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Als Budweis noch bei Böhmen war

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BudSjovice liegt nunmehr in der ČSSR, und das ist der große Unterschied. Als aber Budweis noch bei Böhmen war, da gab es das dort (auch): diese unvergleichliche, unwiederholbare, für immer verlorengegangene Mischung aus Tschechischem, Deutschem und Jüdischem, diesen Humus hoher und mittlerer Genialität, diese Ballung des grausig Komischen mit dem Absurden, aus der die Kafka, Werfel und Meyrink hervorwuchsen, diese bunte kleine Welt, in der nicht einfach deutsch gesprochen, sondern geböhmackelt wurde.

Götz Fehr versucht, uns seelisch verarmten Nachgeborenen das Böh- mackeln beizubringen und tut es, indem er deutsche Wörter in tschechischer Orthographie schreibt - ein einfacher, aber ein erlaubter Trick, der zur Folge hat, daß jeder Österreicher nach wenigen Seiten dieses Buches den zwar verschütteten, aber eben immer noch vorhandenen Tonfall wiederentdeckt, daß er alle Wörter auf der ersten Silbe zu betonen und alle Endsilben herrlich auszusingen beginnt. Bei den bundesdeutschen Nachbarn, für die das Buch vor allem geschrieben wurde (die in einigen Fußnoten versuchten Übersetzungen aus dem Gesamt-Altösterreichischen deuten darauf hin), dürfte dies an der westeuropäischen Unfähigkeit scheitern, fremde Sprachmelodien auch nur andeutungsweise zu reproduzieren. Wie Angelsachsen, Fanzosen und Italiener außerstande sind, Deutsch ohne die Nebenwirkung nicht endenwollender Komik zu sprechen, so sind auch unsere Vettern jenseits des Inn, was die Vermeidung falscher Betonungen und strahlender Endvokale in

Fremdsprachen anlangt, von einer Hartnäckigkeit, die durch nichts gebrochen werden kann. (Sie verwechseln ja auch Tschechisch mit Ungarisch, Ungarisch mit Kroatisch und Kroatisch mit Rumänisch.)

Götz Fehrs „Femkurs in Böhmisch” wird daher in der Bundesrepublik mit einer Niederlage enden, mit einer freilich, die einem strategischen Rückzug gleichkommt und den Endsieg vorbereitet Denn dieses Buch mußte geschrieben werden - so und nicht anders. Es tut dabei nichts zur Sache, daß die Geschichten, die Fehr erzählt, keine großen Geschichten sind, es tut nichts zur Sache, daß manches Hintergründige im Rückblick ein wenig verniedlicht wurde und es tut nichts zur Sache, daß der Budweiser Horizont eben nur bis Linz reichte. Wien war Ausland, und was dort geschah, für Budweis eine ferne Sage. Daher wohl Fehrs Behauptung, der Demel sei ein Delikatessengeschäft gewesen, die Fehlinterpretation anderer lokaler kulturhistorischer Details und wohl auch die gelegentliche Falschschreibung einiger in der Wiener Snobiety gebräuchlicher, zumeist aus dem Französischen stammender Fremdwörter. Aber was tut’s? Es geht ums Böhmackeln und man böhmackelt wieder wie vor den beiden großen Weltuntergängen, hat man Fehrs Femkurs mehr als Mittel-, denn als Westeuropäer mit Fleiß, Ehrlichkeit und viel Genuß absolviert.

FERNKURS IN BÖHMISCH. Von Götz Fehr. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 1977, 170 Seiten mit Illustrationen des Autors, öS 137.06

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