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Nur Entwicklungen aufzeigen

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Der Rechnungshofbericht und auch die öffentliche Meinung hat Generaldirektor Müllner zum Hauptverantwortlichen für den Newag-Vorfall erklärt. Nun: Es ist nicht Art der „Furche“, das Schwert zu erheben, solange die Untersuchungen der zuständigen Organe nicht abgeschlossen sind. Es soll hier lediglich versucht werden, Entwicklungen aufzuzeigen, Situationen zu analysieren und das „Profil“ eines Mannes herauszuarbeiten, der vom kleinen Mann zu einem mit fast unumschränkter Macht ausgestatteten Wirtschaftsmanager aufgestiegen ist.

Viktor Müllner, vor 64 Jahren in St. Pölten geboren, stammt aus einfachen Verhältnissen. Er arbeitete in seiner Jugendzeit als Taxichauffeur und Polizist. Daß er als „Spätberufener“ nochmals die Schulbank drückte, verdankt er angeblich in erster Linie seiner Frau. Nach dem Lehrerseminar machte der ehrgeizige junge Mann auch noch die Haupt- schulprüfung und studierte ein paar Semester Elektrotechnik. Ehemalige St. Pöltner Schüler bestätigen, daß Viktor Müllner ein tüchtiger, aber auch ein sehr strenger Lehrer war.

In den dreißiger Jahren holte sich Müllner seine politische Feuertaufe. Seine Arbeit in der Stadtgemeinde und in der Christlichsozialen Partei erfüllte er mit fanatischem Ernst. Bei so mancher „Straßenschlacht“ verteidigte er seine politischen Ideale.

In der Hitler-Zeit war Viktor Müllner einer von jener alten Garde, die wie Figl und Olah in den Konzentrationslagern schmachten mußten. Müllners Familie war in diesen Tagen auf die Hilfsbereitschaft alter Freunde angewiesen.

Ein Jahr der Morgenröte

1945 war nicht nur das Jahr des Zusammenbruchs, es war für so manchen das Jahr des Überlebens; es war für Österreich trotz allem ein Jahr der Morgenröte — in dem die aufbauwilligen Kräfte wieder an die Arbeit schritten. Als die Volkspartei in diesen Tagen die „politischen Lehen“ vergab — das soll hier nicht negativ gemeint sein —, erhielt Viktor Müllner die Konkursmasse der ehemaligen Gauwerke überantwortet, aus der allmählich das heutige Imperium der Newag herauswuchs.

Als Landesrat für Finanzen in Niederösterreich und als geschäftsführender Präsident der Newag hatte Viktor Müllner jahrelang zwei wichtige Schlüsselstellungen in seiner Hand. Seine politische Hausmacht war von Anfang der ÖAAB, an dessen Auf- und Ausbau er neben Nationalrat a. D. Dengler wesentlichen Anteil hatte. In jenen harten Jahren der Besatzungszeit, in denen sich nur bauernschlaue Diplomaten, wie Steinböck und Figl, oder mehr autoritäre Naturen, wie Olah und Müllner, entsprechend durchsetzen konnten, wurden im ÖAAB-

Kader eiserne Kameradschaft und bedingungslose Nibelungentreue zur obersten Mannestugend erhoben. (Dadurch wird verständlich, warum der ÖAAB heute sich so schwer von Müllner lösen konnte.)

Intensives Engagement

Viktor Müllners große Zeit als Wirtschaftsmanager kam in den fünfziger Jahren, in denen sich in Westösterreich bereits ein kleines Wirtschaftswunder — gedüngt mit ERP-Geldern — bemerkbar machte. Es gelang ihm, von der ÖMV bemerkenswerte Rabatte bei der Erdgaslieferung zu erzielen. Kein Mensch glaubte damals, daß Müllner das Niederösterreich jährlich zugesicherte Erdgas auch werde verwerten können, denn im Lande unter der Enns gab es keine „Pipelines“, und der Ausbau der Gasleitungen schien auf große Schwierigkeiten zu stoßen. Aber Viktor Müllner und seine Mannen fanden einen Ausweg: sie verpflichteten eine englische Firma, die in einer Rekordzeit die Erdgasleitungen in Niederösterreich legte: Müllner war der „Vater der Niogas“ geworden. In diesen Tagen ereignete es sich auch, daß die St. Pöltner Lokalpolitiker den großen Viktor vergrämt hatten,

