Putin und der Westen: Wo steht Österreich?
Die hiesigen Verflechtungen mit Putins Russland waren mehr als nur „naiv“. Sie bedrohen unsere Demokratie. Umso nötiger ist eine kritische Selbstverortung – und geistige Landesverteidigung.
Die hiesigen Verflechtungen mit Putins Russland waren mehr als nur „naiv“. Sie bedrohen unsere Demokratie. Umso nötiger ist eine kritische Selbstverortung – und geistige Landesverteidigung.
„Man soll nicht naiv sein“: Mit dieser Feststellung begann Alexander Van der Bellen anno 2020 – im großen 75-Jahr-Jubiläums-Gespräch mit der FURCHE – seine Antwort auf die Frage nach den österreichisch-russischen Beziehungen. Man solle also nicht naiv sein, meinte der Bundespräsident, „aber vielleicht kann man sagen, dass das Verhältnis Österreich/Russland immer schon eines war, das von manchen NATO-Mitgliedern nicht immer verstanden wurde“. Spätestens seit dem Staatsvertrag von 1955 hätten es eben „österreichische und russische Politiker verstanden, ein Verhältnis aufrechtzuerhalten, das beiden Seiten nützlich ist“.
Mit wie viel Heuchelei diese „Nützlichkeit“ einherging und wie „naiv“ Österreich – noch lange nach Putins Krim-Annexion vor genau zehn Jahren – agierte, hat spätestens die Zeitenwende vom 24. Februar 2022 deutlich gemacht. Seither wird dieses Land in unschöner Regelmäßigkeit von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht: vom scheinbar unlösbaren Knoten beim Ausstieg aus dem Gasdeal der OMV über die (zuletzt auch vom US-Finanzministerium kritisierten) russischen Geschäfte der Raiffeisen Bank International bis zu den irrwitzigen Verbindungen der FPÖ mit Moskau. Die jüngst aufgeflogene Hyperaktivität russischer Spione und Putin-Vertrauter in Wien verstärkt den Eindruck, längst vom Kremlherrn unterwandert zu sein. „Wo steht Österreich wirklich?“, fragt man sich angesichts dessen: Wo verortet sich dieses Land, das „nur militärisch, nicht aber wertemäßig neutral“ sei, wie Außenminister Alexander Schallenberg letzten Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ einmal mehr betonte, im geopolitischen Koordinatensystem?
Der weite Arm von Putins Trollen
Eine solche selbstkritische Verortung wäre mehr als überfällig – zumal Putin seine Macht durch die jüngste Wahlfarce mit 87 Prozent Zustimmung weiter zementierte und seine Internet-Trolle sich anschicken, die hiesige Nationalratswahl im Herbst als Übungsfeld für den Showdown in den USA zu nutzen. Grundlage dafür wäre freilich ein Mindestmaß an Transparenz. Mit Recht fordert Presse-Außenpolitikchef Christian Ultsch eine von der Bundesregierung einzusetzende unabhängige Untersuchungskommission, um das politische, wirtschaftliche und geheimdienstliche Netzwerk Russlands hierzulande offenzulegen. Weiterhin als „Putins nützliche Idioten“ zu gelten, wie dies der Economist im Juli 2023 auch mit Blick auf Österreich titelte, kann sich dieses zur Selbstverteidigung unfähige und auf Beistand angewiesene Land nicht leisten.
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