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Feudalherr a. D.

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Einst ein TaxichaufTeuir, der sich auf die Schulbank setzte, um die Reifeprüfung nachzuholen, dann ein strenger Lehrer, der daneben mit veifoiasenem Eifer die ersten Stufen einer politischen Karriere erklomm und für seine Überzeugung jahrelang im KZ saß, schließlich ein Mann, der in unbändigem Tatendrang, mit Klugheit und Ellbogentechnik ein politisches und wirtschaftliches Imperium aufbaute, in dem er, gleichsam als oberster Feudalherr, alle drei Gewalten in sich vereinigte: das war Niederösterreichs langjährige Graue Eminenz, Landesrat, Landeshauptmannstellvertreter und ÖAAB- Parteichef Viktor Müllner.

War es die große Tragödie dieses in manchen Zügen seiner Persönlichkeit wahrhaft genialen Mannes, daß er Nonnen des Rechtsstaates — wie in der Besatzungszeit so mancher — mißachtete? Daß er den autoritären Stil der dreißiger Jahre in einer demokratischen Partei praktizierte? Daß er einem Moralkodex anhing, der besagt, daß der Staat, wie auch die halbstaatlichen Institutionen den Parteien und ihren Machthabern gehören? Daß er, dessen Familie in großer Not auf seine Befreiung aus dem Konzentrationslager wartete, nun in Ausnützung seiner Machtpositionen dafür sorgte, daß „seine Kinder nicht (mehr) betteln gehen.

Es sei hier nicht von den strafrechtlichen Vorwürfen die Rede, die in den nächsten Tagen Gegenstand der Verhandlung über Viktor Müllner sein werden. Die Fragen beziehen sich auf sein großes Versagen als Politiker, als Politiker einer Partei, die nach wie vor auf den Grundsätzen der christlichen Soziallehre fußt.

Der große Taktiker

Wenn am 28. Mai, spät aber doch, der formelle Ausschluß Müllners aus der Volkspartei erfolgen wird, so ist das der letzte Akt der Distanz, die in der Praxis bereits gezogen wurde. Man wird also nicht mehr das Ergebnis der Gerichtsverhandlung ab- warten, wie früher einige ÖAAB- Funktionäre immer wieder betonten. Als ob ein Politiker erst dann untragbar würde, wenn er silberne Löffeln gestohlen hat. Als ob es neben dem Strafrecht keine Moral- prinzipien für die Volksvertreter gäbe, deren Mißachtung — gelinde gesagt — ihre Glaubhaftigkeit untergraben.

Wie war es überhaupt möglich, daß man die Machinationen eines Müllner, eines Ofenböck (sozialistischer Newag-Direktor), eines Pre- thaler (beeideter Wirtschaftsprüfer, der Newag-Bilanzen „frisierte“) so spät aufdeckte? Noch im Jahre 1963 — rund drei Jahre vor der Veröffentlichung des vernichtenden Rechnungshofberichtes über die Landesgesellschaften — wurde Viktor Müllner von der ndederösterreichischen Landesregierung einstimmig der Ehrenring verliehen- Huldvoll die Begrüßungsansprachen der Mandatare beider Couleurs.

Viktor Müllner stand damals auf dem Zenit seiner Macht und seines Ansehens. In die Räder der demokratischen Kontrollen War offensicht- Sand geraten. Müllners engste Freunde auf beiden Seiten waren offenbar nichts weiter als willenlose Erfüllungsgehilfen, der Aufsichtsrat in der Landesgesellschaft ein Aus- tragstiiberl für ausgediente Politiker, ein kaum informierter „Nachsichtsrat“.

Hartmann als Liquidator

Als im Winter 1966 in einer sozialistischen Boulevardzeitung eine Dokumentation über „Viktor Müllners Spinnennetz“ erschien, die ein Grundbuchsachverständdger mit journalistischem Talent und kriminalistischem Spürsinn nicht hätte präziser schreiben können, und als auch katholische Blätter es wagten, in ähnliche Kerben zu schlagen, da wurde von den „Getreuen“ im ÖAAB das letzte Aufgebot mobilisiert. Obwohl Dr. Prader und einige seiner Komilitonen in Stockerau (Juni 1966) vor einer Neuwahl Müllners angesichts der Vorwürfe warnten und eine Verschiebung des Landestages verlangten, konnte die Macht „Viktors“ noch nicht gebrochen werden. Es war der letzte Sieg des verhängnisvollen „Establishment“ der Müllner-Garde.

Von nun an ging es rapid bergab. Als der damalige Landeshauptmann Dipl.-Ing. Hartmann vom Rechnungshofbericht über die Newag Kenntnis erhielt, stand für ihn der Entschluß fest, daß Müllner seine Funktionen in der Partei und in den Landesgesellschaften zur Verfügung stellen müsse. „Ich bin der Überzeugung, daß Müllner als Geschäfts- führeinder Partedobmann der ÜVP Niederösterreichs und als Generaldirektor der Newag untragbar geworden ist“, erklärte Hartmann schon im September 1966 (aus einem Gedächtnisprotokoll des Autors dieses Artikels über eine vertrauliche Aussprache.

Im Spätherbst 1966 überstürzten sich die Ereignisse: Müllner wurde nicht nur aller seiner Funktionen entbunden, während einer heißen Debatte über den Rechnungshofbericht und über die Sanierung der Newag im niederösterreichischen Landtag (14. Dezember 1966) platzte die Bombe von der Verhaftung „wegen Verabredungsgefahr“. Der Untersuchungsrichter hatte zugegriffen, der Fall Müllner wurde nun nicht mehr bloß auf der wirtschaftlichen und politischen Ebene verhandelt.

Niederösterreich setzte nun ein Expertenteam für die Durchleuchtung der Landesgesellschaft ein, 1967 wurden die Sanierungsmaß- nahmen für die Newag, inbegriffen eine Kapitalaufstockung, beschlossen. Im ersten Viertel des heurigen Jahres wurde die stille Liquidation der Conti-Bank, einst eine wichtige Drehscheibe am Roulettetisch des Müllner-Reiches, im Landtag beschlossen; nach einem Plan des neuen Finanzreferenten Ludwig wurde von der Landesregierung ein Modus festgelegt, nach dem die in ein verzweigtes Kanalsystem geflossenen 384 Rabattmillionen der Müllnerschen „Wohnbauförderung“ in die Kassen des Landes geleitet werden können.

Die Liquidation des Müllner- Erbes ist natürlich nicht ohne Schmerzen für die ÖVP verlaufen. Es kam zum Ausscheiden von Landesrat Resch aus der Landesregierung und es kam zu einem bedauerlichen Fall Allitsch. Und es bedurfte der Konsolidierung der neuen Parteispitze mit Landeshauptmann Maurer, Minister Prader und Landesparteisekretär Dr. Bernau, um den evolutionären Prozeß „in den Griff“ zu bekommen.

„In jeder Partei kann es Korruption geben, aber sie muß überwunden werden“, sagte Präsident Maleta beim ÖAAB-Tag in Baden.

Aber es geht nicht allein um die Überwindung eines solchen Falles. Es geht — und das gilt für alle Parteien — um eine bessere Verteilung der Macht, um eine bessere demokratische Gesinnung und um eine Verlebendigung der innerparteilichen Diskussion. Nur so sind wir vor neuen Müllners und Olahs weitgehend gefeit.

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