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Denken!

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In diesen Tagen redet man über Solschenizyn, denkt an ihn, nimmt Anteil an ihm. Wenn Anteilnahme und gute Gedanken real wirksame Kräfte auslösen — daran glaube ich —, hat Solschenizyn in seiner Heimsuchung ganz stark die Weilen von Sympathien verspürt.

Ich will mir vornehmen, in drei, vier Jahren an ihn zu denken und ihm mdit der Kraft meiner Gedanken Sympathien zu schicken. Heute denke ich an Alexander Dubcek.

Auch er war einmal Empfänger einer Fülle von Sympathieströmen aus der ganzen Welt, wie jetzt Solschenizyn. Er hat damals Ähnliches versucht und sich für Ähnliches eingesetzt. Er ist in Ehren gescheitert. Was er damals getan hat, hat ihm die Sympathie der Welt gesichert. Wo ist sie hin? Wer hätte damals gedacht, daß er vergessen werden könnte.

Denken wir heute an Dubcek. Denken wir an Nagy und Maleter, die sich für die gleichen Ideatle eingesetzt haben wie Dubcek und Solschenizyn. Unsere Gedanken können sie nicht mehr erreichen, aber ihr Andenken sollte nicht vergehen.

Der jugoslawische Schriftsteller Mihailov hat seine Initiative für größere politische Freiheit mit jahrelanger Haft gebüßt und lebt jetzt irgendwo in der Anonymität Wer denkt an ihn?

Die Journalisten berichten nur über das jeweils Neue, die Leitartikel meditieren nur, wenn fünf, zehn, zwanzig, fünfundzwanzig Jahre vergangen sind. Und unser Gedächtnis ist kurz:

Im Herbst 1973 machte ein russischer Bürgerrechtskämpfer Schlagzeilen, er war neben Sacharow und Solschenizyn die dritte große Schlüs-selflgur im Kampf um die Bürgerrechte. Im Februar 1974 kam das Gespräch auf ihn, und drei politisch Interessierte, denen im Herbst 1973 sein Schicksal nahegegangen war, mußten einige Minuten nachdenken, bis ihnen sein Name einfiel. Wenn die Welt für Solschenizyn eintritt, denken wir auch an Jakir.

Denken wir an die Kämpfer für Deutschland, an Stauffenberg, Witzleben, Gördeler....

Erinnern Sie sich noch an Biafra? Damals lagen auf allen unseren Postämtern Zahlscheine, und man spendete für die Hungernden in Biafra. Wo kann ich heute für Biafra spenden?

Die Freiheit ist unteilbar wie die Not. Da Solschenizyns Verbannung mich erschüttert, denke ich an Sacharow und Jakir und die vielen Namenlosen in der Sowjetunion, die kein Auslandskorrespondent nennt, ich vergegenwärtige mir alle leidenschaftliche Anteilnahme, die ich seit den zwanziger Jahren empfunden habe, wenn Menschenrechte gefährdet waren und verteidigt wurden, wenn Menschen und Völker Not litten. Ich möchte meine Anteilnahme vom Kalender, von den Schlagzeilen und Leitartikeln lösen.

Im Namen Alexander Solschenizyns wollen wir an Dubcek und an Biafra denken, an Pasternak und an Vietnam.

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