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"Ich habe die Wünsche meines Lebens in einen engen Raum zusammengeschlossen. Einem Volke, das auf ganz andere Dinge als Poesie zu horchen hat, mit meinen Liedern im Ohr zu liegen, erscheint mir mehr und mehr als chimärisches Treiben ..."

Nikolaus Lenau wird oft als großer Naturdichter gefeiert. Und in der Tat sind es immer wieder Naturbilder, die bei Lenau faszinieren, etwa in den Schilfliedern, einem Nachklang seiner Streifzüge durch die Donauauen, während er als Jugendlicher bei den Großeltern in Stockerau lebte. Vielfältige Naturbilder, vor allem aber die Leichtigkeit der Reime und des Klanges machen Lenaus Poesie so suggestiv.

Geboren ist Lenau als Franz Nikolaus Niembsch, Edler von Strehlenau in der Nähe von Temesvár, in dem damals ungarischen, heute rumänischen Ort Csatád, mittlerweile als Lenauheim bekannt, Teile seiner Jugend verbrachte er in Budapest und vor allem im Weinbaugebiet von Tokai. Studiert hat er in Wien, Pressburg und in Ungarisch-Altenburg, dem heutigen Kleinstädtchen Mosonmagyarovár hinter der österreichischen Grenze (an der Mutterhochschule der Universität für Bodenkultur in Wien). Stuttgart und Heidelberg waren zwei weitere Zentren seines Lebens. An Amerika hat ihn auch die Natur fasziniert. "Dort will ich meine Phantasie in die Schule der Urwälder schicken", schrieb er in einem Brief. Eine starke Faszination übte das Meer während der Überfahrt auf ihn aus: den Atlantik und die österreichischen Alpen nannte er die "zwei Hauptmomente der Natur, die mich gebildet haben".

Lenaus Naturbilder sind immer philosophisch "aufgeladen" und von reiner Erlebnislyrik weit entfernt. In den "Waldliedern, dem bedeutendsten Zyklus der Spätzeit, feiert er auf den Spuren Hegels geradezu eine Vereinigung von Mensch und Natur. Aber Lenaus Gedichte kennen auch ganz andere Aspekte der Natur. Im Gedicht "Die Drei", entstanden im Umkreis des Versepos "Die Albigenser", reiten drei tödlich verwundete Soldaten durch eine kaum angedeutete Landschaft. Über ihnen kreisen drei Geier, die das letzte Wort in diesem Text haben: "Den speisest du, den du, den ich." Keine Hoffnung, keinerlei Unsterblichkeitsgedanken lässt dieses Gedicht aufkommen, an dessen Ende die "natürliche" Vernichtung steht.

Wenn Lenau einmal schreibt: "Wir wallten durch des Glaubens Paradiese, / wo jedes Lüftchen uns von Gott erzählt", so spricht aus diesen Zeilen die Erinnerung an eine gläubige Geborgenheit, die Lenau in seiner Kindheit verspürt hat, die aber schon weit zurückliegt, als er darüber schreibt. Lenau spricht aus einer skeptischen, aber nicht aus einer gleichgültigen Position. Was das Leben nach dem Grabe betrifft, war Lenau skeptisch. Im Gedicht "Die Zweifler" diskutieren zwei Freunde darüber. "Ob nicht Unsterblichkeit die schlimmste Fabel, / Die je ein Mensch dem andern vorgesprochen", fragt Lenau an anderer Stelle. Seine Antworten auf solche Fragen sind im Laufe des Lebens durchaus verschieden ausgefallen. Lenau führte nicht nur ein rastloses Reiseleben, er war auch in geistiger Hinsicht unterwegs. Schon in einem der frühen Gedichte heißt es:

Heute steh ich nachts am Giebel,

Suche Jungfrau, Stier und Bär;

Morgen les ich in der Bibel,

Übermorgen im Homer.

Lenau wollte nicht nur durch ein Fenster auf die Welt schauen. Er ist einer der ersten Schriftsteller, der nicht mehr unter dem Dach einer Perspektive, einer Überzeugung oder eines Glaubens lebt. Gerade darin ist er ein Mensch der Gegenwart und auch 200 Jahre nach seiner Geburt noch interessant.

Nikolaus Lenau war einer der bestverdienenden Dichter seiner Zeit und vielleicht der erste, der vom Schreiben leben konnte. Aber sonst ist ihm im Leben kaum etwas gelungen: Er hat kein Studium zu Ende geführt, keine Anstellung gefunden, nie im Leben einen eigenen Haushalt geführt und nie die Beziehung zu einer Frau gefunden, mit der er auch leben hätte können. Seine intensive Liebe zu Sophie von Löwenthal konnte er weder offen leben, noch sich von ihr lösen. Ob das seinen psychischen Zusammenbruch verursacht hat oder ob er sich im Bordell mit Syphilis angesteckt hat und deswegen wahnsinnig geworden ist, das sind Fragen, die die neue und eigentlich erste Biographie Lenaus von Michael Ritter diskutiert. Eine ihrer großen Vorzüge ist, dass sie nicht versucht, die Gedichte biographisch zu erklären und dadurch zu nivellieren.

