist nicht auseinanderdividiert werden“ - allen Vorwürfen der "Leibfeindlichkeit“ im Christentum zum Trotz.

"Das genuin Christliche ist das Zusammendenken von Leib und Seele.“ Im gesellschaftlichen Dialog könne das Christentum dabei etwa an die Verletzbarkeit des Leibes erinnern, aber auch daran, dass die Würde des Menschen kein abstrakter Begriff ist und daher nicht ohne die Körperlichkeit des Menschen zu denken ist, so Müller.

Dass das Thema internationale Aufmerksamkeit findet, zeigt etwa der am Wochenende in Wien zu Ende gegangene Jahreskongress der "Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie“.

Rund 250 europäische Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen - darunter Theologen, Soziologen und Mediziner - haben dabei die "Grenzen der Leiblichkeit“ erkundet und beschrieben.

Erosion des Begriffs vom Menschen

Wenn auch alle Teilnehmer die Sorge um einen weiter erodierenden Begriff vom Menschen teilten, so wurde dabei doch deutlich, wie schwer - und doch unumgänglich - es ist, eine gemeinsame Sprache im Ringen um die gesuchte "neue Anthropologie“ zu sprechen, wie Sigrid Müller, die als Organisatorin der Tagung fungierte, im FURCHE-Gespräch erklärte.

Am Sonntag wurde Müller zur neuen Präsidentin der Gesellschaft bestellt.

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