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Der Dichter der „Negritude“

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Selten wurde das Profil eines Staates durch die Persönlichkeit eines einzigen Mannes so sehr geprägt wie das der westafrikanischen Republik Senegal durch den Dichterpräsidenten Leopold Sedar Senghor. Senghor: Katholik in einem überwiegend .islamischen Staat, Prophet der „Negritude“, mit einer Französin verheiratet, Anwalt der Frankophonie und Theoretiker des afrikanischen Sozialismus. Ein Mann, der Karl Marx ebenso oft zitiert wie Teilhard de Chardin; der für den Aufbau seines Landes um westliches Kapital wirbt und sich häufig auf Galbraith und Servan-Schreiber beruft. Mit Ehrendoktoraten und Literaturpreisen überhäuft, erhielt er 1968 auch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sein Name wird neuerdings immer häufiger im Zusammenhang mit dem nächsten Friedensnobelpreis genannt.

Vom Fischerdorf ins Elysee Dieser geschickte politische Taktiker und feinsinnige Poet wurde 1906 in einem kleinen Fischerdorf geboren. Nach dem Besuch der Missionsschule ging er nach Paris, um an der Sorbonne zu studieren. Einer seiner damaligen Kommilitonen war Georges Pompidou. Senghor war der erste Afrikaner, der die Berechtigung erhielt, an einer höheren Schule in Frankreich zu unterrichten. Im Weltkrieg geriet er als französischer Offizier in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Nach Kriegsende war Senghor in der Verfassungsgebenden Versammlung Frankreichs Deputierter des Senegal; später vertrat er seine Heimat im französischen Parlament. Diese Jahre der aktiven Teilnahme am politischen Leben Frankreichs waren für ihn, wie für zahlreiche andere afrikanische Politiker aus dem französischen Afrika, eine hervorragende Gelegenheit, politische Erfahrung zu sammeln; eine Gelegenheit, die den afrikanischen Führern des englischsprachigen

Afrika nicht gegeben war. Zweimal vertrat Senghor Frankreich bei der UNESCO.

Unabhängigkeit für Senegal

Von Anfang an war Senghor, neben seiner aktiven Teilnahme am politischen Leben Frankreichs, auch in der Politik seiner Heimat Senegal engagiert. Gemeinsam mit dem Senior der senegalesischen Politik, dem Sozialisten Lamine Gueye, der gleichfalls Mitglied der französischen Verfassungsgebenden Versammlung war, hatte Senghor bereits im Jahre 1945 eine erste afrikanische Partei gegründet. Diese beiden Männer waren es auch, die gemeinsam mit Mohamed Dia lange Zeit ein senegalesisches Triumvirat bildeten und das Land nach und nach an die Unabhängigkeit heranführten.

Im August 1960 wurde der Senegal, ehemals ein Teil von

Französisch-Westafrika, unabhängig. Senghor wurde Erster Staatspräsident und Mohamed Dia Premierminister der jungen Republik. Im Dezember 1962 versuchte Premierminister Dia einen Coup d'Etat. Die Armee hielt jedoch Senghor die Treue, und Dia wurde zu einer lebenslänglichen Kerkerstrafe verurteilt.

Im Gefolge der Pariser Maiergebnisse des Jahres 1968 kam es auch zu schweren Studentenunruhen in Dakar, die das Senghor-Regime in den Grundfesten zu erschüttern drohten.

Nach den Erfahrungen der unruhigen Jahre 1968 und 1969 war Senghor bereit, der Jugend Konzessionen zu machen: Eine Verfassungsreform führte 1970 zur Wiedereinführung des Amtes des Premier, das seither von dem 34jährigen Abdou Diouf bekleidet wird. Die Afrikanisierung der Universität wurde in Angriff genommen und in der Privatwirtschaft wurden mehr Posten für Afrikaner freigemacht.

Heuer, im Jänner, wurden im Senegal Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten.

Senghor, der einzige Präsidentschaftskandidat, wurde mit einem überwältigendem Votum auf weitere sieben Jahre wiedergewählt.

Schöpfer der „Negritude“

Senghor ist trotz aller innenpolitischen Schwierigkeiten stets Herr der Lage geblieben, nicht zuletzt deshalb, weil ihm die Armee stets die Treue hielt. Auch ist er bei der Masse der 3,8 Millionen Senegalesen überaus beliebt. Immer wieder hat er sein taktisches Geschick in der Tagespolitik bewiesen. So hat er, der praktizierende Katholik, in einem zu 80 Prozent islamischen Staat, es immer verstanden, mit den einflußreichen islamischen Sekten auf gutem Fuß zu stehen.

Senghor ist auch der Mann, der seinem Land und darüber hinaus dem gesamten Schwarzen Kontinent

die „Negritude“ geschenkt hat. Er will damit die Menschen Afrikas zu den Wurzeln ihrer eigenen Geschichte zurückführen, sie davon überzeugen, daß sie eine eigene Kultur und eine eigene uralte Geschichte haben, die sich vor der Geschichte des weißen Mannes keineswegs zu verstecken braucht. Er sieht darin einen Weg, die während der Kolonialzeit verlorengegangenen Selbstachtung des Afrikaners wiederzugewinnen. Obwohl ein vorbehaltloser Bewunderer der französischen Kultur — er selbst schreibt seine Gedichte in französischer Sprache — war er doch immer ein Verfechter des Wertes afrikanischer Kultur und ihres Beitrages zu den Kulturen anderer Völker.

Das gesamte politische und kulturelle Leben des Senegal trägt den Stempel der überragenden Persönlichkeit Leopold Sedar Senghors. So Ist auch die Außenpolitik des Senegal eine Reflexion der Ideen dieses Mannes.

Von Anfang an hat Senghor das panafrikanische Konzept, wie es etwa von dem ehemaligen ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah vertreten wurde, der die Einheit Afrikas sofort verwirklicht sehen wollte, und zwar in Form eines gesamtafrikanischen Bundesstaates mit einer gesamtafrikanischen Zentralregierung, als unrealistisch abgelehnt. Er trat vielmehr für die allmähliche Einigung des Kontinents ein, die auf vorausgehender regionaler Kooperation basieren soll.

Der Senegal, von dem man sagt, er liefere die schönsten Frauen und die besten Soldaten Afrikas, ist kein reiches Land. Das wichtigste Exportgut ist seine Erdnußproduktion, für die allerdings auf den Weltmärkten immer niedrigere Preise erzielt werden, und die in den letzten Jahren unter wiederholten Dürreperioden schwer gelitten hat. Sinkende Exporterlöse und steigende Importkosten stellen die Wirtschaft des Senegal, der über keine nennenswerten Bodenschätze verfügt, vor wachsende Probleme. Die notwendige Industrialisierung wird forciert, und eine liberale Investitionspolitik soll in zunehmendem Maße westliches Kapital ins Land bringen.

Die Entwicklungsprobleme in diesem Agrarland, in dem viele Menschen ihr Land noch mit stabilen Astgabeln pflügen und im Geheimen noch heute an den bösen Blick, an Zaubertränke und Fetische glauben, in dem ein starkes wirtschaftliches und soziales Gefälle zwischen Stadt und Land besteht, in dem die Arbeitslosigkeit und die Slums um die glänzende Metropole Dakar wachsen, sind grundsätzlich die gleichen wie im übrigen Afrika. Doch der Senegal versucht unter der Führung Senghors eine Lösung dieser Probleme nicht auf radikalem, sondern auf evolutionärem Wege.

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