Stürmischer Theaterherbst in Wien

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Unausgegoren präsentierte sich der Sommernachtstraum von Leander Haußmann am Burgtheater - trotz verschobener Premiere. Am Volkstheater misslang die Verknüpfung von "Iphigenie" mit "Occident Express", sehenswert ist die Inszenierung aber allemal.

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Unausgegoren präsentierte sich der Sommernachtstraum von Leander Haußmann am Burgtheater - trotz verschobener Premiere. Am Volkstheater misslang die Verknüpfung von "Iphigenie" mit "Occident Express", sehenswert ist die Inszenierung aber allemal.

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Wie die Wetterkapriolen im Herbst sind auch Premieren mitunter unvorhersehbar. Der Start im Volkstheater bescherte dem Publikum gleich zwei Premieren an einem Abend. Hausherrin Anna Badora inszenierte sowohl die "Iphigenie in Aulis" von Euripides in der Übersetzung von Soeren Voima, als auch Stefano Massinis Flüchtlingsdrama "Occident Express".

Das Burgtheater musste seinen geplanten Saisonstart kurzfristig verschieben: Leander Haußmanns Inszenierung von William Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" wurde nicht rechtzeitig fertig, Regisseur und Schauspieler baten per Presseaussendung um mehr Probenzeit. Der Gruppendynamik mag die viertägige Verschiebung geholfen haben, der Inszenierung leider nicht mehr. Stürmisch geht es auch in den Aufführungen selbst zu: Haußmann lässt Blitze, Sturmböen und Regenschauer über die Bühne fegen, am Volkstheater surren die Windmaschinen bedrohlich im Bühnenhintergrund.

Verschobene Premiere

Zwischen desaströser Banalität und grandiosem Bühnenzauber wandelt dieser Sommernachtstraum. Der meisterhafte Einsatz der Drehbühne, zweideutiger Humor und die Popsongs aus Haußmanns Jugendtagen gehören zum Standardrepertoire des rebellischen Theatermannes aus Berlin und fehlen auch in dieser Aufführung nicht. Zum dreißigjährigen Theaterjubiläum hat er sich zum vierten Mal der Komödie um Liebe, Sex und Torheiten gewidmet. Infantiler Witz begleitet jede Szene, ebenso eine wundervolle Märchenwaldbühne voller geheimnisvoller Theatereffekte (Bühne: Lothar Holler). Ein fliegender Puck treibt Schabernack, die vier verirrten Liebenden im Zauberwald werden von pubertären Schüben und allerlei Getier geplagt. Ein grantelnder Johannes Krisch als Elfenkönig schlägt da nicht nur einmal die Hände über dem Kopf zusammen und verschwindet schimpfend unterm Bühnenboden. Dazwischen tobt der Geschlechterkampf. Wer mit wem und warum, ist hier nicht mehr so ganz genau auszumachen. Irgendwie scheinen alle vom Hormonstau getrieben. Nur Alexandra Henkel als Amazonenkönigin Hippolyta gibt die Braut, die sich nicht traut und mit Pistolenschüssen, Handschellen und Peitschenhieben zum Traualter gezerrt werden muss.

Die Probenszenen der eifrigen Handwerker, die ihre "höchst traurige Komödie" vom Lieben und Sterben des Pyramus und seiner Thisbe am Hochzeitstag zum Besten geben wollen, werden zur Aufarbeitung des realen Premierentraumas genutzt. Anspielungen sind reichlich vorhanden. Jeder macht, was er will, der verzweifelte Regisseur ist kurz davor, das Handtuch zu schmeißen und schreit nach Umbesetzung von 75 Prozent seiner maulenden Truppe. Die Routiniers des Burgtheaters Martin Schwab, Johann Adam Oest, Peter Matic´, Hans Dieter Knebel, Dirk Nocker und Hermann Scheidleder mimen die wunderbar abgehalfterten Theaterkombomitglieder mit Genuss und Verve. - Viele Szenen wirken aber noch immer unausgegoren, dort, wo eine stringente Dramaturgie fehlt, wird sie von übertriebener Blödelei ersetzt. Ausbaden muss alles der arme Puck, famos gespielt von Christopher Nell. Verzweifelt steht er zum Schluss auf der Bühne und winselt um ein wenig Applaus. Der wird ihm reichlich, aber nicht überschwänglich vom Premierenpublikum gespendet.

Geteilter Abend

Am Volkstheater verschränkt Badora das griechische Drama um Kriegsführer und Kriegsopfer mit einem aktuellen Text des italienischen Doku-Fiktion-Experten Stefano Massini. "Occident Express" ist die Geschichte einer ausweglosen Flucht aus dem irakischen Kriegsgebiet übers Baltikum bis nach Deutschland. Die Verquickung zweier so unterschiedlicher Erzählungen wäre durchaus im Stande, interessante Fragen aufzuwerfen, in der Umsetzung bleibt es allerdings bei einer bloßen Aneinanderreihung zweier Dramen an einem Abend.

Dabei liegen die Kontexte auf der Hand. Erzählen beide Texte eine Geschichte des Krieges aus verschiedenen Blickwinkeln. Von den Kriegstreibern zum einen, für die kein Opfer zu groß scheint, zum anderen von den zahllosen Kriegsflüchtlingen, die zum Überleben jedes Opfer in Kauf nehmen müssen. Während das Programmheft aktuelle Statements der Politik und Stückzitate versammelt, bleibt die Inszenierung eine tatsächliche Zusammenführung beider Texte schuldig.

Die Aufführung der "Iphigenie in Aulis" im ersten Teil des Abends verläuft glatt und vorhersehbar. Auf der kargen Bühne, die von einem riesigen Wassergraben durchzogen ist, warten die Feldherren Agamemnon, Menelaos und Odysseus auf genügend Wind, um endlich den lang ersehnten Vergeltungsschlag gegen Troja zu beginnen. Dafür muss die Tochter Agamemnons getötet werden, was den Vater aber nur kurz zweifeln lässt. Erst die Ankunft der ahnungslosen Klytaimnestra und ihrer Tochter Iphigenie bringt Schwung in die Inszenierung. Anja Herdens Bühnenpräsenz ist wie immer beeindruckend. Im Outfit und mit dem Gebaren einer Highsociety-Lady versucht sie verzweifelt das Leben ihrer Tochter zu retten. Dass Iphigenie am Schluss nicht verschont, sondern tatsächlich getötet wird, um die Windmaschinen an der Bühnenwand zum Laufen zu bringen, ist eine überraschende Lesart des ansonsten sehr didaktisch aufbereiteten Originaltextes. Insgesamt hinterlässt diese erste Hälfte des Abends aber wenig Eindruck.

Ganz anders der zweite Teil. Die wunderbare Henriette Thimig, die sich zuvor als vergreister Bote durch den aulischen Wassergraben mühte, gibt hier die starke und berührende Großmutter Haifa. Für die Zukunft ihrer Enkelin begibt sie sich auf eine schier aussichtslose Flucht. Der Bericht von Haifa wird von ihr und dem Rest des Ensembles in Wechselrede vorgetragen und in beeindruckenden Analogien präsentiert. Ein viel zu enger Plexiglaskubus und einige Turnseile versinnbildlichen die unendliche Kraftanstrengung und Angst, die mit einer solchen Flucht verbunden sind. Ein starkes Stück, das einen ganzen - und nicht einen halben -Theaterabend verdient hätte.

Ein Sommernachtstraum Burgtheater, 20., 22. Sept., 2., 3. Oktober

Iphigenie in Aulis /Occident Express Volkstheater, 15., 20., 22., 29. September

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