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IM SPIEGEL DER PRESSE

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Triebkraft des Sozialismus war einst die sittliche Empörung über die Lage der arbeitenden Klasse. Dazu kam in der Sozialdemokratie, soweit sie marxistisch gefärbt war, die Überzeugung, daß ihr Ziel, die neue Gesellschaft, nicht nur sittlich gut, sondern überdies historisch zwangsläufig heraufsteige; das natürliche Sittengesetz erfuhr Verstärkung durch das wissenschaftliche Geschichtsgesetz.

überdies in Richtung der geschichtlichen Notwendigkeit zu marschieren, beflügelte einst die sittliche Kraft des Proletariats. Ohnehin von der Geschichte ans Ziel getrieben zu werden, diente dann den Funktionären als Ausrede für Tatenlosigkeit. Und als schließlich der Marxismus zur Zauberkunst herabsank, erst vorauszusagen, wie alles kommen muß, und hinterdrein zu beweisen, warum alles anders kam, verkümmerte die wissenschaftliche Triebkraft des Sozialismus erst rech .

Erst recht blieb auch für den marxistischen Sozialismus nur noch die sittlich-humanistische Triebkraft übrig.

Dies ist eine mächtige Triebkraft, solange es um die nackte Existenz gemäß Menschenwürde geht. „Früher einmal", sagt heute jeder bessere Generaldirektor, „wäre auch ich ein Sozi gewesen. Aber heute? Es ist alles schon erreicht!"

Anständig essen, wohnen, sich kleiden, Kühlschränke, Autos, Fernseh apparate für alle — das sind Schritte zur Menschlichkeit des Menschen, notwendige Schritte von ungeheurem historischen Verdienst. Aber es sind winzige Schritte, verglichen mit dem eigentlichen, geistigen Ziel des Sozialismus.

(Günther Nenning: „Öffnung oder Untergang’)

Die Opposition gegen den mächtigen Chet der Landesgesellschatten Newag und Niogas wurde zwar durch eine geschickte Regie auf dem Landestag weiterhin unterdrückt, sie ist aber nicht tot. Die Einmütigkeit, von der Prätorianergarde des Generaldirektors immer wieder betont, war weithin ein Trugbild. Und wie Beobachter erklärten, hätte die bei einem Großteil der Delegierten aufgestaute Pulvermasse wohl nur einen schwachen Funken gebraucht, um zu explodieren. Gerade diese Irritialzündung wußte man durch eine clevere Verhandlungsführung zu unterbinden

Generaldirektor Müllner bewies auf dem Landestag, daß er nicht nur ein gewiegter Wirtschaftsfachmann ist, sondern auch ein geschickter Redner. Allerdings läßt er nicht gern Blumen sprechen, und anstatt der sachlichen Argumentation beliebt er, in wenig feinfühliger Weise mit seinen Kritikern zu Gericht zu gehen. Äußerst scharf nahm er dem „mißratenen Sohn" des großen österreichischen ÖAAB-Pio- niers, des Ex-Nationalratsabgeord- neten Dengler, aufs Korn. (Generalkonsul Dr. Dengler, Zagreb, hatte es bekanntlich gewagt, Müllner in einem Artikel in der „Kleinen Zeitung" und in den „Niederösterreichischen Nachrichten" nicht nur zu loben, sondern auch zu kritisieren.) Die Ausführungen Müllners über Dr. Dengler schienen manchen Delegierten freilich ein etwas zu starker Tobak zu sein, denn ein Murren ging durch die Bankreihen. Dagegen wurde die Abrechnung mit den „bösen Brunnenvergiftern" und vor allem mit den „Schmutzfinken" (gemeint sind „die von der unabhängigen Presse") mit stürmischem Beifall der Müllner- Freunde bedacht.

(Hans Sfröbitzer: „Die Anti-Müllner-Front ist nicht tot")

Es ist etwas Großes für die westliche Gemeinschaft, daß die österreichische Politik friedliche und konstruktive Wege eingeschlagen hat. Es ist etwas Großes für die Welt, daß die Großmächte imstande waren, einen fairen und vernünftigen Vertrag auszuarbeiten, der Österreichs Unabhängigkeit garantiert. Dies sind Meilensteine im Streben nach Frieden

Wir haben mit Bewunderung mitangesehen, wie es die Ruinen des Krieges in ein modernes, prosperierendes Land verwandelte. Wir halfen, wo wir konnten, aber der Geist und die Energie, die Städte, Fabriken, Straßen und Schulen wiederauf bauten, waren die des österreichischen Volkes.