also zog Müllner aus der Stadt. Und von damals stammt auch die Mär, daß Müllner „aus Rache gegen Sankt Pölten“ Niederösterreichs „Brasilia“, die Südstadt, in Maria-Enzersdorf erbaute. Es war das noch die Zeit in Niederösterreich, in der allein die Politiker bestimmten, wo neue Straßen geführt und wo Schulen gebaut wurden. Manchmal schlugen die Politiker die richtige Karte auf — wie etwa Ing. Kargl, der Erbauer der Wachaustraße —, manchmal auch die falsche, wie jene Mandatare, die Schulen bauen ließen, die man heute stillegen muß. Auf der positiven Seite des Müllnerschen Tatendranges steht auch der Bau der Kamptalwerke.

Die Energien Müllners wurden aber bei weitem nicht in der Energiewirtschaft verbraucht. Ein merkwürdiger Gesellschaftsvertrag gestattete es den Verantwortlichen der Newag, aus dieser Landesgesellschaft allmählich einen Staat im Staate zu machen. Einen Staat, in dem Millionen in undurchschaubare Kanäle versiegten. Man engagierte sich sehr intensiv bei Banken, Baugesellschaften, bei Lehrmittelflrmen und Hotelbetrieben, bei Fluggesellschaften und Bauhöfen und dutzen- den anderen Unternehmungen. Da wirft Müllner dem ehemaligen Generaldirektor Dr. Skacel vor, daß er

— gemeinsam mit anderen Newag- Gewaltigen — viele Millionen in betriebsfremde Unternehmungen fließen ließ; und da weist der Rechnungshofbericht der Newag nach, daß viele Millionen in die Firmen des Müllnerschen Familienclans strömten. (Die so belastenden Details aus dem Rechnungshofbericht sind ja weithin bekannt.) Vielsagend ist, daß die Wiener Staatsanwaltschaft den Newag-Akt wie auch den Niogas-Bericht anforderte.

Parallelen zwischen Müllner und Olah?

Vielleicht ist es mehr als ein Zufall, daß im politisch sonst so ruhigen Niederösterredch für die beiden großen Parteien Krisenherde entstanden. Für die SPÖ war es der Fall Olah, der die Partei in ihren Grundfesten erschüttert hat. Und den Fall Müllner hat der Generaldirektor selbst und mit ihm einige eifrige Gefolgsleute schon fast zu einem Fall der ÖVP gemacht.

Eigentlich ist es nicht von ungefähr, wenn Olah und Müllner gewisse Parallelen aufweisen: Beide haben sie für ihre Parteien auch einiges geleistet; beide schmachteten sie in Hitlers Konzentrationslagern; beide liebten sie aber auch einen gewissen autoritären Stil — und beide übersahen sie die Grenzen ihrer Macht. Vielleicht waren beide auch mit Freunden umgeben, die zu feige waren, um sie rechtzeitig auf diese Grenzen aufmerksam zu machen. Besieht man beide Seiten dieser Führernaturen, so mag ihr Abgang einer gewissen Tragik nicht entbehren.

Was wird nun in Sachen Newag geschehen? Der Aufsichtsrat der Newag hat einen Ausschuß eingesetzt, der den „Dschungel“ durchleuchten und entsprechende Vorschläge ausarbeiten soll. Auf Landesebene wurde ein Unterausschuß des Finanzausschusses, in dem ÖVP und SPÖ ihre prominentesten Abgeordneten entsandten, gebildet, der sich mit dem Rechnungshofbericht befaßt.

Bevor der Landtag entsprechende Maßnahmen beschließt, wird voraussichtlich auch noch die derzeitige Situation der Newag genau unter die Lupe genommen. (Der Einschaubericht des Rechnungshofes läuft ja nur bis 31. Dezember 1963.) Zudem hat der Rechnungshof die Bilanzwahrheit der Newag-Berichte ange- zweifelt.

Die Landtagssitzung soll ja mehr bringen als ein „Jüngstes Gericht“ für Viktor Müllner und seine Gefolgsleute. Sie soll eine Sanierung der Landesgesellschaft herbeiführen und einen neuen Gesellschaftsvertrag beschließen, sie soll das letzte Relikt des Feudalismus in Niederösterreich liquidieren, einer Zeit, in der Generaldirektoren wie absolute Monarchen herrschten, die wohl auch einiges Gute für ihre Untertanen taten, die aber auch auf die Vermehrung ihres Kronschatzes nicht vergaßen.

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