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Wüst und krank?

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Im Herbst 1989 werden die beiden ersten Bände einer historisch-kritischen Ausgabe der Werke und Briefe Nikolaus Lenaus erscheinen. In einem früheren Beitrag (siehe FURCHE 2/1989) habe ich als Mitherausgeber der Briefbände über die Editionsarbeit im allgemeinen berichtet. Der folgende Beitrag stellt einen der verschollenen Briefe Nikolaus Lenaus vor, der im Rahmen der historisch-kritischen Ausgabe erstmals veröffentlicht wird.

Von den bisher unbekannten 42 Briefen Lenaus, die sich durch systematische Rundfragen in über 3 00 Bibliotheken, Archiven und Auktionshäusern finden ließen, besteht ein Teil aus Routinemitteilungen und Berichten über Alltagsfragen. Nicht wenige enthalten jedoch auch für den Kenner Lenaus noch Überraschendes, sie ergänzen und erweitern das Bild seiner Person und seiner literarischen Anschauungen. Dazu gehört auch der hier erstmals veröffentlichte Brief an Franz Joachim von Kleyle vom 12. September 1839. *

Kleyle (1775-1854) war Kanzlei-und Güterdirektor des Erzherzog Karl. Lenau hatte ihn bereits in seiner Jugend kennengelernt, denn Friedrich Kleyle (1799-1836), ein Neffe des Hofrats, war in den 182 Oer Jahren sein engster Freund. 1834 lernte Lenau bei einem zufälligen Besuch im Haus des Hof rats dessen Tochter Sophie (1810-1889) kennen,' die seit 1829 mit dem Ministerial-beamten Max Löwenthal (1709-1872) nicht eben glücklich verheiratet war: Sophie Löwenthal wurde Lenaus engste Freundin und Vertraute, die er hebte und verehrte — ihre hoffnungslose Liebesgeschichte prägte Lenaus weiteres Leben und bot bis heute Stoff für Romane.

Die bisher bekannten Zeugnisse über das Verhältnis Lenaus zum Vater seiner* geliebten Sophie sprachen - nach anfänglicher Skepsis - fast ausnahmslos von tiefem Respekt und Verehrung. So schrieb Lenau an Max Löwenthal am IL August 1836: „Ich lerne Kleyle täglich höher achten und lieben. Ein vielbewegtes Geschäftsleben hat ihn doch von den Gegenständendes rein geistigen Lebens nicht abwenden können, und es ist mir oft ein wahres Vergnügen, zu sehen, mit welcher Wärme, dialektischen Fertigkeit und Kühnheit er sich oft in die dichtesten und schattigsten Partien des Labyrinthes, Philosophie genannt, hineinbegiebt.“ Auch die wissenschaftliche und biographische Literatur bestätigte dieses Bild. Es wurde auch nicht in Frage gestellt durch einen Halbsatz aus einem Brief Lenaus an Sophie vom 2 3. Februar 1840, in dem vom erfreulichen Ende eines unseligen Zerwürfnisses mit dem von ihm „so hochverehrten Manne“ die Rede war. Der wiedergefundene Brief an Kleyle deutet den Grund des Zerwürfnisses an und offenbart eine bisher kaum bekannte Seite von Lenaus Charakter.

Im Sommer 1839 hatte Lenau die Opernsängerin Caroline Unger (1803-77) kennengelernt - „ein wunderbares Weib“ schrieb er begeistert am 5. Juli 1839, ausgerechnet an Sophie Löwenthal, der er in der Folge auch ganz unbefangen seine Liebesgefühle für Caroline und seine Verlobungspläne schilderte. Am 11. Juli 1839 schrieb er an Sophie: .„Mein Gefühl für Sie bleibt ewig und unerschüttert, aber Carolinens Hingebung hat mich tief ergriffen. Es ist an Ihnen, Menschlichkeit zu üben an meinem zerrissnen Herzen. Caroline hebt mich grenzenlos. Sie hat mir geschrieben. Verstoße ich sie, so mache ich sie elend und mich zugleich, denn sie ist werth, daß ich sie liebe. Entziehen Sie mir Ihr Herz, so geben Sie mir den Tod; sind Sie unglücklich, so will ich sterben.“ Lenau legte die Entscheidung über sein Schicksal in Sophies Hände und reiste zu ihr in die Sommerfrische nachBad Ischl Sophie wußte Lenau von* seinem Vorhaben abzubringen - auf welche Weise und mit welchen Versprechungen, läßt sich aufgrund der bekannten Zeugnisse und des Lenaus chen Tagebuchs nur vermuten.

