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„Fone Kwas“ von Georgi Demidow: Nachrichten aus dem Inneren des Totalitarismus

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Georgi Demidow: eine weitere Entdeckung aus den finsteren Zeiten der Sowjetunion.

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Georgi Demidow: eine weitere Entdeckung aus den finsteren Zeiten der Sowjetunion.

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Unter Putin wird der Schwerverbrecher Stalin rehabilitiert. Wer vom Virus der Geschichtsvergessenheit infiziert ist, nimmt das fraglos hin. Schon deshalb ist es wichtig, dass Bücher wie solche von der Art, wie sie Georgi Demidow (1908-1987) geschrieben hat, verfügbar gemacht werden. Nach Warlam Schalamow ist Demidow eine weitere Entdeckung aus den finsteren Zeiten der Sowjetunion, als Intellektuelle und andere unbequeme Fragensteller in einen Gulag verfrachtet und deren Werke verboten, wenn nicht gar vernichtet wurden. Zwischen 1936 und 1938, der Zeit des Großen Terrors, wurden unzählige als unzuverlässig abqualifizierte Personen verfolgt. Georg Demidow gehörte dazu. Er arbeitete als Physiker in Charkiw und geriet 1938 in die Fänge der Geheimpolizei.

Damit war es für ein Leben in Normalität vorbei – auf alle Zeit. Es ging um die Vernichtung der Persönlichkeit, Vergehen wurden einem angedichtet. 14 Jahre musste er in einem Lager an der Kolyma im Nordosten Sibiriens unter extremer Kälte und unmenschlicher Behandlung durchstehen.

Von den perfiden Methoden einer außer Rand und Band geratenen Macht erzählt der autobiografisch grundierte Roman „Fone Kwas“. Schreiben entdeckte Demidow als Möglichkeit, sich als Mensch neu zu definieren. 1980 wurden seine Manuskripte vom KGB konfisziert, seine Schreibmaschine beschlagnahmt. Damit war ihm jede Möglichkeit, weiter zu schreiben, unmöglich gemacht worden, da ihm in Sibirien die Finger erfroren waren. Wir müssen es als Glücksfall nehmen, dass die Texte nicht verschollen sind, sondern uns heute zugänglich gemacht werden. Das Buch ist Kafka im realen Sozialismus. Ein Mann wird verhaftet, ohne zu wissen warum; die, die ihn verhören, wissen es auch nicht. Das stört sie aber nicht, sie brauchen nur Geständnisse, und die kriegen sie sowieso, wenn sie Menschen brechen. Rafail, ein Techniker, kommt in eine heillos überfüllte Zelle, erfährt die Schrecken der vorsätzlich herbeigeführten Verwahrlosung ebenso wie Funken von Menschlichkeit in der Menge der allesamt schuldlos Verhafteten.

Rafail versucht es mit einer List. In den Verhören spielt er scheinbar mit, indem er sich zu aberwitzigen, offenbar erfundenen Schandtaten bekennt, setzt alles daran, um als Trottel eingestuft zu werden und sich damit einen Freibrief zu erschwindeln. Ein auf Lug und Trug angelegtes System will er mit dessen eigenen Mitteln schlagen. Er scheitert, wird zur tragischen Figur in einer ohnehin durch und durch tragischen Geschichte.

Was für ein Buch! Von kaltschnäuziger Hoffnungslosigkeit und enormer literarischer Kraft, ein kluges Gegengift gegen grassierenden Totalitarismus.

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