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Ungestümer Aufbruch in die Gegenwart

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„Fauves" — wilde Tiere: Mit diesem Schimpfwort apostrophierten empörte Kunstfreunde, angeführt vom prominenten Pariser Kunstkritiker Louis Vauxcelles, im Herbst 1905 eine Gruppe junger Pariser Maier, die es darauf angelegt hatten, dem Publikum einen heftigen Schock zu versetzen, und zwar indem sie in ihren Bildern abrupt mit allen Traditionen brachen. Allerdings, womit Vauxcelles nicht gerechnet hatte, trat ein: den Rebellen Imponierte die Beschimpfung. Sie wählten ihn als Gruppennamen und ließen von nun an keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, akademischer Sterilität, kühlen klassizistischen Posen und gefälliger Genreliebedienerei in der Malerei den Todesstoß zu versetzen, und, wenn’ nottun sollte, Feuer an die Ecole des Beaux Arts zu legen...

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„Fauves" — wilde Tiere: Mit diesem Schimpfwort apostrophierten empörte Kunstfreunde, angeführt vom prominenten Pariser Kunstkritiker Louis Vauxcelles, im Herbst 1905 eine Gruppe junger Pariser Maier, die es darauf angelegt hatten, dem Publikum einen heftigen Schock zu versetzen, und zwar indem sie in ihren Bildern abrupt mit allen Traditionen brachen. Allerdings, womit Vauxcelles nicht gerechnet hatte, trat ein: den Rebellen Imponierte die Beschimpfung. Sie wählten ihn als Gruppennamen und ließen von nun an keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, akademischer Sterilität, kühlen klassizistischen Posen und gefälliger Genreliebedienerei in der Malerei den Todesstoß zu versetzen, und, wenn’ nottun sollte, Feuer an die Ecole des Beaux Arts zu legen...

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Nun, die ästhetische Revolution der Fauves hat der Malerei des 20. Jahrhunderts ein völlig neues Gesicht gegeben. Was sie kreierte, merkt man erst, wenn man die Lebeniserinne- rungen Maurice Vlamincks, eines Prototyps der Gruppe, liest, der Paris um 1905 als eine übel provin- zielle Stadt schildert,'die mehr auf das Zeitalter Napoleons III. zurück-! als der Zukunft entgegenblickte: „Eine Zeit der Geruhsamkeit“, schreibt er, „gleichgültig, ob es sich um Ideen, Situationen oder Finanzen handelte ... In den Restaur ants gab es Brot, soviel man wollte, zu Hause dagegen weder fließendes Wasser noch Gas noch Elektrizität... Paris war so zufrieden mit sich, wie es nur eine Provinzstadt sein konnte. Auf den schlecht gepflasterten Straßen roch es nach Pferdeäpfeln... Der Bürger wohnte gemütlich in seiner Louis-Philippe-Binrichttmg, summte ,La Vailse bleue“ oder ,Die Glocken von Corneville“. Monet, Sisley, Renoir und Cezanne waren noch immer .revolutionäre“ Maler.“

Der Schnurrbart war noch obligpto- risch, außer für Cafėkellneir (di-se beenden den entehrenden Zustand 1907 durch einen Streik). Beim Maxim setzen sich die letzten Kokotten, mit Schmuck, Federn und Volants befrachtet, groß in Szene, um den Lebemännern aus England und Rußland das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und wenn Eduard VII. den Etablissements in der Rue des Mou- lins den fälligen Besuch macht, kann er unbesorgt sein. Auf seinem Terminkalender steht: „Besuch beim Senatspräsidenten..

In diese Welt verschrobener Biederkeit platzten die Fauves mit einer Heftigkeit, daß Kritik und Publikum wie von der Tarantel gestochen hochfuhren: „Man hat dem Publikum einen Farbtopf ins Gesicht geschmissen!“ empörte sich Mscuolair in Le Matin über diese Werke, die — nach Vlaminck — mit der Farbtube unmittelbar uf die Leinwand gemalt waren.

Jean-Paul Crespelle, prominenter Pariser Kunstkritiker und Essayist, hat in seinem umfangreichen Band „Fauves und Expressionisten“, erschienen bei Bruckmann in München, ein bewegtes und bewegendes Panorama dieser Tage der Auseinandersetzung geschrieben, in denen es um nichts weniger als den Aufbruch in die Gegenwart ging. Eine glänzende, mit Eleganz formulierte Situationsbestandsaufnahme, reich durchsetzt mit dokumentarischem Material, sachlichen Analysen. Er beschränkt sich übrigens nicht auf Frankreich,

sondern markiert die vielfältigen Kontakte Deutschlands an diesem Aufbruch. Der Dresdner Kreis der „Brücke“ und die Münchner Maler des „Blauen Reiter“ beweisen die allgemeine Kommunikation vorwärtsstürmenden Geistes in dieser Epoche. Es ist einer der ersten Versuche einer großangelegten Gesamtschau des europäischen Expressionismus, urtr so wertvoller, als so viele Querverbindungen zwischen diesen eigenwilligen, originellen Persönlichkeiten (Matisse, Vlaminck, Dėrain, Dufy, Van Dongen, Rouault, Braque, Friesz u. a.) gezogen werden.

FAUVES UND EXPRESSIONISTEN. Von Jean-Paul Crespelle. Verlag Bruckmann, München, 366 Seiten, 100 Farbtafeln.

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