In diese Situation fällt der Angriff Kleyles gegen Lenau. Es ist verständlich, daß der Vater das merkwürdige Verhältnis seiner Tochter zu dem berühmten Dichter mit Mißtrauen beobachtete, besonders in diesen Wochen, in denen die erotischen Verstrickungenundurchschaubar zu werden drohten. Löwenthal berichtet in seinen Tagebuchnotizen, Kleyle habe einen (noch nicht wieder aufgefundenen) Brief an Sophie geschrieben, voller „nicht undeutlicher Anspielungen auf Niembschens Tendenz und Wirksamkeit“; darin standen offensichtlich auch Bemerkungen über die gegenwärtige Literatur, die Lenau auf sich beziehen mußte. Der Charakter dieses Briefes, den Sophie - nach dem Zeugnis ihres Ehemanns - Lenau zeigte, läßt sich aus dessen Antwort rekonstruieren.

Lenaus Brief lautet:

Herr Hofrath! Welcher Dämon der Zwietracht hat Sie gestachelt, daß Sie plötzlich und ohne von mir jemals beleidigt worden zu sein, meinen stillen Berg- und Burgfrieden auf eine so ungebührliche Weise gestört haben?

Es thut mir leid, daß meine ersten schriftlichen Worte an einen Mann, für welchen sonst immer nur Verehrung in meinem Herzen war, nicht anders als feindlich sein können.

Die Differenz unserer Weltansichten als schlechterdings unausgleich-bar bei Seite schiebend, finde ich bloß den persönlichen Theil Ihrer indirekten Vexationen und Invekti-ven mit einigen Bemerkungen und zwar direkt zu erwidern; eine Form, welche zwischen Männern jedenfalls die geziemendere sein dürfte. Wer den Kampfplatz der Geister betreten und mit einem anerkannt Schildbürtigen einen Streit fechten will, der möge sich vorsehen und in rechter Weise waffnen, wie es Sitte und Brauch eines dialektischen Turnierens gebieten, mit Schwert, Schild und Lanze, das heißt: mit Gründen, Gründen und wieder Gründen; nicht aber soll er mit dem Waldprügel trivialer Schmähungen auf besagtem Kampf platze erscheinen, oder er muß sich's gefallen lassen, daß man dem ungeschlachten Dilettanten einkränkendes Vade domuml zuruft.

Zwar haben Sie Ihrem Angriffe gegen mich mitunter die erweiterte Gestalt eines Ausfalls gegen sämmt-liche Ihnen mißfällige Literaten gegeben und sich gleichsam schonenderweise die Entscheidung vorbehalten, was von den saubem Prädikaten: wüst, krank, schwach, erbarmenswerth u.s.f. auf mich zu appliziren sei, was auf Andere; allein ich weiß recht gut, wie Alles gemeint und gemünzt ist.

Sie haben das angeführte prädi-katenreiche anathema gegen mich und Consorten ausgestoßen und in demselben Athemzuge uns der Verketzerung bezüchtigt; der Gott der ConseqUenz vergebe Ihnen diese Sünde!

Bei all Ihrem Verstände und nicht zu läugnender vielseitiger Bildimg, befinden Sie sich dennoch zu sehr im Nachtrabe des philosophischen Fortganges unserer Zeit, als daß Sie so verächtliche Aussprüche über denselben sich zu erlauben hätten. Mit Machtsprüchen ist im freien Gebiete der Erkenntniß überall nichts ausgerichtet, und als eklatante Ungebühr zerfallen sie dort in sich selbst, wo sie nicht von einer evidenten Macht gesprochen werden. Der unproduktive Verstand, in seiner nüchternen Unzulänglichkeit, spielt wahrlich keine imposante Rolle, Wenn er, höhern Kräften gegenüber, nach solchen Mitteln greift, um den Schein überlegener Klarheit und weiser Ruhe Zugewinnen.

