Unbeirrter Tabubrecher

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Das Kunstforum Wien konfrontiert in einer Retrospektive mit Adolf Frohners Werk.

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Das Kunstforum Wien konfrontiert in einer Retrospektive mit Adolf Frohners Werk.

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Was ist dahinter?" heißt ein frühes Werk Adolf Frohners, "Die Verteidigung der Mitte" heißt die aktuelle Frohner-Retrospektive im Kunstforum der Bank Austria in Wien. Etwa 100 Werke zeigen den Werdegang des bedeutenden österreichischen Zeitgenossen. Von den tachistischen Anfängen über tafelbildgrenzensprengende aktionistische Materialarbeiten der sechziger Jahre zu großen, mit gekonntem Strich gesellschaftskritisch hingeworfenen Frauendarstellungen aus den siebziger Jahren bis hin zum monumentalen malerischen Spätwerk zeigt sich Frohner bei aller formaler Wandlungsfähigkeit als grundsätzlicher Künstler.

"Ich glaube nicht, dass der Künstler eine andere Wirklichkeit betreten kann. Die Geschichte vom Elfenbeinturm halte ich für unglaublich verlogen. Die Wirklichkeit, die ich herstelle, ist die, die uns alle betrifft. Ich versuche mich nicht am schön-ästhetischen Menschenbild. Ich nehme die Realität an. Die ist auch schön und wahr, wenn sie hässlich ist", so Frohner, der sich immer davor hütete, in leere Virtuosität abzugleiten. Der Künstler, der an der Aufnahme in die Meisterklasse für Malerei gescheitert war, die Fachschule für Wirtschaftswerbung absolviert und vier Jahre als Werbegrafiker gearbeitet hat, ist ein virtuoser Zeichner. Gegen die Gefahr der glatten Perfektion legte er sich selbst Hindernisse in den Weg, zeichnete auf schlecht präparierten Brettern oder mit der ungeübten linken Hand. Seit den achtziger Jahren malt Frohner, ohne der Linie als bestimmendem Bildelement in unglaublicher Verdichtung und Auflösung untreu zu werden. Der leidende, deformierte Mensch ist Hauptthema seiner Arbeit, die immer dem Grundsätzlichen, dem Dahinter auf der Spur ist.

"Es gibt so viele Tabus zu verletzen, Traditionen zu bekämpfen und Gesetze zu brechen, dass ich in meinem Leben, so lange es auch sein möge, nicht durchkommen werde. Doch ich werde es versuchen", so Frohner 1961. Ein Jahr später ließ er sich symbolisch mit Otto Mühl und Hermann Nitsch drei Tage lang in einen Keller einmauern. Währenddessen entstand aus dem Gerümpel eines benachbarten Altwarenhändlers bei reinigenden Exerzitien ein Werk namens Blutorgel mit einer gleichnamigen Publikation: der Wiener Aktionismus war geboren. Nach diesem gemeinsamen Kraftakt entwickelte sich jeder der drei Künstler in eine andere Richtung. Frohner nimmt an Aktionen nur noch passiv teil, schafft jedoch bleibende, den Rahmen des Tafelbildes sprengende aktionistische Werke aus Objets trouvees. Heute würde er "das Gesetz brechen" nicht ohne Nachsatz stehen lassen. Er will niemanden verletzen oder kränken. Es geht ihm darum, öde Kunstgesetze zu brechen, alles in der Kunst zu tun.

Vielfältiges Leiden In den sechziger Jahren schlitzte Frohner Matratzen auf (Triptychon: "Monument für Henry Miller"), zerschnitt Leinwände ("Was ist dahinter?"), zerlegte das Innenleben alter Sessel in Riemenweichteile, Stahlfederngerippe, Lehnenrückgrat und Seegrasgerippe ("Schwarzer Sessel") und schuf so aus ausgedienten Gebrauchsgegenständen doch Bilder für den Menschen, die seinem Wesen näher kommen als konventionelle Abbildungen. Was der Mensch dem Menschen antut, zeigt Frohner vielfältig auf, sei es im "Denkmal für ein Konzentrationslager", das mit seiner Dornenkrönung an den Leidensweg Christi denken lässt oder in "Dem Bild die Gedärme herausreißen", das mit organisch aus dem Inneren gezerrten Strängen an herausplatzende Adern, Wunden und Verletzungen erinnert.

In "Die Flucht - Hommage a Dubuffet", den Frohner sehr bewunderte, mit dem er in regem Briefkontakt stand und auch befreundet war, kombiniert er Fotos, Zeichnung und verschiedene Materialien. Eine Form der Tabuverletzung in der Malerei, die sich in "Die Puppen" fortsetzt. Dieses Bild mit Zementhintergrund, dem collagierten Foto eines Modellkopfes und der karikaturhaften Zeichnung einer stämmigen Realfrau leitet zu den Frauendarstellungen der Siebziger Jahre über und nimmt das Thema, eine massive Kritik an dem von der Werbung vermittelten Idealbild, schon vorweg. "Wenn man von der Werbeschönheit spricht, wollte ich die Kehrseite der Medaille zeigen, sozusagen die Hochglanzhässlichkeit. Ein hoher Prozentsatz der Menschen entspricht nicht der Vorgabe, die von der Werbung propagiert wird. Ich fühle mich diesen Menschen mehr verpflichtet als den künstlich-gestylten Schönheiten", meint Frohner. Seine Botschaft hat in dreißig Jahren an Brisanz nichts eingebüßt.

Frohners scharfsichtiger Blick nimmt nicht ausschließlich Frauen ins Visier: Sein "David" spielt auf Michelangelos Idealfigur an, persifliert aber mit Spiegel, beiderlei Geschlechtsmerkmalen, hochhackigen Schuhen, meisterlich gezeichneten Nylonstrümpfen und einem Transvestitenkopf jegliches Rollenklischee. "Mann und Frau" ist eine triste malerische Aussage zum alternden Paar.

Frohner scheut die Wirklichkeit nicht und hat den Blick immer dort, wo die Gesellschaft ihn lieber wegwendet. 1986 schuf er "Die Opferung (Der rote Tod)", 1988 "Totenköpfe (50 Varianten zum Tod)" ein Jahr darauf "Der Lamellentod", Bilder an denen die Schwelle von der Zeichnung zur Malerei schon überschritten ist. Frohner: "Es geht mir um Tabubrechung. Der Tod ist ein unglaubliches Tabu. Er ist die Niederlage der Ärzte. Man geniert sich für Sterbende, sie werden abgesondert. Man könnte dramatisch sagen, dass der Tod die Vollendung des Lebens ist. Er ist ein Ereignis, dem sich keiner entziehen kann - daher ist er für mich wichtig und darstellenswert. Der Tod hat für mich den gleichen Stellenwert wie das Leben oder die Liebe."

Die Liebe zum Wesentlichen durchzieht sein Werk, dem Abscheu vor allem anderen gibt er klaren Ausdruck, wie im Bild "Die bemühten Masken" des Jahres 2000. Wem die Demaskierung der Oberfläche ein Anliegen ist, der ist in der Frohner Retrospektive gut aufgehoben.

Bis 4. März

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