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Land ohne Quisling

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Martyrium eines Volkes. Das okkupierte Polen. Von Stephan Tadeusz Norwid. Bemann-Fischer-Verlag, Stockholm. 403 Seiten

Spät, sehr 6pät, und dabei noch durch Zufall, ist es möglich, dieses Buch au6 der Kriegsproduktion des Bermann-Fischer-Verlages in der schwedischen Emigration dem österreichischen Le6er vorzustellen. Es ist ein bitteres Buch. Ein junger polnischer Industrieller, der zuvor, wie er selbst bekennt, nur Wechsel, Schecks und Steuerdeklarationen geschrieben hatte, Ist sein Verfasser. Von eigenen düsteren Erlebnissen gedrängt, wollte er nach der geglückten Flucht aus der aus tausend Wunden blutenden Heimat die so leicht vergeßliche Welt des Westens an ein Land ohne Quisling* — so lautet der schwedisch! Originaltitel —, an ein Volk, das keine Kollaborateure kannte, erinnern. Das war 1943...

Eine blutige Ironie wollte, daß die deutsche Ubersetzung 1945 beinahe zur gleichen Zeit ausgeliefert wurde, als die Weltgeschichte ein neues Kapitel begann, Ein neues Kapitel auch für Polen, aber kein lichteres. Leicht könnte daher dieses Buch heute als von der Zeit überrollt, als anachronistisch auf die Seite gelegt werden. Das wäre unrecht. Es kann eine neue, aber nicht geringere Aufgäbe erfüllen. Entgegen allen Bemühungen i6t bis zur Stunde noch kein Gespräch zwischen den verantwortlichen Männern des neuen Deutschland und den Wortführern eines freien Polen in Fluß gekommen. Deutsche Klage und Anklage gegen viele, was 1945 auf fremden Willen, aber unter polnischer Flagge geschah, und polnische Zurückhaltung stehen diesem entgegen. Wa6 1945 an Unrecht geschah, braucht von den wirklichen Vertretern Polens nicht gerechtfertigt werden. An eines allein sei erinnert: Da6 Unrecht von gestern schafft das Unrecht von vorgestern nicht aus der Welt. Sagt nicht auch ein deutsches Sprichwort: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten?“ Und es war mehr als Wind, was zwischen 1939 und 1945 in die polnische Erde gesät wurde. Stephan Tadeu6Z Norwid Buch erinnert daran in unbestreitbarer Deutlichkeit. Es mahnt aber auch, den Teufelskreis von Untat, Rache und neuen Sünden endlich zu sprengen und nicht durch neue Revanchepläne und verhärtete Ressentiments die Aussprache über Gräbern und mit ihr eine bessere Zukunft beider Nationen unmöglich zu machen.

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