Verletzend sind meine Worte, ich weiß es wohl, aber wer, ungereizt, mich einen Zoll tief sticht, den steche ich, gereizt, einen Fuß tief. So werden Sie wenigstens meine Gesinnung nicht als eine allzuchristliche und köhlergläubige tadeln können.

Sie zählen mich zu den vornehmen Leuten. Ist das Ernst? Dann muß mich Ihr Betragen befremden, denn es werden sonst viel feinere Manierengegen Vornehme an Ihnen gerühmt als diejenigen sind, welche Sie gegen mich zu entwickeln beheben; ist es aber Spott, so muß ich dem Spotte mit dem Ernste begegnen , daß ich in der That etwas in mir fühle, wovor Sie sich zu beugen haben. Niembsch.

Ischl 12 September 1839.

Kleyle hat in seinem Angriff , of f ensichtlich die Literaten in einer Weise als „wüst, krank, schwach, erbarmenswerth“ gescholten, die Lenau auf sich selbst beziehen mußte. Lenaus scharfe Reaktion erklärt sich auch daraus, daß er sich hier im Kern seiner Persönlichkeit angegriffen glaubte: Seine Ehre als Schriftsteller war verletzt, er fühlte sich völlig verkannt und beleidigt gerade von einem Mann, dem er literarischen Geschmack und philosophische Bildung zugetraut hatte. Hier nun schmäht er den väterlichen Freund wegen seines veralteten und konservativen Geschmacks, seiner Unfähigkeit zu argumentieren. Eine ähnlich scharfe Reaktion Lenaus gegen einen guten Freund ist eigentlich nur bei einem Zerwürfnis mit dem Grafen von Auer-sperg (Anastasius Grün) zu finden. Lenau fühlte sich durch eine Bemerkung des Grafen, die auf ihre soziale Ungleichheit anspielte, aufs tiefste verletzt und kündigte ihm die Freundschaft in scharfen Wendungen auf. Auch imBrief an Kleyle reagiert Lenau in diesem Punkt besonders empfindlich. Die im Original unterstrichene Wendung (offensichtlich ein Zitat aus Kleyles Brief), dieser zähle ihn zu den „vornehmen Leuten“ wird als provozierend attackiert, da es sich wohl nur um Spott handeln könne.

Kleyle äußerte sich in einem Brief an seinen Schwiegersohn Max vom 12. September 1839 (der erstmals im Kommentarband zu den Briefen veröffentlicht wird) bitter über den „Scheidebrief“ Lenaus und zog auch seinerseits einen Schlußstrich unter sein Verhältnis zu dem Dichter. Einige Monate später kam es jedoch, wohl auf Vermittlung der Löwenthals, zu einer Versöhnung.

Der Wiener Literarhistoriker Eduard Castle konnte kurz nach der Jahrhundertwende als erster und bisher einziger den Nachlaß Löwenthals durcharbeiten und auswerten. Er publizierte daraus sowohl die umfangreiche Darstellung „Lenau und die Familie Löwenthal“ (Wien 1906) als auch innerhalb seiner historisch-kritischen Ausgabe (Leipzig 1010-23) die Briefe und Tagebuchzettel.

Bisher glaubte man, ihm hätten die Materialien unbeschränkt zur Verfügung gestanden. Ein Fund wie dieser zeigt hingegen, daß offensichtlich Familienrücksichten zu Einschränkungen geführt haben, wenn das Andenken von Angehörigen der Familie Löwenthal betroffen war. Damit blieben der Nachwelt jedoch auch einige wichtige Zeugnisse Lenaus vorenthalten, die sein Bild in einzelnen Zügen schärfer hervortreten lassen und differenzieren.

Der Autor ist Professor für Germanistik an der Universität Paderborn.

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