Sicher ist, dass Lenau für das Leben nicht begabt war; und erst recht für eine beruhigte Bürgerlichkeit; darum hatte er einen genauen Blick für Außenseiter. Mag sein, dass er in seinem bekannten Gedicht von den drei Zigeunern dieses Außenseitertum romantisiert und idealisiert, aber er steht auf der Seite des einfachen Glücks der Zigeuner und ihres stolzen Trotzes gegen das Leben. Lenaus Gedicht über das Begräbnis einer alten Bettlerin, die einmal die Schönste beim Erntetanz war, zeigt nüchtern, dass menschliche Beziehungen oft funktionieren wie ein Warenhandel. In einem anderen Gedicht ist der Räuber im ungarischen Bakony-Gebirge ein ganz gewöhnlicher Schweinehirt, der weder verurteilt noch gerechtfertigt wird, nur die harte Realität seines Lebens kommt in den Blick. Lenau hat in seiner Kunst auch Lebensformen verständlich gemacht, die nicht die seinen waren. In einem Gespräch sagte er einmal: "Jeder Mensch ist doch ein armes, unglückliches Geschöpf - man sollte keinen hassen."

Was an der Biographie von Nikolaus Lenau besonders ins Auge sticht, ist seine Reise nach Amerika. Es war nicht nur die Natur, die ihn dorthin gezogen hat, wie man an seinem "Lied eines Auswandernden" sieht:

Sei mir zum letzten Mal gegrüßt,

Mein Vaterland, das, feige dumm,

Die Ferse dem Despoten küsst

Und seinem Wink gehorchet stumm.

In dieser ersten Strophe spiegeln sich Lenaus Erfahrungen mit dem Metternich-System und seiner Zensur in Österreich; er selbst wurde mehrmals verhört. Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung waren für ihn immer zentral. Er war 1830 auf Seiten der Polen bei ihrem Aufstand gegen das zaristische Russland und sympathisierte mit den Freiheitsbestrebungen Ungarns. Auch die Indianer Amerikas haben Spuren in seinen Gedichten hinterlassen. Doch für das Leben eines Neusiedlers war Lenau nicht geeignet. Nur ein halbes Jahr dauerte das Amerika-Abenteuer, das ihn seine Gesundheit und nicht wenig Geld kostete.

Als Dichter der Melancholie ist Nikolaus Lenau vor allem bekannt geworden. In Gedichten und Briefen umkreist er dieses Wort auffällig oft. Plötzliche Stimmungsschwankungen und Depressionen machten ihm schon sehr bald zu schaffen. Sein Dichterfreund Justinus Kerner hat versucht, "ihn durch teilnehmenden Zuspruch für das Leben wieder durchzuwärmen". Den Ausbruch der Krankheit konnte er jedoch nicht verhindern. Nach schweren Tobsuchtsanfällen verbrachte Lenau die letzten Jahre seines Lebens in der Irrenanstalt in Wien-Oberdöbling.

Lenau hat, solange er dazu imstande war, die Beschädigungen und den Schmerz seines Lebens, den "inneren Riss", von dem er in etlichen Briefen sprach, in Kunst verwandelt. Sein Vorbild auf diesem Weg war Beethoven. "So hat niemand den Schmerz verstanden wie Beethoven", sagte Lenau einmal. Hinter seiner Poesie steht eine Lebenshaltung, die Günter Kunert fasziniert: "Mit Konsequenz, sogar unter Verweis auf die letzte Konsequenz, verweigert sich das lyrische Ich einer Welt, die von Dunkelmännern, seelenlosen Kleinbürgern und machtbesessenen Amtsträgern geprägt und damit unerträglich gemacht wird."

Heute ist der Name Lenau auch ein Signal für produktive Mehrsprachigkeit. Das Haus der deutschen Minderheit in der südungarischen Stadt Pécs trägt seinen Namen ebenso wie die deutsche Schule in Temesvár. An der 1998 abgeschlossenen historisch-kritischen Werkausgabe waren ungarische Germanisten maßgeblich beteiligt.

Zeit des Herbstes. Nikolaus Lenau. Biographie von Michael Ritter, Verlag Deuticke, Wien/Frankfurt am Main 2002, 384 Seiten. e 39,90

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