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Auf ein Wort

Vier Buchstaben - und welch eine Erinnerung, auch über die Jahrzehnte hinweg: Gaza. Es war der Ort meiner ersten Begegnung mit Krieg, damals, 1967. Vor 45 Jahren. Die ersten Schüsse und Minenexplosionen in meiner unmittelbaren Nähe. Die ersten Toten unter glühender Hitze im Sand. Die erste Prozession ausdrucksloser Gesichter, die mit weißen Fahnen an mir vorbeizogen; die vor mir ihre Hände hoben - nicht aggressiv, nicht bettelnd, sondern als Zeichen der Unterwerfung.

Unterfutter für nächste Gefechte

Gaza, später und immer wieder: die überfüllten Lager mit UNO-Überlebensrationen. Die zusammengepferchte Masse Mensch, eingekesselt zwischen Israel, Ägypten und Wüste: 1,7 Millionen Verdammte, politisch heiß gehalten durch Besetzung, Blockaden, Embargos, Sanktionen, Isolierung, Zerstörung. Mit Schmuggeltunnel als Überlebensmittel - für Waren und Waffen. Auch die bizarre Siegeseuphorie nach jeder Niederlage gegen die militärische Supermacht Israel. Auch in der vergangenen Woche. Ein Unterfutter für nächste Gefechte.

Ich denke an den großen Graham Greene, der Monate nach dem "Sechstagekrieg“ in Gaza und im Sinai war und mitten in den Sanddünen in ein Granatwerfergefecht geriet. Wann ist ein "Sechstagekrieg“ eigentlich zu Ende? In Gaza offenbar nie - unterbrochen nur von Waffenpausen.

Ich frage mich: Wie soll aus einer solchen konzentrierten Verzweiflung jemals Mäßigung, aus einer solchen Demütigung jemals Nachbarschaft wachsen können? Ich leide unter der Leichtfertigkeit, mit der wir, die Zuschauer, unsere Wertungen prägen (oder uns aufdrängen lassen): etwa die von der "radikal-islamistischen Hamas“. Stimmt schon, aber: Wer sonst sollte in dieser Vorhölle bei demokratischen Wahlen gewinnen? Und: Sind denn die Gegenspieler in diesem Drama, die Regierenden jenseits der Zäune und elektronischen Sperren, in ihren politischen Motiven und in ihrem Waffengebrauch weniger "radikal“?

Und: Was erlaubt unseren Medien, dieses furchtbare Wort von der "Liquidierung“ eines palästinensischen Anführers nachzuplappern - so als ginge es um die Auflösung einer Wohnung, einer Firma? Ist nicht die geplante Auslöschung eines Menschen hier wie dort noch allemal Tötung, um nicht gleich von Mord zu sprechen?

Gaza, das ist eine bleibende Wunde, auch nachdem die Menschen wieder einmal aus ihren Kellern ans Licht gekommen sind und ihre Opfer begraben haben. Neu aufgeworfene Grabhügel nach dem alten Verhältnis: hundert tote Palästinenser auf einen toten Israeli.

Friede durch Gespräch der Feinde

Eine bleibende Wunde auch für mich. Sie konfrontiert mich immer wieder mit unbeantwortbaren Fragen nach Gerechtigkeit und Menschenrechten, nach politischen Interessen und medialen Wahrheiten. Unangenehme, schmerzhafte Fragen - und scheinbar unlösbar. Jedenfalls so lange unlösbar, bis beide Seiten endlich bereit sind, die zwei selbstverständlichsten Grundwahrheiten zu akzeptieren: Dass Friede nur dort wächst, wo das Gespräch der Feinde beginnt. Und dass nur der in Frieden leben kann, der den Frieden auch will - und wagt.

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