Das ist der einzige Weg, wie Nationen wachsen. Er ist lang und hart, aber das Österreich von heute ist der klare Beweis dafür, daß er der Mühe wert ist.

(Präsident Lyndon B. Johnson an die österreichische Good witl-Mission)

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Der im Jahre 1955 abgeschlossene Sfaatsverfrag schuf die Möglichkeit, die sowjetisch-österreichischen Beziehungen allmählich zu erweitern und zu stärken. Es Ist erfreulich, festzustellen, daß zwischen der Sowjetunion und Österreich gegenwärtig keine ungelösten politischen Probleme bestehen. Die Regierung Österreichs hat im großen und ganzen einen loyalen Kurs gegenüber der Sowjetunion eingehalten. Das spricht für die Weitsichtigkeit und den Wirklichkelfssinn der Staatsmänner Österreichs

Eine Assoziierung Österreichs an den „Gemeinsamen Markt’ kommt praktisch einem engen wirtschaftlichen und politischen Bündnis zwischen Österreich und der BRD gleich, das die ernste Gefahr einer Verletzung des Staafsverfrages schaffen und taktisch zu einem neuen Anschluß führen würde. Der Eintritt Österreichs in den „Gemeinsamen Markt", der auf enge Weise mit dem Nordatlantikpakt verbunden ist, kann die Basis seiner Neutralität zerstören und die Lage im Zentrum Europas verändern. In Österreich will man aus irgendeinem Grunde nicht zur Kenntnis nehmen, daß z. B. die Schweiz von Ihren Plänen einer Teilnahme am „Gemeinsamen Markt’ Abstand genommen hat. Obwohl doch seitens der Schweiz anfangs auch Versuche unternommen wurden, in den „Gemeinsamen Markt" einzutreten. Die Staatsmänner dieses Landes, die die Gefahr eines solchen Schrittes verstanden, traten aber auf die Bremsen

Österreich ist zwar kein großes Land, aber seine Position kann die Stabilität im Zentrum Europas stärken oder untergraben. Deshalb sind wir genauso wie die Österreicher überzeugt, daß die Zukunft Österreichs in einer aktiven Verwirklichung der Politik der immerwährenden Neutralität liegt.

(L. Totkunow: „Politik der Neutralität: Ihre Kräfte und Möglichkeiten")

Durch den deutsch-polnischen Briefwechsel sind die Westdeutschen unvermutet und gänzlich unvorbereitet einbezogen in ein längst überfälliges Kapitel eigener jüngster Vergangenheit, das bis dahin die wenigsten beunruhigte — die deutschen Katholiken nicht ausgenommen. Jetzt also wird nachgeholt! Mit viel gutem Willen ohne Zweitel, aber mit noch mehr Unkenntnis der wirklichen Situation.

Da ist merkwürdig oft vom Bollwerk die Rede und vom Durchhalten,’ der Briefwechsel — eine Frucht des Konzils —, erscheint als taktischer Schachzug des Episkopats gegen die Partei; die Formel „polmsch=katholisch" wird unermüdlich variiert; in manchen Berichten klang es gor so, als seien Polens Katholiken nach Tschenstochau gepilgert, um mit ihren Bischöfen gegen die bösen Kommunisten für die braven Deutschen, denen man schließlich doch einmal vergeben muß, zu demonstrieren.

Es ist genau das, was die polnischen Katholiken nicht meinten, als sie durch den Brief ihrer Bischöfe um eine Geste der Anteilnahme baten. Sie erwarteten von den deutschen Katholiken nicht ideologische Schützenhilfe, die aus dem antikommunistischen Arsenal stammt; am wenigsten von den Deutschen möchten sie gegeneinander ausgespielt und in gute und schlechte Polen ein- geteilf werden — das ist ihre eigene Angelegenheit. So hilft man ihnen auch nicht, sondern so schadet man ihnen. Sie hofften auf eine ehrliche Bekundung des guten Willens, die nicht neues Wasser auf die Propagandamühlen der Kommunisten gegen die westdeutschen Revanchisten gießt, sondern es auf die Dauer unmöglich macht, sie in Gang zu halten. Aber auf solche Zeichen wartet man in Polen immer noch.

(Heinz Linnerzi „Tschenstochau und die Deutschen”)

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